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Der folgende Artikel wurde übersetzt aus Workers Hammer Nr. 255, Winter 2025, Zeitung unserer Schwesterorganisation Spartacist League/Britain.
Nach dem Sturz des verhassten Regimes von Baschar al-Assad kam es zu Szenen unbändigen Jubelns. Der Diktator ist nun zwar weg, aber viele fürchten sich vor dem, was danach kommt. Die Erfahrungen mit Libyen, Irak und Afghanistan zeigen, dass der Zusammenbruch eines verhassten Regimes nicht automatisch Fortschritt mit sich bringt. Im Falle Syriens bezweifeln selbst die optimistischsten Beobachter, dass an den demokratischen Versprechungen der neuen Regierung unter Führung von Hajat Tahrir al-Scham (HTS), einer islamistischen Miliz, die ursprünglich mit al-Qaida verbunden war, etwas Wahres dran ist. Wie kann man in der gegenwärtigen Situation die demokratischen und sozialen Bedingungen verbessern? Das ist die entscheidende Frage, mit der die fortschrittlichen und proletarischen Kräfte in Syrien heute konfrontiert sind.
Einige glauben törichterweise, man könne zu demokratischen Fortschritten dadurch kommen, dass die USA und die EU ihre Sanktionen lockern und Hilfe leisten. Dies ist ein gefährliches Trugbild. Die westlichen imperialistischen Mächte sind dafür verantwortlich, dass Syrien und die gesamte Region in ständigen Konflikten stecken. Ihre Phrasendrescherei über Demokratie und Bürgerrechte sollte immer nur übertünchen, was ihr wirkliches Interesse ist: sicherzustellen, dass kein Staat und keine Koalition die Ausplünderung der Ressourcen Westasiens aufhalten kann.
Immer wieder sind sie nach dem gleichen Drehbuch des Teilens und Herrschens vorgegangen und haben die kurzfristigen Interessen eines religiösen oder nationalen Teils der Bevölkerung ausgenutzt, um einen weitergehenden Konflikt zu schüren und die Region in sich gespalten zu halten. Das ist kein Geheimnis, und es sollte auf der Hand liegen, dass sozialer Fortschritt im Nahen Osten nur auf Kosten der USA und ihres zionistischen Kampfhundes möglich ist. Aber die Realität ist stets komplizierter als die Theorie. Das Problem ist: In einer derart gespaltenen und armen Region gibt es immer jemanden, der zum Feind im Inneren und zu einer größeren unmittelbaren Gefahr erklärt werden kann als eine fremde ausländische Macht.
Aus diesem Grund hält sich der Syrienkonflikt so hartnäckig. Korrupte einheimische Cliquen und ausländische Akteure nutzen die legitimen Bestrebungen, Ängste und Sorgen einzelner Teile der Bevölkerung aus, um ihre eigenen reaktionären Interessen durchzusetzen. Die Unterdrückung der Kurden durch viele Staaten in der Region wird von den USA und Israel instrumentalisiert. Den Hass auf Assad und die Unterdrückung durch den Westen machen sich verschiedene sunnitische islamistische Kräfte zunutze. Für Assad wiederum war eine tragende Säule seines Regimes die berechtigte Furcht der Alawiten und anderer Minderheiten vor Vergeltung für die historische Unterdrückung der sunnitischen Muslime.
Um die Völker Syriens zu vereinen und die Region wirklich voranzubringen, reicht es nicht aus, demokratische und sozialistische Plattheiten von sich zu geben. Es ist erforderlich, ein Programm vorzulegen, das die Knoten des Sektarismus (d. h. der Spaltung entlang nationaler, ethnischer und konfessioneller Linien) lösen und die wirklich revolutionären und fortschrittlichen Kräfte über religiöse und nationale Grenzen hinweg umgruppieren kann. Dies lässt sich nicht dadurch erreichen, dass man diejenige Kraft unterstützt, die im Moment als am wenigsten reaktionär gilt. Es kommt vielmehr darauf an, die fortschrittlichen Impulse in jedem Lager – Alawiten, Sunniten, Araber, Kurden usw. – von den reaktionären Kräften zu trennen, die diese Impulse zur Durchsetzung von Eigeninteressen ausnutzen. Das ist nicht der leichteste Weg, aber der einzige, der den Völkern Syriens und der Region eine Zukunft bietet.
Das reaktionäre baathistische Regime
2011 brachen in ganz Syrien Proteste aus, die die demokratischen Bestrebungen einer Bevölkerung widerspiegelten, die seit 1970 unter der dynastischen Diktatur der Assad-Familie gelebt hatte. Das Regime antwortete mit einer Welle brutaler Unterdrückung und machte so aus einer Protestbewegung nach und nach einen Bürgerkrieg. Um diese Entwicklung zu verstehen, muss man sich die grundlegenden Merkmale des baathistischen Regimes unter Baschar al-Assads Führung vor Augen führen.
Die syrische Baath-Partei hatte als Grundlage das panarabische Projekt, die verschiedenen Völker der Region in einem gemeinsamen nationalen Modernisierungsprojekt zu vereinen. Zeitweise gab sich das Regime einen sozialistischen Anstrich und verstaatlichte große Teile der Industrie. Doch wie in vielen arabischen und muslimischen Ländern bestand die soziale Basis des Regimes im Wesentlichen aus den hochrangigen Militärs und engen Kreisen einer kosmopolitischen Wirtschaftselite. Während diese Schichten in gewisser Hinsicht fortschrittliche, auf Säkularismus und Modernität ausgerichtete Bestrebungen verkörpern, sind ihre Klasseninteressen letztlich rein eigennützig und stehen im Widerspruch zu denen der verarmten Masse der Bevölkerung. In Wahrheit war der Antiimperialismus der Assads immer sehr fadenscheinig: Kriegseintritt in den libanesischen Bürgerkrieg mit stillschweigender Zustimmung von Amerika und Israel, Beteiligung am Golfkrieg 1991 und Zusammenarbeit mit Bush bei seinem „Krieg gegen den Terror“ in dessen Anfangsjahren.
Wenn sich Regime wie das von Assad zur Unterdrückung ihres Volkes hinter einer säkularen und sogar sozialistischen Fassade verstecken, formiert sich die Opposition gegen sie im Allgemeinen entlang religiöser und konfessioneller Trennlinien und eben nicht entlang von Klassengrenzen. So war es beim Arabischen Frühling 2011, als die Volksaufstände, die in städtischen Zentren gegen die Diktaturen in Tunesien, Ägypten, Syrien und anderen Ländern begannen, zunehmend den Charakter eines religiösen Kampfes der unterdrückten sunnitischen Massen gegen die säkularen Militäreliten annahmen. In Syrien wurde diese Dynamik durch die Tatsache verstärkt, dass die Grundlage des Assad-Regimes auf die Glaubensgruppe der Alawiten beschränkt ist, die nur einen kleinen Teil der syrischen Bevölkerung stellt, von der über 70 Prozent sunnitisch sind.
Dies bedeutete, dass Assad bei Ausbruch der Proteste nur auf eine sehr kleine Unterstützerbasis in der Gesellschaft zählen konnte. Um sich an der Macht zu halten, konnte er nur auf die Teile der syrischen Armee zurückgreifen, deren Loyalität außer Frage stand. Als dann die Unzufriedenheit zunahm, griffen die Regierungstruppen zu immer blutigeren Taktiken, um Einsatzkräfte zu sparen. Die Truppen des Regimes bombardierten massiv Stadtgebiete, insbesondere sunnitische Viertel. Dieses Vorgehen und die Einmischung ausländischer Mächte trugen aktiv dazu bei, dass sich der Volksaufstand in einen konfessionellen Bürgerkrieg verwandelte.
Es steht außer Frage, dass die USA und ihre Verbündeten versuchten, die syrische Regierung zu destabilisieren und schließlich zu stürzen. Sie verhängten nicht nur erdrückende Wirtschaftssanktionen gegen das Land, sondern bewaffneten, trainierten und finanzierten auch verschiedene Rebellengruppen. Die Verteidiger des Assad-Regimes verweisen auf diese Tatsachen als Argumente dafür, dass man es als kleineres Übel gegen die pro-imperialistischen konfessionellen Kräfte, aus denen sich die Rebellion zusammensetzt, unterstützen musste.
Es war sicherlich notwendig, sich der Aggression des westlichen Imperialismus gegen Syrien entgegenzustellen. Aber das Regime führte zu keiner Zeit einen nationalen Verteidigungskrieg gegen den Imperialismus, und es lag nicht im Interesse der Arbeiterklasse, es zu verteidigen. Trotz seines panarabischen Anspruchs stellte das baathistische Regime nie eine echte nationale Regierung dar. Der von ihm geführte Krieg ging nicht darum, das arabische Volk gegen eine ausländische Aggression zu vereinigen. Vielmehr war es immer ein Krieg für den Machterhalt der kleinen Clique korrupter Assad-Loyalisten, die sich auf die Alawiten stützten. Gerade die konfessionelle und diktatorische Grundlage des Regimes hat, mehr noch als Geld, Waffen oder Sanktionen, die zentralisierte syrische Regierung untergraben und schließlich zu ihrem Zusammenbruch geführt.
Durch die Unterdrückung der sunnitischen Araber und der Kurden, die Verweigerung elementarer demokratischer Rechte und die Abschöpfung des Reichtums des Landes hat das Assad-Regime den Imperialisten und Regionalmächten den Weg geebnet, sich die Situation zur Durchsetzung ihrer eigenen reaktionären Pläne zunutze zu machen. Das Regime konnte man nicht verteidigen, denn es trug nicht zur Verteidigung Syriens gegen die imperialistische Ausplünderung bei, sondern untergrub sie. Das Eingreifen Russlands und des Iran zur Unterstützung von Assad war eigennützig und reaktionär, nicht antiimperialistisch.
Viele in Syrien und international unterstützten das Assad-Regime nicht aus korruptem Eigeninteresse, sondern weil sie in ihm das einzige Bollwerk gegen religiöse Reaktion und die Zerstückelung Syriens sahen. Viele Alawiten und andere Minderheiten unterstützten das Regime nicht aus Liebe zu Assad, sondern weil sie befürchteten, Ziel von Racheakten zu werden, wenn er seine Macht verliert. Diesen Schichten galt und gilt es zu zeigen, dass nationale Einigung, langfristige Sicherheit für Minderheiten sowie sozialer und demokratischer Fortschritt nur in Opposition zum baathistischen Regime erreicht werden können. Andere, darunter die Hisbollah, unterstützten das Regime militärisch, da sie die Folgen seines Zusammenbruchs für den Kampf gegen Israel fürchteten. Diesen Leuten hätte man aufzeigen müssen, dass Assads konfessionelle Spaltungen diesen regionalen Kampf schwächten.
All das macht deutlich, dass die Aufgabe nicht darin bestand, die Assad-Tyrannei zu verteidigen, sondern sie auf fortschrittliche Weise zu stürzen. Dies ist jedoch eindeutig nicht geschehen.
Das Scheitern der demokratischen Revolution
Wie konnte die Bewegung gegen Assad, die als spontaner Aufstand für demokratische Rechte begann, zunehmend von reaktionären islamistischen Kräften dominiert werden und zum offenen Tummelplatz für ausländische Mächte werden? Wir haben bereits gesehen, wie das Assad-Regime selbst zu dieser Entwicklung beitrug. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, muss man auch die Dynamik und das Versagen innerhalb der Opposition und der verschiedenen Rebellengruppen betrachten.
In Ländern, die von Diktaturen regiert werden, die dem Westen gegenüber feindlich sind, gibt es unter Progressiven eine starke Neigung, auf imperialistische Demokratien als Gegengewicht zu setzen. Das Beispiel des syrischen Bürgerkriegs zeigt, welch fataler Fehler dies ist. Im Grunde ist vor allem der Glaube an die westliche Demokratie die Erklärung dafür, warum Assad schließlich von fundamentalistischen islamistischen Kräften gestürzt wurde und nicht von einer Bewegung, die für die revolutionären demokratischen Bestrebungen steht, von denen die Völker in Syrien anfangs aufgerüttelt wurden.
Als Assad seine Sicherheitskräfte einsetzte, um die Unzufriedenheit brutal zu unterdrücken, bildeten sich örtliche Milizen zur Verteidigung der Gemeinschaften. Schließlich stießen immer mehr Überläufer von Regierungstruppen hinzu. Während des gesamten Bürgerkriegs mussten Sozialisten und Werktätige die von kommunalistischen Massakern bedrohten Gemeinden verteidigen. Was jedoch als heroische Selbstverteidigungsbewegung begann, wurde schließlich zu einem militärischen Feldzug gegen die Regierung, der sich den Interessen der westlichen Imperialisten unterordnete. So kam es nicht nur zu militärischen Desastern, sondern auch zum Verrat an jeder Hoffnung auf eine demokratische und soziale Revolution in Syrien.
In einem Bericht aus dem Jahr 2016 berichtet Félix Legrand von der Arabischen Reforminitiative ausführlich über einige Gründe für die Marginalisierung der Freien Syrischen Armee (FSA), der wichtigsten Rebellentruppe in der Anfangsphase des Bürgerkriegs. Als erstes stellt der Bericht fest, wie die politische Zersplitterung die FSA gelähmt hat (kann es aber nicht erklären). Der Grund dafür ist, dass die FSA zwei zueinander widersprüchliche Kräfte repräsentierte. Auf der einen Seite die Bestrebungen der Bevölkerung nach demokratischem und sozialem Fortschritt und auf der anderen Seite die Interessen ausländischer Mächte.
Aufgrund ihrer Unterordnung unter den Imperialismus war die FSA nie in der Lage, die arbeitende Bevölkerung Syriens im gemeinsamen Kampf gegen die wirtschaftlichen Interessen der Elite und für Demokratie zu vereinen. Schließlich wollen sowohl die USA als auch ihre Verbündeten auf gar keinen Fall, dass in Syrien ein starker, demokratischer – geschweige denn sozialistischer – Staat entsteht. Und so war das demokratische Programm der FSA letzten Endes zusammenhangslos und stand nur auf dem Papier. Im Gegensatz dazu konnten sich sowohl die islamistischen als auch die kurdischen Kräfte auf ein jeweils gemeinsames Projekt einigen, religiös für erstere, national-demokratisch für letztere.
Zum Schluss seines Berichts stellt Legrand fest:
„Was die FSA zur Randerscheinung auf den Schlachtfeldern gemacht hat, ist ihre Unfähigkeit, sich ausländischen Unterstützern zu widersetzen und einen gewissen Einfluss auf die ihnen auferlegten Entscheidungen auszuüben.“
Tatsächlich wurde es im Laufe des Bürgerkriegs für alle immer offensichtlicher, dass die FSA keine Bewegung zur Befreiung der syrischen Bevölkerung darstellte, sondern ein Werkzeug Washingtons war. Das zeigte sich am deutlichsten daran, dass sie mehrfach dazu gezwungen war, die Feindseligkeiten gegen Assad einzustellen, um dringendere Interessen der USA durchzusetzen, sei es beim Kampf gegen den IS oder bei der Sicherung der jordanischen Grenze.
Diese fügsame Unterwerfung wurde von den islamistischen Kräften zu Recht als Verrat gebrandmarkt und trug zu der großen Zahl von Überläufern aus den Reihen der FSA bei. Im weiteren Verlauf des Bürgerkriegs verlor die FSA immer weiter an Bedeutung, und islamistische Kräfte wurden mehr und mehr zur einzigen wirklichen militärischen Opposition gegen Assad.
Was war also der richtige Weg für diejenigen, die auf eine soziale und demokratische Revolution in Syrien hofften? Die „demokratische“ FSA weiterhin zu unterstützen und für mehr westliche Unterstützung zu werben? Nein. Eine Unterstützung durch den Westen ist niemals den Preis wert, der dafür verlangt wird: politische Unterwürfigkeit. Noch falscher war es, eine direkte militärische Intervention zu fordern, wie es viele taten. Das hätte nur die Versklavung Syriens durch den Imperialismus bedeutet – ein noch schlimmeres Ergebnis als das, mit dem wir es heute zu tun haben. Was ist mit den islamistischen Kräften? Musste man sie als die einzige Kraft unterstützen, die den Kampf gegen Assad objektiv vorantreibt? Offensichtlich nicht. Ihr Sieg stellt ebenso wenig einen Fortschritt dar wie die fortgesetzte Herrschaft Assads. Diejenigen, die das bezweifeln, werden sich früh genug selbst davon überzeugen können.
Was notwendig war, aber während des gesamten Konflikts fehlte, war ein echter Kampf unter den demokratischen Kräften für eine völlige Abkehr von der Unterordnung unter die USA. Waffen von jedem anzunehmen, von dem man sie bekommen kann, ist eine Sache, aber sich dabei zum Sklaven der reaktionärsten Mächte der Welt zu machen ist etwas ganz anderes. Eine klare und grundsätzliche Opposition gegen die USA und ihre Stellvertreter hätte es ermöglicht, den Kampf gegen Assad zu einem festen Bestandteil der Befreiung der gesamten Region vom Imperialismus zu machen. Dies hätte einerseits die Anziehungskraft des Regimes untergraben, das sich als einziger Verteidiger von Syriens nationaler Unabhängigkeit darstellte. Es hätte aber auch dazu beigetragen, den Konflikt zu einem echten demokratischen und nationalen Aufstand zu machen und die Voraussetzung zu schaffen, die verschiedenen ethnisch-konfessionellen und religiösen Gruppierungen zu polarisieren und zu spalten.
Die entscheidende Lehre ist letztendlich, dass eine radikal-demokratische, sozialistische Lösung in Syrien nur in Opposition zu den USA und Israel zustande kommen konnte.
Die kurdische Frage
Für viele, besonders in der Linken von Türkiye und Westeuropa, stellen die kurdischen Kräfte unter der Führung der Volksverteidigungseinheiten (YPG) eine echte revolutionäre und demokratische Alternative im syrischen Bürgerkrieg dar. Es stimmt, dass der national-demokratische Aufstand in Rojava das Potenzial dazu hatte, ein echtes Leuchtfeuer für nationale Befreiung und sozialen Fortschritt in ganz Westasien zu sein. Doch die in die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) umgruppierten kurdischen Streitkräfte haben sich ebenso wie die FSA den USA untergeordnet und spielen somit eine insgesamt reaktionäre Rolle.
Es war eine Sache, angesichts der Gefahr ethnischer Auslöschung Hilfe von den USA anzunehmen und ein objektives Bündnis einzugehen. Das war 2014 bei der Belagerung von Kobanê durch IS-Streitkräfte der Fall. Dabei war es eine sterile und reaktionäre Absurdität, einem Volk die Mittel zu verweigern, sich in einer solchen Lage auf jede erdenkliche Weise zu verteidigen1. Eine ganz andere Sache war es jedoch, eine gemeinsame Offensive mit US-Truppen in mehrheitlich von Arabern bewohnte Gebiete zu eröffnen, wie es die SDF getan haben.
Selbstverständlich war der IS eine äußerst reaktionäre Kraft und stellte eine Bedrohung für alle religiösen und nationalen Minderheiten in der Region dar. Seine Stärke lag jedoch vor allem in der brutalen Unterdrückung der Sunniten nach der US-Invasion des Irak. Die militärische Niederlage des IS trug nichts dazu bei, das Problem an der Wurzel zu packen. Ganz im Gegenteil: Die weitreichende Verwüstung von Städten wie Rakka durch die USA mit Hilfe kurdischer Kräfte kann nur noch mehr Feindseligkeit hervorrufen.
Statt ein potenzielles Leuchtfeuer für revolutionären antiimperialistischen Widerstand zu sein, werden die YPG und die kurdischen Kräfte nun von vielen in der Region für Agenten der USA gehalten. Zum Beispiel sind sie direkt verantwortlich für die Ausplünderung syrischen Öls durch die Amerikaner. Nichts verdeutlicht die bankrotte Position der kurdischen Führung mehr als ihre ausweichende Haltung zum Völkermord an den Palästinensern in Gaza, mit der sie das Ziel verfolgt, ihre Verbündeten nicht zu verprellen. Die kurdische Nationalbewegung hält sich vom internationalen Kampf gegen Israel seit dem 7. Oktober auffallend fern und hat kürzlich einen diplomatischen Dialog mit Tel Aviv aufgenommen. Zwar könnte die Palästinafrage die perfekte Brücke sein, um die Sache der Kurden und der übrigen Region, auch von Türkiye, miteinander zu verbinden, doch isoliert das Ausbleiben konkreter Aktionen kurdischer linker Organisationen zur Verteidigung Palästinas die Kurden einmal mehr und macht sie anfälliger für künftige Angriffe und noch abhängiger von den USA.
Die kurdische nationale Bewegung muss dringend zu ihren eigenen Bedingungen die Allianz mit den USA abbrechen. Dies ist nicht nur für die Befreiung der gesamten Region aus den Fängen des US-Imperialismus elementar notwendig, sondern auch für die nationale und soziale Befreiung der Kurden selbst, in Syrien und darüber hinaus.
Wie weiter?
Der Zusammenbruch des Assad-Regimes hat ein gewisses Vakuum und eine Offenheit für politische Debatten geschaffen. Diese Gelegenheit wird wahrscheinlich nicht von langer Dauer sein und muss dazu genutzt werden, den Kampf gegen das neue Regime zu organisieren und eine politische Neuausrichtung herbeizuführen. Was während des gesamten Bürgerkrieges gefehlt hat, ist eine wirklich antiimperialistische, demokratische und sozialistische Alternative. Die vor uns liegende Aufgabe besteht darin, eine solche Alternative aufzubauen und dabei die Lehren aus dem Bürgerkrieg zu ziehen.
Erstens: Nur durch Opposition zur imperialistischen Unterdrückung der gesamten Region können wir mit der Vereinigung der Völker Westasiens beginnen. Arbeiter und Bauern aus Türkiye, Kurdistan, Syrien, Iran, Libanon, Palästina und Irak werden alle durch das von den USA beherrschte internationale System unterdrückt. Ausgangspunkt muss der Widerstand gegen die wirtschaftliche und militärische Plünderung durch die USA und ihre Verbündeten sein, insbesondere durch Israel, das immer weitere Teile Südsyriens und des Libanon erobert.
Zweitens: Echte Einigkeit gegen ausländische Unterdrückung kann nur durch die Anerkennung der demokratischen Rechte religiöser und nationaler Minderheiten erreicht werden. Die Imperialisten haben die Region so gestaltet, dass sie deren Bevölkerung spalten können; nur echte Selbstbestimmung kann diese Wunden heilen. Wir müssen für ein Palästina und ein Kurdistan kämpfen, die frei sind von nationaler Unterdrückung. Wir müssen gegen staatliche Verordnung von Religion und für die Emanzipation der Frauen kämpfen.
Zu guter Letzt: Wenn der syrische Bürgerkrieg und der Palästinakonflikt eines gezeigt haben, dann dass die herrschenden Eliten der arabischen und muslimischen Welt korrupte Verräter sind, die die Befreiung ihres Volkes für kurzfristige wirtschaftliche oder politische Vorteile opfern werden. Jeder Kampf für Demokratie und Befreiung vom Imperialismus wird gegen diese Gesellschaftsklasse geführt werden müssen, egal wie antiimperialistisch sie gelegentlich auch tönt. Die Zukunft des Nahen Ostens und Syriens liegt in den Händen der arbeitenden Menschen und nicht der Eliten. Gemeinsam gegen den US-Imperialismus und seine Lakaien – für eine sozialistische Föderation Westasiens!
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1 Diese falsche Herangehensweise vertrat die IKL in ihrer Berichterstattung über die Schlacht von Kobanê und den gesamten syrischen Bürgerkrieg. Der vorliegende Artikel stellt eine Korrektur dar, die im Einklang mit unserer allgemeineren Neuausrichtung steht. Siehe „Zur Verteidigung der permanenten Revolution“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 34, Dezember 2023.