https://iclfi.org/spartacist/de/35/palaestina
Der folgende Artikel beruht auf einem Referat,das Lital Singer auf einer Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees der IKL im März 2024 gehalten hat.
Der Gazastreifen liegt in Schutt und Asche. Israelische Bombenangriffe und Bodenoffensiven haben in neun Monaten unzählige Palästinenser abgeschlachtet und dieses Freiluftgefängnis in eine Hölle auf Erden verwandelt. Im Westjordanland vertreiben israelische Truppen und zionistische Schlägertrupps die Palästinenser aus ihren Häusern, die sie mit Bulldozern dem Erdboden gleich machen, um neue jüdische Siedlungen zu errichten. Die Massenproteste, die nach der Offensive der Hamas am 7. Oktober weltweit ausbrachen, haben diesem Völkermord kein Ende gesetzt, und die Bewegung verliert an Schwung. Die arabischen Staaten ihrerseits haben für die belagerten Palästinenser meist nur leere Unterstützungsgesten übrig. Von den USA mitgetragene Waffenstillstandsverhandlungen, UN-Resolutionen und Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs dienen nur als diplomatisches Feigenblatt, während die USA und andere imperialistische Mächte den zionistischen Staat weiter aufrüsten und unterstützen. Unterdessen kommt Israel seinem zionistischen Ziel immer näher, ganz Palästina zu besetzen, from the River to the Sea.
Inmitten dieser Katastrophe wiederholen die meisten Linken die absurde Behauptung der palästinensischen Nationalisten, der Kampf komme gut voran und sei auf dem Weg zum Sieg. Eine gängige Parole ist „Palästina ist fast frei“. Es stimmt, dass die Sache der Palästinenser in der Öffentlichkeit viel Sympathie genießt, dass Israel Hunderte von Soldaten verloren und sein internationaler Ruf gelitten hat. Aber die Palästinenser stehen vor der Vernichtung, nicht vor der Befreiung. Um dem palästinensischen Kampf einen Weg nach vorn zu weisen, muss man als erstes die Wahrheit über die gegenwärtige Situation sagen. Weit davon entfernt, jubeln die meisten marxistischen Gruppen international die Bewegung hoch, während diese auf ihre Niederlage zusteuert. Anstatt für einen anderen Kurs zu kämpfen, folgen sie der Führung der Bewegung, ob liberal oder nationalistisch. So sind die sogenannten Marxisten zwar im Kampf allgegenwärtig, aber für dessen Ausgang weitgehend irrelevant.
Das ist kein neues Problem, sondern nur eine Neuauflage des seit einem Jahrhundert andauernden Versagens der marxistischen Bewegung, eine revolutionäre Strategie für den palästinensischen Befreiungskampf zu formulieren. Vom Zickzackkurs der frühen Kommunistischen Partei Palästinas (PKP) über Stalins Unterstützung für die Nakba 1948 bis hin zur Hochjubelung von Jassir Arafats Palästinensischer Befreiungsorganisation (PLO) in den 1970er-Jahren hat die marxistische Bewegung in der Palästinafrage eine katastrophale Bilanz vorzuweisen, da sie sich nicht als ernstzunehmender Pol gegen Zionismus, Nationalismus und Imperialismus erwiesen hat. Heute ist es dringender denn je, die Lehren aus diesem Versagen zu ziehen und einen Kurs aufzuzeigen, wie der zionistische Staat besiegt und der Weg zur Befreiung und sozialen Emanzipation der Palästinenser geebnet werden kann.
Das ist das Ziel dieses Dokuments, das auf der Grundlage einer materialistischen Analyse der Palästinafrage die Ursache für das Scheitern in der Vergangenheit erklärt und einen Weg aufzeigt, der wirklich zum Sieg führt.
Der Charakter der Palästinafrage
Um die Palästinafrage zu verstehen, muss man ihre Ursprünge und ihre Entwicklung betrachten. Im Ersten Weltkrieg eroberten die Briten das Territorium Palästinas vom zerfallenden Osmanischen Reich. Zu dieser Zeit war die jüdische Bevölkerung eine kleine, schon lange in dem Gebiet ansässige Minderheit. Doch in der Balfour-Deklaration von 1917 unterstützten die Briten das zionistische Kolonialprojekt, aus diesem arabischen Land eine jüdische „Heimstätte“ herauszuschneiden. Dieses zynische Manöver sollte einen nationalen Konflikt in der Region schüren, um die britische Herrschaft besser durchsetzen zu können. Jüdische Kolonisten aus Europa wanderten nach Palästina aus, kauften Land von arabischen Großgrundbesitzern und vertrieben massenhaft die Bauern. Da der Zionismus für sein Überleben auf die direkte Unterstützung des Imperialismus – zunächst des britischen, dann des amerikanischen – angewiesen war, baute sich die jüdische Siedlerkolonie zu einer Festung der imperialistischen Reaktion gegen den übrigen Nahen Osten aus.
Der Zionismus war von Anfang an eine reaktionäre nationalistische Antwort auf die Unterdrückung der Juden und beruhte auf der Enteignung und Vertreibung des palästinensischen Volkes aus seinem Heimatland. Die Zionisten gingen unter den Losungen „Eroberung der Arbeit“ und „Eroberung von Land“ nach Palästina, wohl wissend, dass Arbeit und Land durch die Vertreibung der arabischen Bevölkerung erobert werden sollten. Rechtsgerichtete Zionisten, die allgemein als „Revisionisten“ bezeichnet wurden, haben dieses Ziel immer konsequent verfolgt. Der liberale Zionismus, in der Vergangenheit als „sozialistischer“ oder Arbeiterzionismus bekannt, war immer heuchlerisch und versuchte, die erhabenen Prinzipien des „Sozialismus“ und der liberalen Demokratie mit der völkermörderischen Logik des zionistischen Projekts zu vereinbaren.
Natürlich rief die zionistische Expansion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei der arabischen Bevölkerung eine wachsende Gegenreaktion hervor, die sich in immer heftigeren Aufständen entlud. Gerade durch diese Kämpfe entwickelten die Palästinenser ein Nationalbewusstsein, das sich von dem der arabischen Bevölkerung in der übrigen Region unterschied. Ursprünglich kamen die Führer des palästinensischen Kampfes aus den Schichten der traditionellen arabischen Eliten, deren Interessen durch die Zionisten unmittelbar bedroht waren. Diese Schichten waren aber auch mit den Briten verbunden, die ihnen eine privilegierte Stellung gegenüber den arabischen Massen garantierten. Von den frühen traditionellen Eliten bis zu den modernen Nationalisten vertrat die Führung der palästinensischen Bewegung immer die Interessen einer Oberschicht, die zwar gezwungen ist, dem zionistischen Projekt entgegenzutreten, aber aufgrund ihrer Klassenlage unfähig ist, dem Imperialismus und dem Zionismus Niederlagen zuzufügen.
Die brutale Ausbeutung der Palästinenser und ihr heldenhafter Widerstand stellen sie an die Spitze des Kampfes gegen den Imperialismus im Nahen Osten. Doch die arabischen, türkischen und iranischen Massen sind gespalten und auf rivalisierende Staaten verteilt, die von einer Clique von Monarchen, Klerikern und Diktatoren regiert werden, die ihre reaktionären Interessen über den Kampf gegen Imperialismus und Zionismus stellen. Das historische Problem der palästinensischen Befreiungsbewegung besteht darin, dass sie die Unterstützung dieser Oberschichten sucht, anstatt die gesamte arbeitende Bevölkerung des Nahen Ostens zu vereinigen im Kampf gegen ihre eigenen Herrscher und die imperialistischen Oberherren. Dieses Problem ergibt sich aus dem Nationalismus selbst, der Konflikte ausschließlich durch die Brille des nationalen Antagonismus betrachtet. So können sich die palästinensischen Nationalisten nur vorstellen, gegen die gesamte israelische Nation zu kämpfen – eine Schlacht, die sie nicht gewinnen können –, sich auf die arabischen Regime zu verlassen, auf die sie nicht zählen können, und zwischen den Großmächten zu manövrieren, die direkt von der Unterdrückung der Palästinenser profitieren.
Der entscheidende Punkt bei der Palästinafrage ist, dass zwei Nationen das gleiche Territorium beanspruchen und beide nirgendwo anders hingehen können. Eine Wiedergutmachung des historischen Unrechts, das den Palästinensern angetan wurde, kann nicht dadurch erreicht werden, dass auf einem Bruchteil des historischen Landes Palästina ein palästinensischer Rumpfstaat errichtet wird, der ständig durch den weitaus mächtigeren zionistischen Staat bedroht ist. Auch nicht durch eine Konfrontation mit der gesamten israelischen Nation, die mit Sicherheit bis zum Tod für ihre nationale Existenz kämpfen wird. Vielmehr muss der zionistische Staat von innen heraus zerschlagen werden, indem das Band, das die Arbeitermassen mit dem zionistischen Projekt verbindet, durchtrennt wird. Grundlage dafür sind die Klasseninteressen der Arbeiter in Israel. Sie werden von den zionistischen Machthabern selbst ausgebeutet und entwürdigt durch die Unterdrückung der Palästinenser und ihre Rolle als Spielball der Imperialisten in der Region. Die Emanzipation der israelischen Arbeiterklasse geht Hand in Hand mit der nationalen Befreiung Palästinas. Wie Engels schrieb, ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren.
Die Kernfrage Palästinas ist ein nationales Problem, das aber nicht in einem rein nationalen Rahmen gelöst werden kann. Jeder Schritt hin zur palästinensischen Freiheit richtet sich gegen die gesamte kapitalistische Ordnung im Nahen Osten. Deshalb ist es offensichtlich, dass der palästinensische Befreiungskampf eine revolutionäre Führung braucht, die die nationale Frage mit der sozialen Befreiung der Arbeiterklasse in der gesamten Region verbindet. Mit anderen Worten: das trotzkistische Programm der permanenten Revolution. Genau mit diesem Ansatz werden wir versuchen, die Bilanz der marxistischen Bewegung in der Palästinafrage auszuwerten.
Die jüdische Frage: Kommunismus kontra Zionismus
Die marxistische Bewegung verfügt über eine solide Grundlage in der nationalen und jüdischen Frage. In Die jüdische Frage – Eine marxistische Darstellung (Mehring Verlag, Essen 1995), geschrieben während des Zweiten Weltkriegs, lieferte der belgische Trotzkist Abraham Léon ein materialistisches Verständnis von der Unterdrückung der Juden. Er erklärte, wie die Juden im Feudalismus als Geldverleiher eine besondere wirtschaftliche Funktion erfüllten, die im Kapitalismus nicht mehr benötigt wurde. In Westeuropa öffneten die bürgerlichen Revolutionen die Türen der Ghettos, und die Assimilierung der Juden schien eine vollendete Tatsache zu sein.
Doch als in Osteuropa der Zusammenbruch der Feudalgesellschaft den Juden ihre materielle Existenzgrundlage raubte, gab es keine weit verbreitete Industrialisierung, die es den Millionen überflüssig gewordenen Zwischenhändlern ermöglicht hätte, sich in das Proletariat zu integrieren. Vor allem im Ansiedlungsrayon, dem westlichen Gebiet des Russischen Reiches, war das Leben der Juden von Verelendung im Schtetl (jüdisches Dorf) und häufigen Pogromen geprägt. Ein kleiner Teil der jüdischen Bevölkerung wurde Kapitalist oder Proletarier; ein größerer Teil wanderte aus und stoppte damit die Tendenz zur Assimilation in den westlichen Ländern. Die Mehrheit verharrte weiterhin im Elend der kleinen Kaufleute und wurde „zwischen zwei Systemen zerrieben: dem Feudalismus und dem Kapitalismus, von denen jeder den Fäulnisprozess des anderen vorantreibt“, wie Léon schrieb.
Die bolschewistische Revolution von 1917 befreite die Juden des Russischen Reiches und führte sie in großer Zahl weg vom Zionismus und hin zum Banner des Kommunismus. Sie sahen ihre Zukunft in der Zerschlagung der alten Wirtschaftsordnung, in der für sie kein Platz mehr war, und im Aufbau einer neuen, sozialistischen Gesellschaft. Kommunismus und Zionismus waren von Natur aus Gegensätze, und die junge Kommunistische Internationale (KI) bekämpfte den Einfluss des Zionismus. So hieß es in den „Leitsätzen über die Nationalitäten- und Kolonialfrage“ des Zweiten Kongresses der Kommunistischen Internationale 1920:
Auf das Ansuchen von Poale Zion (Arbeiter von Zion), der Komintern beizutreten, erwiderte das Exekutivkomitee der KI in einem Brief vom August 1921: „In Ihrer Bewegung gibt es Tendenzen, die prinzipiell mit denen der Kommunistischen Internationale unvereinbar sind.“ Es wandte sich gegen die Vorstellung, dass die Ansiedlung von Juden in Palästina ein Akt der Befreiung sei, und betonte: „Die vollständige Beseitigung einer solchen Ideologie ist die wichtigste Bedingung, die zu stellen wir uns gezwungen sehen“ (Bulletin of the Executive Committee of the Communist International Nr. 2, 20. September 1921). Außerdem forderte das Exekutivkomitee, dass sich Poale Zion der jüdischen Auswanderung nach Palästina entgegenstellt und sich in Kommunistische Partei Pälästinas umbenennt, um zu zeigen, dass sie nicht nur die jüdischen Arbeiter, sondern auch die arabischen Werktätigen vertreten wollte. Als die Mehrheit von Poale Zion sich weigerte, diese Bedingungen zu akzeptieren, stellte die Komintern klar, dass sie „zu großen Konzessionen auf dem Gebiete der Propaganda und Organisation bereit [war], um dadurch selbst dem rückständigen Teile des jüdischen Proletariats die Entwicklung zum Kommunismus zu erleichtern“, und weiter: „Das einzige Verhältnis der Kommunisten zum Poale-Zion-Verband nach Ablehnung der Eintrittsbedingungen ist nun der schärfste Kampf“ („An die Kommunisten aller Länder! An das jüdische Proletariat“, Internationale Presse-Korrespondenz, 29. Juli 1922).
Kommunistische Partei Palästinas: zwischen Zionismus und arabischem Nationalismus
Als die Kommunistische Partei Palästinas (PKP) 1924 in die Komintern aufgenommen wurde, hatten in der Sowjetunion die Stalinisten die politische Macht übernommen und die KI befand sich auf dem Weg zur Degeneration. Aus einem Instrument der Weltrevolution wurde ein Anhängsel der stalinistischen Außenpolitik, die auf der reaktionären Perspektive des Aufbaus des Sozialismus in einem Land bei friedlicher Koexistenz mit dem Imperialismus beruhte. So war die Triebfeder der KI bei ihren Interventionen in die PKP nicht, was für den Aufbau einer revolutionären Partei notwendig ist.
Bei ihrer Gründung lehnte die PKP den Zionismus offiziell ab, aber dieser Bruch war nur unvollständig. Die PKP war aus dem linken Flügel der Poale Zion hervorgegangen, und ihre Mitglieder identifizierten sich nach wie vor mit dem linken Zionismus. Die Partei setzte sich hauptsächlich aus jüdischen Siedlern zusammen, die bei ihrer Ankunft nichts über Palästina wussten und den dort lebenden Menschen kaum Aufmerksamkeit schenkten. Ihre Mitgliedschaft war höchst instabil, da viele, die für den Kommunismus gewonnen worden waren, Palästina einfach verließen, um „der zionistischen Hölle“ zu entkommen.
Die PKP versuchte zwar, Araber und Juden zu vereinen, aber sie tat dies, ohne sich frontal gegen den Zionismus zu stellen. So rief die Vorläuferorganisation der PKP in ihrem Flugblatt zum 1. Mai 1921 die arabischen Arbeiter dazu auf, sich der Demonstration der Kommunisten anzuschließen, und erklärte, dass jüdische Arbeiter als Verbündete im gemeinsamen Kampf gegen arabische und jüdische Kapitalisten nach Palästina gekommen seien. Das stieß natürlich auf taube Ohren, denn gleichzeitig vertrieben die Zionisten arabische Bauern von ihrem Land und arabische Arbeiter von ihren Arbeitsplätzen. Die Herangehensweise der PKP lief im Grunde auf die Forderung hinaus, als Vorbedingung zur Einheit sollten die arabischen Massen ihre legitimen nationalen Bestrebungen aufgeben; um sich gegen die Bosse zu „vereinen“, müsse der Kampf gegen den Zionismus warten.
Diese Position war völlig entgegengesetzt zur leninistischen Herangehensweise an die nationale Frage. Wie Lenin in „Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ (Januar/Februar 1916) darlegte:
Auch wenn es in Palästina nicht um politische Abtrennung ging, behält Lenins Argument seine volle Gültigkeit. Jüdische Kommunisten in Palästina hatten und haben weiterhin zuallererst die Pflicht, sich der nationalen Unterdrückung der Palästinenser entgegenzustellen. Erst auf dieser Grundlage kann von Klasseneinheit überhaupt die Rede sein.
Genau diese Lehre lehnen viele sogenannte Kommunisten heute ab, wenn sie Einheitsappelle herausgeben, die nicht die Befreiung der Unterdrückten zur Grundlage haben. Lutte Ouvrière (LO) ist dafür berüchtigt und marschiert in den Straßen von Paris stolz unter Bannern mit der Aufschrift: „Gegen Imperialismus und seine Manöver, gegen Netanjahu und Hamas, Proletarier Frankreichs, Palästinas, Israels ... Vereinigt euch!“ Noch einmal, die Einheit wird nur durch die nationale Befreiung der Palästinenser erreicht werden, was LO ablehnt. Wie nicht anders zu erwarten, verklärt LO auch die Anfänge der PKP.
Von Mitte der 1920er- bis Mitte der 1930er-Jahre intervenierte die KI, um der PKP eine Ausrichtung auf die arabische Mehrheit aufzuzwingen. Dies war tatsächlich notwendig, wurde aber von den Stalinisten mit bürokratischen Methoden und im Dienste reformistischer Ziele durchgeführt. Die KI verlangte schließlich von den PKP-Mitgliedern eine Neuregistrierung, mit der sie sich dazu verpflichteten, die Arabisierung der Partei zu unterstützen, und ersetzte den größten Teil der jüdischen Führung durch Araber. Auf politischer Ebene leitete diese Wende einen Zickzackkurs ein zwischen einer pauschalen und sterilen Verurteilung der nationalistischen Führung der Araber, die „nichts weiter als ein Werkzeug der Reaktion“ sei, und einer regelrechten Anbiederung an genau diese Führer (zitiert in Joel Beinen, „The Palestine Communist Party 1919–1948“, MERIP Reports, März 1977).
Dieser Wandel in der Partei fiel mit Hitlers Machtübernahme in Deutschland zusammen, die eine Welle deutsch-jüdischer Einwanderung nach Palästina auslöste. Zwischen 1933 und 1936 kamen mehr als 130 000 Juden nach Palästina, und der Jischuv, die Gesamtheit der jüdischen Siedler, wuchs um etwa 80 Prozent. Diese Entwicklungen trieben die Spannungen zwischen Juden und Arabern zu einem neuen Höhepunkt, dem Großen Arabischen Aufstand von 1936–39, einer Erhebung, die von Protesten und Bauernaufständen bis hin zu einem Generalstreik und zum bewaffneten Aufstand reichte.
Die Kommunisten in Palästina unterstützten die Führung des Aufstands und stellten sich anfangs mit ihrer Autorität hinter den Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, der als der Anführer aufgetreten war. Die PKP pries ihn dafür, dass er „dem extremsten antiimperialistischen Flügel der nationalistischen Bewegung angehört“ (zitiert in Ghassan Kanafani, The 1936–39 Revolt in Palestine [Committee for a Democratic Palestine, New York 1972]). Dies als Schönfärberei zu bezeichnen wäre eine grobe Untertreibung. Al-Husseini, das Oberhaupt einer reichen Großgrundbesitzerfamilie, war 1921 vom britischen Hochkommissar in sein Amt berufen worden, der ihn als unverzichtbar für die Aufrechterhaltung der Stabilität in Palästina ansah. Obwohl al-Husseini dem britischen Empire gegenüber loyal war, sah er im zionistischen Projekt eine Bedrohung für die von ihm vertretenen arabischen Eliten, und das trieb ihn dazu, anfangs den Aufstand anzuführen. Als sich die Bewegung jedoch ausweitete, begannen die aufständischen Arbeiter und Bauern die Interessen der Großgrundbesitzer zu bedrohen, einer Klasse, der er selbst angehörte. Also verbündete sich der Mufti 1936 mit den Briten, um den Generalstreik zu beenden, und half ihnen, die erste Phase des Arabischen Aufstands niederzuschlagen.
Es war zweifellos richtig, dass die PKP den Aufstand unterstützte und sogar Seite an Seite mit dem Mufti kämpfte. Aber dabei hätte sie kritisch vorgehen und den Massen bei jedem Schritt zeigen müssen, wie der Mufti den Kampf behinderte, auch durch seinen Antisemitismus, der es verhinderte, jüdische Arbeiter für diesen Kampf zu gewinnen. Stattdessen unterstützte die PKP diesen klerikalen Führer, der nicht nur die Bewegung in die Niederlage führte, sondern auch buchstäblich die Ermordung von Kommunisten leitete. In „The Palestine Communist Party 1919–1948“ zeigt Joel Beinen, dass die Liquidierung der PKP in die nationalistische Bewegung so weit ging, dass ihre jüdischen Mitglieder aufgefordert wurden, sich an terroristischen Aktionen gegen die jüdische Gemeinschaft zu beteiligen.
Wie nicht anders zu erwarten, war die Politik der PKP bei ihrer jüdischen Basis unbeliebt und riss die Partei auseinander. Angesichts der sich vertiefenden nationalen Spaltung innerhalb der Partei schuf das Zentralkomitee der PKP eine neue Struktur, die Jüdische Sektion. Diese Sektion stand der übereifrigen Unterstützung des arabischen Aufstands kritisch gegenüber und passte sich zunehmend dem Zionismus an. Sie machte „progressive Kreise innerhalb des Zionismus“ aus und rief zu einer Volksfront mit zionistischen Gruppen und Parteien auf. Schließlich forderte das arabisch geführte Zentralkomitee die Auflösung der Jüdischen Sektion. Gegen diese Forderung gab es Widerstand, was zur Spaltung führte.
Die Niederschlagung des Aufstands von 1936–39 festigte die militärische und wirtschaftliche Grundlage für einen eigenständigen zionistischen Staat. Der britische Imperialismus setzte die Hagana, eine zionistische Miliz von mehr als 10 000 Mann, zur Niederschlagung des Aufstands ein. Fast 10 Prozent der erwachsenen männlichen arabischen Bevölkerung Palästinas wurden getötet, verwundet, eingesperrt oder verbannt, darunter auch der Mufti und fast die gesamte nationalistische Führung der Palästinenser. Gleichzeitig wurde ein Straßennetz zwischen den wichtigsten zionistischen Kolonien gebaut, das später einen wesentlichen Teil der Infrastruktur der zionistischen Wirtschaft bildete. Die Hauptstraße von Haifa nach Tel Aviv wurde asphaltiert, der Hafen von Haifa wurde erweitert und vertieft und bei Tel Aviv wurde ein Hafen gebaut, der später den arabischen Hafen von Jaffa ablöste. Darüber hinaus errangen die Zionisten das Monopol bei den Verträgen über den Nachschub für die britischen Truppen, die seit Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Palästina strömten.
Dieser neue Konflikt beschleunigte den katastrophalen Kurs der PKP, besonders als sie – auf Befehl Stalins – Palästinenser und Juden gleichermaßen dazu ermahnte, sich gemeinsam mit den Briten an dem „demokratischen“ Krieg gegen das faschistische Deutschland zu beteiligen. In einer Polemik gegen die kleine Gruppe von Trotzkisten in Palästina, die er kurz vor dem Krieg schrieb, betonte Leo Trotzki, wie wichtig es sei, sich gegen beide imperialistischen Lager zu stellen. Er schrieb:
Damit sprach er genau das Problem an, das die PKP polarisierte. In der Tat war die Unterstützung des britischen Imperialismus bei ihren arabischen Mitgliedern unpopulär. Obwohl sie nicht unbedingt gegen die stalinistische Unterstützung des britischen Imperialismus im Krieg waren, war es für sie unerträglich, dass die PKP Araber für die verhasste britische Armee rekrutierte. Innerhalb weniger Jahre sahen sich die arabischen Mitglieder aufgrund dieser Differenz und zunehmender nationalistischer Trennlinien dazu genötigt, sich von der PKP abzuspalten und eine linke Organisation namens Nationale Befreiungsliga zu gründen. Die PKP wurde abermals auf ihre jüdische Mitgliedschaft reduziert. Dieser jüngste Kapitulationskurs sollte den größten Verrat der PKP vorbereiten: die Unterstützung Israels während der Nakba.
Unterstützung der Nakba: Stalins großer Verrat
Am Ende des Zweiten Weltkriegs zerbrach das britische Empire allmählich unter der Last seiner Kriegsanstrengungen und der Überforderung beim Zusammenhalten seines Kolonialreichs. Das führte zum Rückzug der Briten aus Palästina und zur Übergabe der Amtsgewalt an die Vereinten Nationen. 1947 verabschiedete die UN-Generalversammlung einen Teilungsplan, der Palästina in einen arabischen und einen israelischen Staat aufteilte. Letzterem wurden große Gebiete zugewiesen, von denen viele eine arabische Bevölkerungsmehrheit hatten.
Den Zionisten reichte das nicht. Sobald die UNO für die Teilung Palästinas gestimmt hatte, begannen die Zionisten eine Offensive, die schließlich zur Vertreibung von mehr als 700 000 Palästinensern und zur Eroberung von 78 Prozent des historischen Palästinas führte. Aus ganzen Städten wurden die Palästinenser bis auf den letzten Mann, Frau und Kind vertrieben und die Obstplantagen, Industriebetriebe, Transportmittel, Fabriken, Häuser und andere Besitztümer der Vertriebenen beschlagnahmt. Diese massenhafte ethnische Säuberung, aus der Israel hervorging, bekam von den Palästinensern den Namen Nakba – Katastrophe.
Die zionistische Anfangsoffensive löste in der gesamten arabischen Welt Schockwellen aus. In seinem Buch Der Hundertjährige Krieg um Palästina (Unionsverlag, Zürich 2024) beschreibt Rashid Khalidi die sich anbahnende Tragödie:
Wie Khalidi erwähnt, intervenierte die Arabische Liga, eine Koalition hauptsächlich aus Ägypten, Transjordanien, Irak und Syrien, gegen Israel. Der König von Transjordanien, Abdullah I., spielte in diesem Konflikt eine zentrale Rolle. Nachdem er zunächst mit den Briten und den Zionisten konspiriert hatte, um die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates zu verhindern und sodann einen Teil von dessen Territorium zu annektieren, wurde er schließlich zur Konfrontation mit Israel gedrängt und stellte in der Koalition die stärkste militärische Kraft dar. Seine verräterische Rolle hat maßgeblich zur Niederlage der Koalition beigetragen, die das Schicksal der Palästinenser besiegelte.
König Abdullah hat freilich nie behauptet, ein revolutionärer Marxist zu sein. Josef Stalin hingegen verriet die Sache der Palästinenser im Namen des Kommunismus und der Sowjetunion. Es war Stalin, der zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten Truman den Teilungsplan in der UNO durchsetzte. Es war die Sowjetunion, die als erstes Land den Staat Israel offiziell anerkannte. Der spätere israelische Außenminister Abba Eban bezeichnete die sowjetische Anerkennung als „eine unglaubliche Chance; im Nu wurden alle unsere Pläne für die Diskussion in der UNO völlig anders“. Über den diplomatischen Verrat hinaus lieferte der Sowjetblock von 1948 bis 1949 über die Tschechoslowakei auch Waffen an die Hagana und versorgte so die zionistischen Milizen, die in den palästinensischen Städten und Dörfern wüteten, mit kriegsentscheidender Ausrüstung.
Die Unterstützung der Sowjetunion für die Nakba war ein Verrat von historischem Ausmaß, nicht zuletzt deshalb, weil die UdSSR in der ganzen Welt als Führer der Arbeiterklasse und der kolonialen Revolution angesehen wurde. Natürlich verschweigen oder leugnen die verschiedenen Kommunistischen Parteien und stalinistischen Organisationen, die heute an den Palästinademonstrationen teilnehmen, diese erbärmliche Bilanz. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) beispielsweise vertuscht dieses Verbrechen. Sie schreibt: „Das Massaker an den Juden durch die Nazis und der von den bürgerlichen Klassen vor dem Zweiten Weltkrieg in vielen kapitalistischen Ländern geförderte Antisemitismus führten dazu, dass die UdSSR und die internationale Arbeiterbewegung die Gründung des Staates Israel neben dem Staat Palästina akzeptierten“ („Kurze Antworten auf aktuelle ideologisch-politische Fragen zum israelischen Angriff und Massaker gegen das palästinensische Volk im Gazastreifen“, inter.kke.gr, 20. November 2023).
Trotzkisten über die Nakba: Zionismus und Zentrismus
Neben der Kommunistischen Partei gab es in Palästina auch einen kleinen Kern von Trotzkisten. Sie stammten zumeist aus zionistischen Kreisen, von denen sie sich nie ganz trennten, und waren in den späten 1930er-Jahren im Bund Revolutionärer Kommunisten (Brit Kommunistim Mahapchanin) organisiert. Tony Cliff, ein Führer des Bundes, stammte aus einer bekannten zionistischen Familie im britisch besetzten Palästina und schloss sich in seiner Jugend einer arbeiterzionistischen Organisation an. In den 1950er-Jahren lebte Cliff in Britannien und bejubelte als Vorsitzender der Socialist Review Group, dem Vorläufer der Socialist Workers Party, den arabischen Nationalismus. Doch 1938 hatte Cliff ganz andere Töne angeschlagen: „Es ist offensichtlich, dass die Briten sehr wohl wissen, wie sie die elementaren Bedürfnisse des jüdischen Arbeiters ausnutzen können, nämlich Einwanderung und Kolonisierung, die beide nicht im Widerspruch zu den wirklichen Bedürfnissen der arabischen Massen stehen“ („British Policy in Palestine“, The New International, Oktober 1938, unsere Hervorhebung). Die Masseneinwanderung von Juden nach Palästina und dessen Kolonisierung standen sehr wohl im Widerspruch zu den wirklichen Bedürfnissen der arabischen Massen. Diese Zeilen waren umso verheerender, als sie mitten im Großen Arabischen Aufstand gegen die zionistische Kolonisierung geschrieben wurden.
Diese Ansichten waren in der trotzkistischen Bewegung durchaus umstritten. Cliff wurde von den südafrikanischen Trotzkisten scharf verurteilt:
Das war eine weitsichtige Kritik, aber sie wurde nie in Praxis und Programm der Trotzkisten in Palästina übernommen.
Die Schwierigkeiten der internationalen trotzkistischen Bewegung, ein angemessenes Programm für die Palästinafrage zu entwickeln, waren zum großen Teil durch ihre Dezimierung während des Weltkriegs verursacht. Trotzki selbst wurde 1940 auf Befehl Stalins ermordet, und viele der erfahrensten Kader der Vierten Internationale, wie Abraham Léon, wurden entweder von den Stalinisten oder von den Nazis ermordet. Die trotzkistische Bewegung ging geschwächt aus dem Krieg hervor und war angesichts der tiefgreifenden Veränderungen, die in der Welt stattfanden, desorientiert. Was Palästina und die jüdische Frage angeht, so geriet diese geschwächte Bewegung nach dem Holocaust und angesichts der Hunderttausenden von Überlebenden, denen die Einreise in die imperialistischen Länder verweigert wurde und die in Vertriebenenlagern dahinsiechten, stark unter Druck, dem Zionismus nachzugeben. Dieser Druck wurde noch dadurch verstärkt, dass die Stalinisten, die Sozialdemokraten und der größte Teil der Gewerkschaftsbewegung in den USA und Europa die Gründung Israels unterstützten.
Die Orientierungslosigkeit der Trotzkisten spiegelte sich in den 1947 von Ernest Mandel, einem Führer der Vierten Internationale, verfassten „Vorläufigen Thesen zur Judenfrage heute“ wider. Die Thesen enthielten viele richtige Punkte, unter anderem:
Allerdings wurde in den Thesen die Gründung eines zionistischen Staates als utopisch bezeichnet, obwohl die militärischen und wirtschaftlichen Grundlagen Israels bereits da waren. Außerdem wurde an die arabischen Massen appelliert, durch Angriffe auf die Briten „konkret die Frage nach dem Rückzug der britischen Truppen zu stellen“. Aber solche Angriffe führte die ultra-zionistische Miliz Irgun gegen Beschränkungen der jüdischen Einwanderung durch! In den Thesen wurde geleugnet, dass die Briten tatsächlich aus Palästina abzogen und dass der zionistische Terrorismus eine Vorstufe zur Massenvertreibung der Palästinenser war.
Was die Nakba selbst angeht, so kam die offenste Kapitulation vor dem Zionismus von Max Shachtmans Workers Party (WP) in den USA. Die WP unterstützte die Gründung Israels und behauptete, dessen Krieg gegen die arabischen Länder sei ein nationaler Befreiungskrieg. Sie pries die Unabhängigkeitserklärung Israels und verurteilte die Intervention der arabischen Staaten:
Diese reaktionäre zionistische Politik war das unmittelbare Ergebnis der Abspaltung der WP von der trotzkistischen Socialist Workers Party (SWP) in den USA 1940 aufgrund der Weigerung Shachtmans und seiner Clique, die Sowjetunion zu verteidigen. Diese Position spiegelte den Druck der kleinbürgerlichen öffentlichen Meinung wider, der insbesondere vom jüdischen sozialistischen Milieu in New York ausging.
Was die Vierte Internationale betrifft, so war sie zumindest gegen den UN-Teilungsplan für Palästina. So schrieb die britische Revolutionary Communist Party: „Die Teilung Palästinas ist in jeder Hinsicht reaktionär – weder den Juden noch den arabischen Massen ist damit gedient“ (Socialist Appeal, Dezember 1947). Die US-amerikanische SWP veröffentlichte ihrerseits einen Leitartikel, in dem es richtig hieß: Die Juden „können sich nicht auf Kosten der nationalen Rechte der arabischen Völker einen Staat erschaffen. Das ist keine Selbstbestimmung, sondern die Eroberung des Territoriums eines anderen Volkes“ (The Militant, 31. Mai 1948, unsere Hervorhebung).
Im Krieg zwischen den Zionisten und der Arabischen Liga lehnte es die Vierte Internationale jedoch ab, sich auf die Seite der Araber zu stellen, und prangerte sie und die Zionisten als gleichermaßen reaktionär an. Im gleichen SWP-Leitartikel heißt es:
Brit Kommunistim Mahapchanin in Palästina vertrat in einem Leitartikel mit dem Titel „Gegen den Strom“ dieselbe Position und schrieb: „Wir sagen den jüdischen und arabischen Arbeitern: Der Feind steht in eurem eigenen Lager!“ (Fourth International, Mai 1948)
Das war grundfalsch. Der Krieg von 1948 war ein nationaler Expansionskrieg der Zionisten gegen die arabisch-palästinensische Bevölkerung. König Abdullah und andere arabische Herrscher kämpften trotz ihres reaktionären Charakters und all ihrer Machenschaften objektiv gegen die ethnische Säuberung der Palästinenser. Es ist einfach falsch zu behaupten, dass der Sieg der Arabischen Liga genauso reaktionär gewesen wäre wie der Sieg Israels. Für die Palästinenser hätte ein Sieg der Araber bedeutet, auf ihrem historischen Land zu bleiben. Wäre der Krieg in irgendeiner Weise zu einem Unterdrückungskrieg gegen die jüdische Bevölkerung geworden, hätte er einen anderen Charakter angenommen, der eine andere Antwort erfordert hätte. Aber zu keinem Zeitpunkt stellte sich die Frage überhaupt.
Einige argumentierten damals wie heute, dass die Verbindungen zwischen der Arabischen Liga und dem britischen Imperialismus ein Beweis dafür seien, dass beide Seiten des Krieges reaktionär waren. Es stimmt, dass sowohl Israel als auch die arabische Seite in gewisser Weise von verschiedenen imperialistischen Mächten unterstützt wurden. Aber das war ein zweitrangiger Faktor. In dem Krieg ging es nicht um konkurrierende imperialistische Ziele in der Region, sondern um die Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land. Der Krieg von 1948 und jeder folgende Krieg – 1967, 1973, 1982 usw. – waren zionistische Expansionskriege. Die einzig richtige Position für Marxisten in diesen Konflikten war es, für Palästina und die Araber Seite zu beziehen.
Die Weigerung der Trotzkisten im Jahr 1948, dies zu tun, war eine Kapitulation vor dem Zionismus und angesichts der Nakba ein absoluter Verrat. Dennoch halten fast alle heutigen Trotzkisten dieses Beispiel für vorbildlich – was eine revolutionäre Intervention heute unmöglich macht: von unserer Organisation (bisher) über die Revolutionäre Kommunistische Internationale, beide Bolschewistischen Tendenzen, die Liga für die Vierte Internationale und die Trotzkistische Fraktion/Left Voice. Left Voice schrieb dazu: „Wir denken, dass die jüdisch-palästinensischen Trotzkisten Ende der 1940er-Jahre die einzige realistische Vision für eine Lösung des Konflikts hatten“ („The Farce of the ‚Two-State Solution‘ and the Socialist Perspective for Palestine“ [Die Farce der „Zweistaatenlösung“ und die sozialistische Perspektive für Palästina], leftvoice.org, 16. Dezember 2023). Zu erklären, wie eine defätistische Position während der Nakba irgendetwas zur Lösung des Konflikts beigetragen hat, bleibt Left Voice überlassen.
Die Grüne Linie
Die nach dem Sieg Israels im Krieg von 1948 festgelegten Grenzen werden als Grüne Linie bezeichnet und wurden nach dem Krieg von 1967 in der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrats anerkannt. Diese Resolution wurde zu einem Grundstein des arabisch-israelischen Konflikts und bildete die Grundlage für Israels Friedensverträge mit Ägypten (1979) und Jordanien (1994), für das Osloer Abkommen von 1993 und für alle Diskussionen über eine Zweistaatenlösung. Nayef Hawatmeh, Führer der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas, sagte vollkommen zu Recht über die Resolution 242:
Damit dürfte klar sein, dass von einer Befreiung der Palästinenser auf der Grundlage der Grünen Linie und der Resolution 242 nicht die Rede sein kann. Aber pro-palästinensische Liberale wie die BDS-Bewegung, liberale Zionisten wie Norman Finkelstein und die Gruppe Gusch Schalom sowie Reformisten wie die KKE halten an der Grünen Linie als Israels legitimer Grenze fest. Mit diesem Argument soll eine falsche Unterscheidung hergestellt werden zwischen dem Land, das den Palästinensern im Krieg von 1948 gestohlen wurde, und dem Land, das bei späteren Expansionen gestohlen wurde. Somit gelten nur die nach 1967 besetzten Gebiete als „besetzte Gebiete“. Wohlhabenden liberalen Zionisten in Tel Aviv fällt es leicht, über die ärmeren Juden, die im Westjordanland leben, verächtlich als „Siedler“ zu sprechen. In Wirklichkeit aber ist der gesamte Staat Israel eine Siedlerkolonie, die auf der Enteignung der Palästinenser aufgebaut wurde. Die 700 000 Siedler im Westjordanland, die zum Teil schon seit Jahrzehnten dort leben, unterscheiden sich nicht grundlegend von denen im übrigen Israel.
Lediglich die Erweiterungen Israels nach 1967 abzulehnen erfüllt nicht nur den Zweck der liberalen Zionisten von Tel Aviv bis New York, sich gut zu fühlen, sondern nährt auch die Illusion, es könne für die Palästinafrage eine reformistische Kompromisslösung geben, bei der die Israelis einsichtig werden, sich hinter die Grüne Linie zurückziehen und den Palästinensern die Gründung eines Rumpfstaates erlauben. Wer das glaubt, hat nichts vom zionistischen Projekt verstanden, dessen Verfechter bis zum Tod um jeden Zentimeter des „heiligen Landes“ kämpfen werden, das sie den Palästinensern geraubt haben.
Mit Losungen wie „Schluss mit der Besetzung“ und „Israelische Truppen und Siedler raus aus den besetzten Gebieten“ (womit nur die Gebiete jenseits der Grünen Linie gemeint sind) wird indirekt die Legitimität des Staates Israel anerkannt. Natürlich ist es notwendig, sich militärisch gegen das weitere Vordringen fanatischer Siedler auf palästinensisches Land und gegen die Besetzung insgesamt zu wehren. Aber zu glauben, dass das Problem der 700 000 Siedler, die das Westjordanland besetzen, gelöst werden kann, ohne den Staat Israel zu zerschmettern, ist eine gefährliche Illusion, die die Zionisten ausnutzen können, um die Palästinabewegung an die Kette zu legen.
Die Spartacist-Tradition
An dieser Stelle müssen wir uns mit dem unrühmlichen Erbe unserer eigenen Tendenz in der Palästinafrage auseinandersetzen. Die Revolutionary Tendency, die Opposition innerhalb der SWP, aus der in den 1960er-Jahren die Spartacist League/U.S. hervorging, wurde von einer Gruppe von Kadern geführt, die ursprünglich aus Shachtmans Independent Socialist League stammten und trotz ihres richtigen Kampfes gegen die Degeneration der SWP die traditionelle Position der Shachtman-Anhänger zu Palästina mitbrachten. Am deutlichsten zeigte sich dies in dem 1968 erschienenen Artikel „Arab-Israeli Conflict: Turn the Guns the Other Way“ [Arabisch-israelischer Konflikt: Dreht die Gewehre um] (englischsprachiger Spartacist Nr. 11, März/April 1968), der nicht nur rückblickend eine Seite für Israel im Krieg von 1948 bezog, sondern auch für die Niederlage beider Seiten im zionistischen Expansionskrieg von 1967 eintrat. Der Artikel forderte „die Unterzeichnung eines Friedensvertrags auf der Grundlage der Waffenstillstandsgrenzen von 1949 und damit eine Garantie der Araber für das Existenzrecht einer hebräischen Nation“. (Ähnlich forderte eine Erklärung „Dreht die Gewehre Um!“ von den Österreichischen Bolschewiki-Leninisten, deutschsprachiger Spartacist Nr. 1, Frühling 1974: „Friedensvertrag auf Basis der Grenze von 1949, Anerkennung des Existenzrechts der hebräischen Nation“.)
Diese pro-israelische Position wurde geändert mit dem Grundsatzartikel „Birth of the Zionist State“, Part Two (Workers Vanguard Nr. 45, 24. Mai 1974, siehe „Die Geburt des zionistischen Staates“, abgedruckt in Spartakist Nr. 159, Sommer 2005), in dem die Spartacist-Tendenz die etwas weniger reaktionäre Linie der SWP zum Krieg von 1948 übernahm: Defätismus auf beiden Seiten. Absurderweise wurde diese Änderung nicht damit begründet, dass die frühere Position offen zionistisch war, sondern damit, dass „neue Fakten“ ans Licht gekommen seien.
Darüber hinaus wurde in dem Artikel die sogenannte Theorie der geografisch vermischten Völker entwickelt und verkündet: „Die Lösung der demokratischen Frage der Selbstbestimmung für jede von zwei Nationalitäten oder Völkern, die geografisch vermischt sind, ist auf gerechte Weise nur denkbar im Rahmen des Proletariats an der Macht.“ Es stimmt, dass eine gerechte Lösung des Palästinakonflikts die proletarische Macht erfordert. Doch der Zweck der Theorie bestand darin, den Kampf für palästinensische Selbstbestimmung als illegitim hinzustellen mithilfe des Schreckgespenstes, jeder Kampf in diese Richtung würde das Selbstbestimmungsrecht der Israelis verletzen. Vor diesem Hintergrund veröffentlichte die Spartacist-Tendenz abstrakte Aufrufe zur Klasseneinheit und propagierte Losungen wie „Nicht Jude gegen Araber, sondern Klasse gegen Klasse!“ In den letzten Jahren hat unsere Tendenz in ihrer Propaganda den zionistischen Terror scharf verurteilt, sich aber weiterhin geweigert, die nationale Befreiung der Palästinenser in den Mittelpunkt einer revolutionären Perspektive zu stellen.
Die Frage der Selbstbestimmung für die Israelis ist ein Ablenkungsmanöver. Die Israelis haben bereits einen Staat, dessen Zweck es ist, die Palästinenser daran zu hindern, ihren eigenen Staat zu haben. Unter den gegenwärtigen Bedingungen im Namen israelischer Selbstbestimmung den Kampf für die palästinensische Selbstbestimmung abzulehnen läuft einfach darauf hinaus, den zionistischen Status quo zu verteidigen. Die eigentliche Frage lautet, wie die Palästinenser ihr Selbstbestimmungsrecht in einer Weise ausüben können, die mit dem Fortbestehen einer jüdischen Nation im Nahen Osten vereinbar ist. Dies ist nur in Form eines vereinigten binationalen Staates möglich, der auf der Wiedergutmachung des historischen Unrechts beruht, das an den Palästinensern begangen wurde, und in dem beide Nationen volle demokratische Rechte in Bezug auf Sprache, Kultur und Religion genießen. Ein solcher Staat kann nur durch die Zerschlagung des zionistischen Staates und durch eine revolutionäre Umwälzung in der gesamten Region errichtet werden.
Während die IKL inzwischen die pseudomarxistische Theorie der geografisch vermischten Völker ablehnt und eine harte Linie gegen sie gezogen hat, halten andere Organisationen aus unserer Tradition – die Liga für die Vierte Internationale, die Bolschewistische Tendenz und die Internationale Bolschewistische Tendenz – weiterhin an diesem Erbe der Kapitulation vor dem Zionismus fest.
Arabischer Nationalismus und die Niederlage von 1967
Nach dem Zweiten Weltkrieg brachen überall auf der Welt antikoloniale Aufstände aus, von Vietnam über Algerien bis nach Lateinamerika. In Ägypten fegte der Staatsstreich der Freien Offiziere von 1952 die britische Marionette König Farouk hinweg und brachte den radikalen Nationalisten Oberst Gamal Abdel Nasser an die Macht. Unter dem Eindruck der Niederlage gegen Israel 1948 versuchte Nasser, Ägypten vom Imperialismus zu befreien und das Land zu modernisieren. Er propagierte einen panarabischen Nationalismus und setzte sich für die Einheit der Staaten der Arabischen Liga ein, um die Imperialisten und Zionisten aus der Region zu vertreiben. 1956 verstaatlichte Nasser den Suezkanal, den er den bisherigen britischen und französischen Eigentümern abnahm, und sperrte ihn für den israelischen Schiffsverkehr. Diese Maßnahme stieß im Nahen Osten und in der gesamten Dritten Welt auf begeisterte Zustimmung. Daraufhin marschierte Israel gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich in Ägypten ein. Unter massivem Druck der USA und der UdSSR zogen sich die Invasionstruppen jedoch nach kurzer Zeit in einer demütigenden Niederlage wieder zurück.
Im Mai 1967 sperrte Nasser den Kanal erneut für israelische Schiffe. Israel übte abermals Vergeltung und zerstörte in einem präventiven Luftangriff fast die gesamte ägyptische Luftwaffe und startete anschließend eine Bodenoffensive auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel und im ägyptisch besetzten Gazastreifen. Dies führte zu einem neuen Krieg zwischen der Arabischen Liga und Israel, der mit einer weiteren katastrophalen Niederlage der Araber endete. Am Ende des sogenannten Sechs-Tage-Krieges hatte Israel die syrischen Golanhöhen, das von Jordanien annektierte Westjordanland (mit Ost-Jerusalem) und den von Ägypten besetzten Gazastreifen erobert. Etwa 300 000 der fast eine Million Palästinenser im Westjordanland wurden vertrieben, eine weitere Vertreibung, die langfristige Folgen haben sollte.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die palästinensischen Nationalisten ihre Hoffnungen auf arabische Regime wie das von Nasser gesetzt, um ihre eigene Befreiung voranzubringen. Die Niederlage von 1967 zeigte jedoch deutlich, dass das vom Imperialismus unterstützte Israel den arabischen Streitkräften in der konventionellen Kriegsführung weit überlegen war. Infolge dieser Niederlage und des ständigen Verrats durch die arabischen Regime kamen die palästinensischen Nationalisten zu dem Schluss, dass sie eine größere Unabhängigkeit von ihren Gönnern brauchten, und verstärkten ihre Strategie des Guerillakampfes, die sich an den Vorbildern in Kuba und Vietnam orientierte.
Vor diesem Hintergrund wurde die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) unter Jassir Arafat zur wichtigsten Kraft in der palästinensischen nationalistischen Bewegung. Als Ausdruck der Neuausrichtung überarbeitete Arafat 1968 die Palästinensische Nationalcharta und erklärte, dass „Guerillaaktionen ... den Kern des Befreiungskrieges des palästinensischen Volkes [bilden]“. Die PLO war weiterhin auf die Unterstützung der arabischen Regime angewiesen, die sie sich durch das Prinzip der „Nichteinmischung“ sicherte, d. h. durch die Zusage, die Regime nicht zu kritisieren. Die eher linken, marxistisch-leninistisch ausgerichteten Gruppen wie die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas kritisierten diese Kapitulation, teilten jedoch insgesamt die Guerillastrategie der PLO. Ende der 1960er- und in den 1970er-Jahren kam es zu einer Reihe von Flugzeugentführungen, Bombenanschlägen und Geiselnahmen, darunter die Entführung und der anschließende Tod israelischer Sportler während der Olympischen Spiele 1972 in München.
Die Taktik des individuellen Terrorismus ist von der marxistischen Bewegung, die ihre Perspektive auf die Massenmobilisierung der arbeitenden Massen aufbaut, immer abgelehnt worden. Aufgrund der Natur des Palästinakonflikts spielt der Guerillaweg hier eine noch verzweifeltere und kontraproduktivere Rolle. Erstens kann sich der israelische Staat im Gegensatz zu einer auf imperialistischer Korruption basierenden „Bananenrepublik“ auf die militarisierte Faust einer ganzen Nation stützen. Dies und die massive Unterstützung, die er von seinen imperialistischen Schutzherren erhält, machen es den Palästinensern unmöglich, den Staat Israel mit konventionellen militärischen Mitteln zu bezwingen, ganz zu schweigen von Guerillataktiken. Zweitens schwächen Terrorakte gegen israelische Zivilisten, so auch die von Hamas am 7. Oktober, die zionistische Festung nicht, sondern stärken sie vielmehr, weil sie die Bevölkerung noch enger mit ihren Herrschern zusammenschweißen. Drittens hat der Guerillaweg in Palästina immer das Ziel verfolgt, entweder die arabischen Regime oder die imperialistischen Mächte dazu zu drängen, zugunsten der Palästinenser einzuschreiten, ein vergebliches und selbstmörderisches Bemühen.
Das soll nicht heißen, dass Marxisten den bewaffneten Widerstand ablehnen. Im Gegenteil, militärischer Widerstand, auch durch Einheitsfronten mit nationalistischen Kräften, ist von entscheidender Bedeutung. Er muss jedoch Teil einer umfassenderen revolutionären Strategie sein, zu der auch die Gewinnung von Teilen der israelischen Gesellschaft gehören muss, vor allem der Arbeiterklasse. Und das nicht aus humanitären Erwägungen, sondern aus einer lebenswichtigen Notwendigkeit für die Sache der Palästinenser. Es gibt einfach keinen anderen Weg, als Israel von innen her auseinander zu brechen. Selbst wenn Israel irgendwie mit rein militärischen Mitteln besiegt werden sollte, muss man sich nur an die Festung Masada erinnern, als die von den Römern belagerten Juden den Massenselbstmord einer Niederlage vorzogen, um zu verstehen, wozu die zionistischen Fanatiker angesichts einer existenziellen Bedrohung von außen bereit wären.
Nach 1967 wechselte der größte Teil der westlichen Linken plötzlich von der Kapitulation vor dem liberalen Zionismus dazu über, den palästinensischen nationalen Widerstand zu bejubeln und dabei auch den Guerillaweg zu rechtfertigen. Dies verhinderte, dass die besten Elemente der Nationalisten für den Kommunismus gewonnen werden konnten. Am Ende wurden viele aus dieser Generation mutiger Kämpfer vom Mossad massakriert, darunter Ghassan Kanafani, ein PFLP-Führer, der 1972 durch eine Autobombe getötet wurde.
Heute ist es genau wie damals notwendig, die Methode des individuellen Terrorismus abzulehnen. Anstatt sich den palästinensischen Nationalisten anzubiedern, ist es die Pflicht der Marxisten, sie für eine internationalistische Perspektive der Arbeiterklasse zu gewinnen. Wie Lenin in dem bereits zitierten Artikel erklärte:
Die Sozialisten der israelischen Matzpen
Die radikalste und antizionistischste Organisation der israelischen Linken war Matzpen. Gegründet 1962, wuchs sie nach dem Krieg von 1967 an, als sie zu argumentieren begann, dass Israel von Anfang an ein kolonialer Siedlerstaat gewesen sei, und für die Selbstbestimmung der Palästinenser eintrat. Matzpen vertrat den Standpunkt: „Gerade die Erkenntnis des grundlegenden Charakters der zionistischen Ideologie und der totale Bruch mit ihr ermöglicht die Bekräftigung einer internationalistischen Position und schafft damit die Grundlage für einen gemeinsamen Kampf von israelischen und palästinensischen Revolutionären“ („Military Escalation Within Israeli Society“ [Militärische Eskalation innerhalb der israelischen Gesellschaft], matzpen.org, 10. Februar 1972). Sie glaubte jedoch nicht, dass die israelische Arbeiterklasse vom Zionismus gebrochen werden könnte:
Matzpen sah ihre Rolle in Israel darin, auf die von außen kommende arabische Revolution zu warten. Außerdem glaubte sie, dass nur israelische Jugendliche, d. h. Studenten und Intellektuelle, vom Zionismus gebrochen werden könnten, aber nicht die Arbeiterklasse. Diese kleinbürgerliche Sichtweise baut eher auf die launenhaften „fortschrittlichen“ Ideen dieser sozialen Schicht als auf die Arbeiter, die ein materielles Interesse an einer Revolution haben. Ihre Forderung, Israel zu „entzionisieren“, läuft damit auf moralische Appelle an die aufgeklärte Mittelschicht hinaus.
Heute haben Gruppen wie die britische Socialist Workers Party viel Lob übrig für Matzpen, machen sich aber deren größte Schwäche zu eigen. Sie behaupten, dass die Arbeiterklasse in Israel im Gegensatz zu den Arbeitern in allen anderen Ländern niemals für eine Revolution kämpfen wird, weil sie von der Unterdrückung der Palästinenser profitieren würde. Als Beispiel bringen sie: „Der Durchschnittslohn der israelischen Arbeiter ist fast doppelt so hoch wie bei den Palästinensern“ („What Is the Role of Israel’s Working Class?“, socialistworker.co.uk, 16. Januar 2024).
Es stimmt, dass die israelischen Arbeiter durch Israels Allianz mit dem US-Imperialismus einen privilegierten Status in der Region einnehmen. Aber die Unterdrückung der Palästinenser liegt nicht im Klasseninteresse der israelischen Arbeiter. Die Lebensbedingungen der israelischen Massen sind viel schlechter als die in Britannien, den USA oder Deutschland, und Israel hat die zweithöchste Armutsquote unter den entwickelten Ländern. Die bedrückenden Lebensbedingungen – Militarisierung der Gesellschaft, Vorherrschaft der religiösen Reaktion, Rassenunterdrückung, krasse Ungleichheit – sind alle ein Produkt der Unterdrückung der Palästinenser. Dieses theokratische Pulverfass aus Klassen-, ethnischer und geschlechtsspezifischer Unterdrückung wird hauptsächlich durch die zionistische Ideologie zusammengehalten. Es gibt eine materielle Basis, um die israelische Arbeiterklasse für die Revolution und die Befreiung der Palästinenser zu gewinnen, aber dies erfordert einen vollständigen Bruch mit dem Zionismus.
Die Mizrachim zum Beispiel – die arabischen Juden, die einst im gesamten Nahen Osten lebten – wurden durch den zunehmenden von den arabischen Regimen geschürten Antisemitismus sowie durch die zionistischen Provokationen nach der Nakba gezwungen, nach Israel auszuwandern. In Israel wurden sie so behandelt, wie die Zionisten andere Araber behandelten, als rückständige Wilde. In den 1970er-Jahren stellten die Mizrachim 50 Prozent der jüdischen Bevölkerung Israels. Obwohl sie einen höheren Status hatten als die palästinensischen Bürger Israels, wurden sie von der aschkenasischen herrschenden Klasse am unteren Ende der israelisch-jüdischen Gesellschaft niedergehalten, wo ihnen die schlechtesten Jobs und die schlimmsten Lebensbedingungen mitsamt Rassentrennung zugeteilt wurden. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Mizrachim haben viel zu gewinnen, wenn sie für die Befreiung der Palästinenser kämpfen, die von demselben zionistischen Staat und derselben herrschenden Klasse unterdrückt werden. Doch in ihrem Bemühen, sich in die israelische Gesellschaft zu integrieren, übernimmt diese Schicht oft die fanatischsten zionistischen Ansichten. Dieser Widerspruch trifft den Kern des Problems einer Revolution in Israel. Die ideologisch reaktionäreren Schichten haben stärkere materielle Gründe, sich zu erheben, als die liberalen Schichten, die in Wirklichkeit, auch wenn die meisten Linken auf sie setzen, materiell stärker mit dem Status quo verbunden sind.
Die postsowjetische Weltordnung und die Niederlage von Oslo
Die 1980er-Jahre waren für den Kampf der Palästinenser eine Zeit der Niederlagen und des Rückzugs. Der Libanonkrieg von 1982 endete für die PLO in einer Katastrophe, und 1987 wurde die erste Intifada im Gazastreifen und im Westjordanland brutal niedergeschlagen. Diese militärischen Niederlagen gingen Hand in Hand mit der zunehmenden Isolierung der PLO im internationalen Umfeld, das von wachsender Kriegsbereitschaft der USA und dem Rückzug der Sowjetunion geprägt war. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR 1991/92 änderte sich die Weltordnung grundlegend. Das führte zu einer ideologischen Verschiebung im Kampf der Palästinenser, wobei deren Führung immer konservativer, kampfunwilliger und verzweifelter auf der Suche nach einem Abkommen wurde.
Im März 1991 verkündete US-Präsident George Bush Senior: „Die Zeit ist gekommen, dem arabisch-israelischen Konflikt ein Ende zu setzen“, und vermittelte die ersten Friedensgespräche, an denen neben Israel und Palästina auch Ägypten, Syrien, Jordanien und der Libanon teilnahmen. Sein Nachfolger Bill Clinton trat in seine Fußstapfen und erklärte sich zum Friedensstifter im Nahen Osten. Diese großspurigen Ansprüche des US-Imperialismus waren symptomatisch für die Zeit der US-Hegemonie und des Triumphes des Liberalismus im Kalten Krieg. Die USA konnten es sich leisten, Großprojekte für den „Frieden auf Erden“ unter einer Pax Americana in Angriff zu nehmen. Ihre Version von Frieden war natürlich die fortgesetzte Unterjochung des palästinensischen Volkes und die Stabilisierung von Israels Sicherheit.
Das führte Anfang der 1990er-Jahre zu dem von den USA vermittelten Osloer Abkommen. Das Abkommen bedeutete eine weitgehende Kapitulation der PLO, die den zionistischen Staat anerkannte und sich damit über die PLO-Charta von 1968 hinwegsetzte, die Palästina als „eine unteilbare territoriale Einheit“ definiert. Darüber hinaus akzeptierte die PLO, dass die jüdischen Siedlungen im Westjordanland unter israelischer Kontrolle blieben, und stimmte der Gründung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu, die als Israels Aufseher im Westjordanland und im Gazastreifen fungieren und das unter palästinensischer Kontrolle stehende Territorium überwachen sollte. Unter dem Vorwand laufender Verhandlungen überließ man Israel die Kontrolle über die Wasserversorgung und vereinbarte, dass die PA keine Befugnisse über die Außenbeziehungen, die äußere Sicherheit oder die Israelis in den von Palästinensern verwalteten Gebieten haben würde. Das Osloer Abkommen sah einen Ministaat in der Art eines Bantustans vor, ein groteskes Versprechen, das nicht einmal erfüllt wurde.
Ziel des Osloer Abkommens war es, durch die vage Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung die Palästinenser ruhigzustellen und den Konflikt einzufrieren. Die Zionisten nutzten die Kapitulation der PLO aus, um die Palästinenser immer stärker unter Druck zu setzen, indem sie deren Gebiet nach und nach verkleinerten und ständig Angriffe auf den Gazastreifen und das Westjordanland durchführten. Dieser Prozess gipfelte in der Unterzeichnung des Abraham-Abkommens von 2020 unter der Trump-Regierung, das den Grundstein legte für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und Israel durch die Anerkennung der Souveränität Israels. Das Abkommen galt als ein Triumph Israels, der die Sache der Palästinenser zu einer Fußnote der Geschichte zu machen versprach.
Die Palästinenser immer fester in die Zange zu nehmen musste mit Sicherheit eine Reaktion provozieren. Der offene Verrat der PLO führte dazu, dass sich die Palästinenser zunehmend der Hamas und anderen islamistischen Kräften zuwandten, die eine radikalere Konfrontation mit Israel anboten. Sporadische Zusammenstöße zwischen Israel und der Hamas über mehr als ein Jahrzehnt gipfelten in einem Frontalangriff auf Israel mit der Operation Al-Aqsa-Flut am 7. Oktober 2023. Dieser Angriff und die völkermörderische Reaktion Israels erschütterten den Status quo in der Region und schlugen den letzten Nagel in den Sarg des Osloer Abkommens. Die Steigerung der Intensität und Brutalität des Konflikts überschneidet sich mit dem Niedergang der US-Hegemonie, der zunehmende Turbulenzen in der Welt mit sich bringt. Vor diesem neuen Hintergrund müssen Revolutionäre die nächsten Schritte im Kampf für die Freiheit der Palästinenser in Angriff nehmen.
Perspektiven der Marxisten heute
Zwar zerschlug der Hamas-Angriff den Status quo in der Region, doch hat sich in der marxistischen Linken der politische Status quo ihrer Desorientierung und Kapitulation keinen Millimeter bewegt. Sozialisten aller Schattierungen pendeln nach wie vor im Zickzackkurs zwischen zwei Polen: Zionismus und arabischem Nationalismus. Auf dem rechten Flügel finden wir Gruppen wie Lutte Ouvrière in Frankreich und Lotta Comunista in Italien, die zwar gegen die Bombardierung des Gazastreifens durch Israel protestieren, aber den Kampf für die Befreiung Palästinas als reaktionäres nationalistisches Anliegen anprangern. Etwas weiter links, aber in der gleichen Hauptkategorie, finden wir das Komitee für eine Arbeiterinternationale und die Internationale Sozialistische Alternative, die ihre Ablehnung der nationalen Befreiung Palästinas hinter liberaler Solidarität mit der Bewegung und leeren Abstraktionen wie der folgenden verstecken:
Solche Plattitüden über die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus sind bedeutungslos, wenn sie nicht die nationale Befreiung der Palästinenser zum Ausgangspunkt haben. Man muss verstehen, dass die Voraussetzung für die Einheit der Arbeiter in Palästina und Israel die Ablehnung des Zionismus ist und dass eine sozialistische Revolution nur möglich ist, wenn die nationalen Bestrebungen der Palästinenser von Anfang an in den Mittelpunkt gestellt werden.
Am anderen Ende des Spektrums stehen jene Linken, die die Führung der Palästinabewegung unkritisch bejubeln. Die Partei für Sozialismus und Befreiung (PSL) in den USA nimmt dabei kein Blatt vor den Mund: „Die Rolle der Bewegung in den Vereinigten Staaten besteht nicht darin, die Ideologie oder Strategie der palästinensischen Befreiungsbewegung zu kritisieren, sondern darin, unseren Teil zur Unterstützung der Palästinenser beizutragen, damit sie das Joch des Kolonialismus abschütteln und dann selbst entscheiden können, wie sie ihre Gesellschaft organisieren wollen“ („Why the Palestine Movement Is a Struggle for National Liberation“ [Warum die Palästinabewegung ein Kampf für nationale Befreiung ist], liberationnews.org, 3. März 2024). Die meisten, wie die britische SWP, sind nicht so unverhohlen, sondern kritisieren auch die Methoden und die Ideologie der Hamas. Aber diese Nachsätze sollen in keiner Weise den Einfluss des Nationalismus auf den palästinensischen Kampf in Frage stellen.
Für alle diese Gruppen besteht die Rolle der Kommunisten nicht darin, der Bewegung eine revolutionäre Richtung zu geben, sondern als Fußsoldaten für die Liberalen und Nationalisten zu fungieren. Darin sind sich beide Strömungen einig. Egal was ihre Position zu Palästina selbst ist, jubeln die meisten marxistischen Gruppen die Protestbewegung hoch, indem sie die Tatsache unter den Teppich kehren, dass die Bewegung von pro-imperialistischen Liberalen angeführt wird, oder indem sie diese Leute offen unterstützen – von Rashida Tlaib, einer Politikerin der Demokratischen Partei in den USA, bis zum Labour-Abgeordneten und NATO-Strohmann John McDonnell in Britannien.
Die perfideste Rolle spielen Zentristen wie Left Voice von der Trotzkistischen Fraktion. Es fällt ihnen nicht schwer, einige der Hauptprobleme der Bewegung zu benennen. So schreiben sie in einem Artikel über die USA:
Sehr richtig. Aber welche praktischen Schlussfolgerungen zieht Left Voice aus dieser Analyse? Konzentriert sie ihre Interventionen in die Palästinabewegung darauf, sie von ihrer liberalen Führung loszureißen, die für die Demokratische Partei ist? Nein, tut sie nicht. Der größte Teil ihrer Aktivitäten besteht darin, leere Aufrufe zur „Schaffung einer Massenbewegung“ und zur Organisierung „gemeinsamer Aktionen auf der Straße“ zu erheben. In polemischer Auseinandersetzung mit Organisationen wie der PSL kann sie aufzeigen, wie diese vor der Hamas und der Kommunistischen Partei Chinas kapituliert, und sogar deren Anbiederung an die Demokraten kritisieren. Aber Left Voice verliert kein Wort über deren Hochjubelung von Rashida Tlaib, die in der Demokratischen Partei die Hauptfigur ist, die die Palästinabewegung an die Partei des Völkermords bindet. Tatsächlich hat es Left Voice sorgfältig vermieden, Tlaibs verräterische Rolle zu entlarven.
Die Entlarvung von Tlaib in den USA, Mélenchon in Frankreich und John McDonnell in Britannien ist keine Nebensache. Wer es ernst damit meint, die Palästinabewegung von ihrem liberalen Kurs wegzubrechen, muss genau diese „linken“ Figuren entlarven. Es ist eine Sache, zu sagen: „Wir müssen gegen die Demokraten sein.“ Eine andere ist es, zu sagen: „Wir müssen gegen Rashida Tlaib sein.“ Ersteres mag für radikale Liberale akzeptabel sein. Letzteres ist eine Kampfansage an deren Illusionen.
Genau diesen Zentrismus, für den Left Voice ein Musterbeispiel bietet, prangerte Lenin in seiner Polemik gegen Kautsky an. Dieser konnte den Krieg im Allgemeinen und sogar den rechten Flügel der Sozialdemokratischen Partei verurteilen. Aber Kautsky weigerte sich, für eine Abspaltung von den sozialchauvinistischen Elementen in der Arbeiterbewegung zu kämpfen. Heute kann Left Voice zum Bruch mit den Demokraten im Allgemeinen aufrufen, weigert sich aber, für eine Abspaltung vom „links“bürgerlichen Teil der Bewegung zu kämpfen.
Genau das ist die zentrale Aufgabe der Kommunisten und das Leitprinzip der Intervention der IKL in die Palästinabewegung seit dem 7. Oktober. In den Ländern, in denen wir interveniert haben, versuchten wir, die Notwendigkeit einer kommunistischen Führung aufzuzeigen, indem wir eine Perspektive vorlegten, die konkret die Bewegung voranbringt und gleichzeitig die Grenzen und den Verrat ihrer derzeitigen Führer aufdeckt. Das ist der Unterschied zwischen Zentristen, die das Problem wahrnehmen, um es dann zu umgehen, und Revolutionären, die einen Weg aufzeigen, um die Hindernisse auf dem Weg zum Sieg zu überwinden.
Im palästinensischen Befreiungskampf beginnt ein neues Kapitel, das die Marxisten einmal mehr auf die Probe stellt. In Palästina müssen Revolutionäre aktiv am Kampf gegen den israelischen Ansturm teilnehmen und ihn organisieren, auch durch gemeinsame Aktionen mit den anderen palästinensischen Widerstandsgruppen. Doch sie müssen unter ihrem eigenen Banner marschieren und jede Gelegenheit nutzen, die islamistische Strategie einer schonungslosen Kritik zu unterziehen, wobei das Interesse der Gesamtbewegung immer an erster Stelle stehen muss. Gleichzeitig müssen Revolutionäre innerhalb der israelischen Gesellschaft aktiv werden, vor allem in der Arbeiterklasse und in der Armee, um jedes Anzeichen von Wut gegen die zionistische Regierung aufzugreifen und zu vertiefen, diese Wut mit der palästinensischen Sache zu verknüpfen und den Bruch mit allen Formen des Zionismus voranzutreiben.
In der muslimischen Welt müssen Revolutionäre die weit verbreitete pro-palästinensische Stimmung der arbeitenden Massen entfesseln, sie mit der imperialistischen Unterdrückung der gesamten Region in Verbindung bringen und sie auf den Kampf gegen die korrupten herrschenden Cliquen orientieren. Bedingungslose Opposition gegen den Imperialismus und entschiedener Widerstand gegen die Nationalisten sind Voraussetzungen für die Vereinigung aller Arbeiter und Bauern, besonders von unterdrückten nationalen Minderheiten, gegen die die Imperialisten ihre Teile-und-Herrsche-Politik anzuwenden versuchen (z. B. die Kurden). Boykotte und diplomatische Appelle führen im Globalen Süden zu nichts. Revolutionäre müssen den Kampf auf die Schwächung der Position der US-Imperialisten ausrichten, der Hauptmacht hinter Israel und auch Hauptunterdrücker des Globalen Südens.
Im Westen müssen Revolutionäre, wie bereits erwähnt, für die Abspaltung von den liberalen und reformistischen Führern der Bewegung kämpfen. Insbesondere müssen sie in der Arbeiterbewegung dafür kämpfen, die sozialchauvinistische Politik der Gewerkschaftsführer zu entlarven, und aufzeigen, wie deren (offene oder verdeckte) Unterstützung für Israel Hand in Hand geht mit ihrer Sabotage der elementarsten Kämpfe für die Lebensgrundlagen der Arbeiter.
Der Kampf für die Befreiung Palästinas stellt Revolutionäre an allen Fronten vor die Notwendigkeit, den Kräften, die ihn führen, frontal entgegenzutreten. Die hundertjährige Kapitulation der marxistischen Bewegung vor dem Zionismus oder Nationalismus wurde mit dem Blut der Palästinenser bezahlt, führte zu Verrat und Niederlagen ohne Ende und verwehrte den Palästinensern eine proletarische Lösung für ihre nationale Unterdrückung. Die vor uns liegende Aufgabe besteht darin, eine kommunistische Führung des palästinensischen und antiimperialistischen Kampfes aufzubauen – das entscheidende Element, das in den letzten 100 Jahren gefehlt hat.