https://iclfi.org/pubs/spk/228/ukraine-krieg
An die Russland-Unterstützer
Ist es das, was ihr wolltet? Russland ist im Begriff, seine Kriegsziele zu erreichen. Selenskyj wird bald weg sein, die Ukraine entmilitarisiert werden und die NATO-Osterweiterung zum Stillstand kommen. Entweder werden die USA diesen Bedingungen zustimmen und die Ukraine an die russische Einflusssphäre abtreten oder russische Panzer werden durch die Ukraine rollen und sie auf direktem Wege durchsetzen. Trump macht keinen Hehl daraus, dass er durch ein Abkommen mit Russland das Ziel verfolgt, militärische Ressourcen weg von Russland nach China zu verlagern. Was das Schicksal der Ukraine angeht, stellt sich lediglich noch die Frage, wieviel ihres Territoriums unter direkter russischer Besatzung stehen und wieviel davon neokolonialer Ausbeutung unter dem amerikanischen Stiefel unterworfen sein wird.
Ist dies auch nur ansatzweise ein Sieg für die Arbeiterklasse in der Ukraine, in Russland oder anderswo? Sicherlich nicht. Dennoch haben viele Linke und sozialistische Organisationen aktiv auf dieses Ergebnis hingearbeitet, indem sie einen militärischen Sieg Russlands unterstützten. Real ist ein russischer Sieg zwar eine Demütigung für die USA, aber er bringt die Sache der Unterdrückten in keiner Weise voran.
Haben die jüngsten Entwicklungen dazu geführt, dass die pro-russischen Sozialisten ihre Position überdenken? Leider nicht. Es herrscht allerdings eine ominöse Stille. Zumindest scheinen die meisten von ihnen zu verstehen, dass es an der gegenwärtigen Lage nichts zu feiern gibt. Der sich abzeichnende russische Sieg fühlt sich durchaus nicht so an wie der Einmarsch des Vietcong in Saigon oder selbst die Flucht der Amerikaner mit eingekniffenem Schwanz aus Afghanistan. Was ist also schiefgelaufen? Wie kam es dazu, dass so viele Linke in einem der entscheidendsten Weltkonflikte eine so falsche Position einnehmen?
Die Logik der pro-russischen sozialistischen Position ist folgende: Sie beginnt ganz richtig damit, den Krieg in der Ukraine als einen Stellvertreterkrieg zu benennen, der von den USA durch die NATO-Erweiterung bis an die Grenzen Russlands provoziert wurde. Und da die USA der imperialistische Hegemon und Russland nur eine Regionalmacht ist, erklären diese Linken, dass ein russischer Sieg die USA schwächen und somit im Interesse der internationalen Arbeiterklasse sein würde. Diese Methode hat allerdings mehr mit Buchhaltung zu tun als mit Marxismus. Etwas ist nicht automatisch fortschrittlich, nur weil es ein Schlag gegen den Imperialismus ist.
Marxismus besteht nicht darin, einer bestimmten Situation vorgefertigte Formeln aufzukleben. Vielmehr versucht er, den Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse ausgehend von der lebendigen Realität voranzubringen. Im Ukraine-Krieg, wie in jedem anderen auch, versuchen Marxisten, die Einheit des Proletariats über Grenzen hinweg zu fördern. Aber diese Einheit ist unmöglich, wenn die Arbeiter einer dominierenden Nation ihre eigene herrschende Klasse bei der Unterdrückung einer anderen Nation unterstützen.
Insofern ist es von Bedeutung, dass die USA nicht direkt in russisches Hoheitsgebiet einmarschiert sind (wie sie es im Irak taten), sondern dass Russland als Reaktion auf die Provokationen der USA in die Ukraine einmarschiert ist. Russland ist nicht von nationaler Unterdrückung bedroht. Die Ukrainer und die russischen Minderheiten in der Ukraine sind dieser Bedrohung ausgesetzt. Tatsächlich war von Anfang an klar, dass ein Sieg in diesem Krieg, egal auf welcher Seite, auf Kosten einer dieser beiden Gruppen gehen wird. Das heißt, dass die Einheit der Arbeiter nicht durch den Sieg einer der beiden kriegführenden Seiten erreicht werden kann.
Aber was ist mit der Niederlage des US-Imperialismus in der Ukraine? Warum wird das keinen Sieg für die Arbeiterklasse bedeuten? Die Antwort ist einfach. Wir haben es hier nicht mit einem Land zu tun, das von ausländischer Unterdrückung befreit wird, sondern lediglich mit der Ablösung einer Unterdrückermacht durch eine andere. Zudem haben US-Truppen nicht in der Ukraine gekämpft. Ein russischer Sieg ist keine unmittelbare Niederlage für das US-Militär und wird kaum zu Unzufriedenheit in den eigenen Reihen oder in der amerikanischen Gesellschaft insgesamt führen. Auch hierin besteht ein großer Unterschied zu Vietnam, Afghanistan und Irak. Für die USA bestand Plan A darin, die Ukraine zu benutzen, um Russland eine strategische Niederlage beizubringen. Da dies fehlschlug, wechseln sie zu Plan B: die Ukraine ihrem Schicksal überlassen, ein Abkommen mit Russland aushandeln und sich auf China konzentrieren. Wie soll dies ein Sieg für die Arbeiter sein?
Die Anzeichen sind bisher nicht vielversprechend; aber da die reaktionären Folgen eines russischen Sieges immer deutlicher werden, hoffen wir, dass die Sozialisten, die Russland unterstützen, endlich aufwachen und die richtigen Lehren aus dieser Erfahrung ziehen.
An die Ukraine-Unterstützer
Donald Trump brauchte nur eine Stunde, um der Welt die wahre Natur der Beziehungen zwischen der Ukraine und den USA vor Augen zu führen. Bei seinem Treffen mit Selenskyj im Weißen Haus machte er deutlich, dass die USA von der Ukraine erwarten, ein unterwürfiger Erfüllungsgehilfe zu sein. Trumps Demütigung Selenskyjs war eine groteske Zurschaustellung von Großmachtchauvinismus, aber das hat man davon, wenn man sein Schicksal an die reaktionärste Kraft der Welt bindet. Wie Henry Kissinger sagte: „Es mag gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein, aber Amerikas Freund zu sein ist tödlich.“
Die zahlreichen Sozialisten, die die Ukraine unterstützen, meinen, Trump habe vor Putin kapituliert. In Wahrheit haben sich die US-Machthaber nie um die Unabhängigkeit der Ukraine geschert. Die Rufe nach „Freiheit für die Ukraine“ wurden von den westlichen Machthabern zynisch für ihre eigenen Interessen ausgenutzt. Wo Biden ein Heuchler war, ist Trump ehrlich. Das Problem ist, dass sich wichtige Teile der Linken die liberale Propaganda des Weißen Hauses von Biden zu eigen gemacht haben. Für sie ist die Beteiligung der USA ein zweitrangiger Faktor; was wirklich zählt, sei der Kampf gegen die russische Aggression. Eine solche Sichtweise beruhte schon immer auf der Verleugnung des politischen Kräftespiels in Osteuropa, wo die USA seit 1990 ständig in der Offensive sind. Aber heute, wo die US-Herrscher offen aussprechen, dass die Ukraine nur ein Erfüllungsgehilfe ist, muss man schon sehr realitätsfremd sein, um zu glauben, dass die nationale Befreiung der Ukraine die zentrale Frage in diesem Krieg war.
Seit 2008, als die NATO der Ukraine die Tür zum Bündnis öffnete, waren die USA eindeutig die treibende Kraft des Konflikts. Die ukrainische herrschende Klasse schloss einen Pakt mit dem Teufel, in der Annahme, die USA würden bereit sein, in der Konfrontation mit Russland und bei der Verteidigung der „Freiheit“ aufs Ganze zu gehen. Das rächt sich jetzt: Große Teile des Landes sind von militärischer Besetzung bedroht, ukrainische Männer werden auf dem Schlachtfeld massakriert, die Städte sind zerbombt, die Wirtschaft ist am Boden zerstört. Dies zeigt einmal mehr, dass sich Unterordnung unter den US-Imperialismus niemals auszahlt.
Die konsequentesten pro-ukrainischen Stimmen auf der Linken unterstützen die Bewaffnung der Ukraine durch den Westen mit dem Argument, es spiele keine Rolle, woher die Waffen kommen, solange sie für die nationale Verteidigung der Ukraine eingesetzt werden. Tatsächlich ist klar zu sehen, dass es doch eine Rolle spielt. Die gesamte Militärstrategie der Ukraine ist von der Unterstützung durch den Westen abhängig. Damit diktierte der Westen der ukrainischen Armee, wie sie den Krieg zu führen hat. Jetzt, wo die USA die Waffenlieferungen einstellen wollen (worauf die Europäer bald folgen werden), ist die Ukraine völlig unfähig, sich unabhängig selbst zu verteidigen.
Der Schulterschluss mit dem westlichen Imperialismus hat auch wichtige politische Konsequenzen. Er ermöglichte es der russischen herrschenden Klasse, in die Ukraine einzumarschieren, unter dem Vorwand, einen Verteidigungskrieg gegen den westlichen Imperialismus zu führen – gegen die Macht, die das russische Volk nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zugrunde gerichtet hat. Hinzu kommt die chauvinistische Politik der ukrainischen Regierung, vom Verbot der russischen Sprache und dem ständigen Beschuss von Donezk bis hin zum Plan, die Krim und die Regionen der Ostukraine, deren Bevölkerung sich als russisch versteht, zurückzuerobern. Dies alles machte die ukrainischen Kriegsanstrengungen ebenso reaktionär wie die der Russen.
Wir sehen jetzt die katastrophalen Folgen davon, dass sich die ukrainische Arbeiterbewegung den Chauvinismus ihrer Regierung zu eigen gemacht hat. Dies trug nicht nur dazu bei, dass das russische Volk gegen die Ukraine mobilisiert werden konnte, sondern machte es auch unmöglich, die russischen Werktätigen jemals davon zu überzeugen, sich gegen das Putin-Regime zu wenden und sich mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in der Ukraine zu verbünden. Sozialisten auf der ganzen Welt müssen aus diesem Debakel lernen!
Seit Februar 2022 konnte der Krieg nur dann einen fortschrittlichen Ausgang nehmen, wenn sich die Soldaten und Arbeiter beider Seiten gegen ihre eigenen Machthaber wenden und gegen ihre Ausbeuter vereinigen würden. Dies ist kein frommer Wunsch, sondern eine objektive Notwendigkeit. Das Überleben der ukrainischen Nation hängt davon ab, dass die Arbeiter sich der Selenskyj-Clique entledigen und die Verbindung zum westlichen Imperialismus abbrechen. Die russischen Arbeiter wiederum haben kein Interesse daran, zum Wohle der Oligarchen für die Unterjochung der Ukraine zu kämpfen, genauso wenig wie sie ein Interesse an der Unterdrückung nationaler Minderheiten innerhalb Russlands haben. Wenn sie die Bedrohung durch den Imperialismus wirklich zurückschlagen wollen, müssen sie mit einer internationalistischen Strategie ein Bündnis mit den Arbeitern Europas anstreben.
Die IKL hat konsequent für diese Haltung gekämpft. Wir haben deutlich gesagt, dass die USA der Hauptverursacher des Konflikts sind – wie bei den meisten Konflikten in der Welt. Aber wir haben auch davor gewarnt, dem russischen Regime ein antiimperialistisches Zeugnis auszustellen, das es in keiner Weise verdient. Wir haben stets für eine Perspektive der Verbrüderung, des revolutionären Defätismus und des Internationalismus gekämpft. Anstelle der leeren Formeln, mit denen die Linke die Unterstützung einer der beiden reaktionären Seiten in diesem Krieg rechtfertigt, hat sich unsere Intervention von dem grundlegendsten aller marxistischen Prinzipien leiten lassen: Proletarier aller Länder, vereinigt euch!