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Mit dem Zusammenbruch der verhassten Ampel-Regierung war klar, dass ein großer Rechtsruck bevorstehen würde. Die SPD als treibende Kraft des NATO-Kurses in der Regierung und die Linkspartei als loyale Opposition haben alles dafür getan, die Arbeiterklasse zu ruinieren und in die Arme der reaktionären AfD zu treiben.
Diese verheerende Situation endlich umzudrehen und für eine linke Opposition der Arbeiterklasse zu kämpfen, das war die Aufgabe, die sich für uns und für jeden sozialistischen Linken nach Ankündigung der Neuwahlen stellte. Dafür bot die Kandidatur der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) eine wichtige Möglichkeit. Mit ganzer Kraft haben wir Trotzkisten den Wahlkampf der MLPD unterstützt und auch die gesamte Linke dazu aufgefordert. Die MLPD kandidierte bei der Wahl als einzige Partei bundesweit auf einer klaren antiimperialistischen und proletarischen Grundlage: gegen die NATO, für Palästina, für Sozialismus. Sie öffnete sogar ihre Internationalistische Liste für andere linke Organisationen und Kandidaten.
Dieses einzigartige Angebot ermöglichte auch, dass Toralf Endruweit, ein sozialistischer Hafenarbeiter und Oppositioneller in ver.di, mit dem Programm der Spartakisten auf der Internationalistischen Liste kandidieren konnte. Toralf hat exemplarisch aufgezeigt, wie ein linkes Kampfprogramm gegen Krieg und Krise aussehen kann. Er stellte den Kampf gegen den Imperialismus, gegen die NATO und die pro-zionistische Staatsräson in den Mittelpunkt des Wahlkampfes.
Es ist ein Armutszeugnis für die große Mehrheit der Linken, dass sie die Unterstützung der Internationalistischen Liste abgelehnt hat. Die Kandidatur der MLPD bot die Chance für eine vereinte antiimperialistische Opposition der Linken gegen die verräterischen Arbeiterführer in SPD, Linkspartei und Gewerkschaften.
Ganz im Gegensatz zu unserer antiimperialistischen Perspektive war der dominierende Trend in der Linken die Unterstützung der Linkspartei. Wie kann das sein, wo doch deren Unterstützung für den deutschen Imperialismus, für die Selenskyj-Ukraine und für Israel so offensichtlich ist wie seit langem nicht? Das Argument der Linken lautete im Wesentlichen: Trotz all ihrer Probleme bleibe die Linkspartei ein wichtiges Gegengewicht zum Aufstieg der AfD und zum Rechtsruck der anderen Parteien. Sie ist alles andere als das.
Die deutschen Kapitalisten waren einer der größten Profiteure der US-dominierten liberalen Weltordnung der letzten Jahrzehnte. Die liberale Ideologie von Freihandel und Globalisierung, EU und offenen Grenzen, Antirassismus und Antifaschismus entsprach ihren Klasseninteressen. Die Arbeiterführer in SPD, Linkspartei und Gewerkschaften haben sich diese Ideologie vollkommen zu eigen gemacht und den Arbeitern die Agenda der Kapitalisten als fortschrittlich angepriesen – während die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zugrunde gerichtet wurden.
Bei all ihrer Kritik haben die Linken nicht für einen Bruch von diesen Führern gekämpft – weil sie deren liberale Ideologie grundlegend teilen. Nur so konnte es dazu kommen, dass die arbeiterfeindliche AfD im Proletariat immer mehr als einzige Alternative und die Linke als bloßes Anhängsel der herrschenden Eliten gesehen wird. Der Liberalismus versperrt der Linken den Weg zur Arbeiterklasse. All das wurde im Wahlkampf auf ganzer Linie bestätigt.
Brandmauer und Linkspartei-Comeback
Im Zuge von Merz’ gemeinsamer Abstimmung mit der AfD hat der Wahlkampf eine neue Dynamik erhalten. Rot-Grün und die Linkspartei warfen ihm daraufhin vor, dass er die „Brandmauer“ zur AfD eingerissen und damit die Lehren aus dem Faschismus über Bord geworfen habe. Die AfD ist nicht faschistisch, sondern trotz Nazis in ihren Reihen eine rechtspopulistische Partei. Hunderttausende, die ernsthaft über die Aussicht auf eine Merz/AfD-Regierung besorgt waren, wurden von Rot-Grün auf die Straße mobilisiert.
Was ist das Problem? Die Erzählung von der fortschrittlichen, antifaschistischen Bourgeoisie, die die Lehren aus der Geschichte gezogen habe, war zentral, um den liberalen Block der vergangenen Periode aufrechtzuerhalten, der arbeiterfeindlichen Politik einen progressiven Anstrich zu geben und jede Opposition dagegen zu ersticken. Die Arbeiter wurden durch die Brandmauer regelrecht zur AfD getrieben. Wer gegen Merkels Flüchtlingspolitik war, galt als rechts und rassistisch. Wer gegen die arbeiter- und industriefeindlichen Öko-Maßnahmen ist, als Klimaleugner. Wer gegen die EU ist: Nationalist. Wer gegen die reaktionären Lockdowns in der Pandemie war: Querdenker und Verschwörungstheoretiker. Wer sich nicht in die NATO-Hetze gegen Russland einreiht: Putin-Anhänger. Das heißt nicht, dass die AfD in irgendeiner dieser Fragen eine Antwort im Interesse der Arbeiterklasse hat, sondern zeigt, dass jedes Abweichen vom liberalen Mainstream pauschal als reaktionär dargestellt wird.
Nun hat Merz einen Schritt getan, der vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre und sogar von Merkel höchstselbst denunziert wurde: Er hat sich auf die Stimmen der AfD verlassen, um den Kurs in der Migrationspolitik zu ändern, weil SPD und Grüne dazu (noch) nicht bereit waren. Natürlich war Merz’ Antrag inhaltlich vollkommen reaktionär und ein Frontalangriff auf Arbeiter und Unterdrückte, den man als Linker ablehnen muss. Gleichzeitig ist es notwendig, die Brandmauer-Ideologie als reine Abdeckung imperialistischer Politik zurückzuweisen – und nicht das ramponierte Image der pro-imperialistischen Linkspartei-Führung aufzubessern.
Die Wähler der AfD werden durch die staatstragende Reaktion der Linken nur darin bestätigt, dass diese keine Alternative zum Verrat der Arbeiterführer sind. Es wäre vielmehr notwendig gewesen, am Aufbau einer Opposition gegen die Linkspartei mitzuwirken – und zu diesem Zweck den Wahlkampf der MLPD zu unterstützen. Toralf hat diese Aufgabe angenommen und erklärt: „Nicht die Einheit gegen rechts kann die AfD stoppen, sondern nur die Einheit der Arbeiterklasse – gegen den Verrat von SPD und Linkspartei, die der AfD den Weg bahnen! Deshalb: Keine Stimme für SPD und Linkspartei – wählt MLPD!“
Es klingt verrückt, aber diese Differenz hatten wir auch mit der MLPD selbst, die es abgelehnt hat, den politischen Kampf gegen die Linkspartei ins Zentrum ihres Wahlkampfes zu stellen. Sie ging der sozialdemokratischen Brandmauer-Politik vollkommen auf den Leim. Auch die MLPD erklärte, dass die Linkspartei zur Stärkung des antifaschistischen Kampfes wieder in den Bundestag einziehen müsse. Diese Anbiederung ging so weit, zur Wahl der pro-imperialistischen Linkspartei-Führer Ines Schwerdtner (Berlin-Lichtenberg) und Sören Pellmann (Leipzig) aufzurufen. Diese beiden, als zentrale Führer der Linksfraktion, haben gleich nach der Wahl ermöglicht, dass Merz und die SPD ihr Aufrüstungspaket noch durch den alten Bundestag bringen konnten – und damit erneut die AfD in ihrer Rolle als einzige Oppositionspartei gestärkt. Die „antifaschistische Einheit“ hat also nicht nur dem Wahlkampf der MLPD geschadet, sondern auch dem Kampf gegen die AfD.
Linke und Migration
Bei aller Kritik, die die Linken an der Linkspartei auch in der Frage der Migrationspolitik haben, etwa wegen ihrer Abschiebepolitik in Landesregierungen: Sie begrüßen den generellen Kurs der Partei und ihr Festhalten an der Forderung nach offenen Grenzen. Vielen Linken diente diese Forderung als zentrales Argument zur Wahlunterstützung der Linkspartei. Es ist eine gängige Erzählung in der Linken, dass die AfD wachsen würde, weil die anderen Parteien ihr Programm in der Migrationspolitik übernommen hätten. Es stimmt, dass die Frage der Migration neben dem Kriegskurs in der Ukraine für viele Arbeiter, gerade im Osten, ausschlaggebend für die Wahl der AfD war. Das bedeutet aber nicht, wie es Liberale gerne darstellen, dass alle AfD-Wähler rassistisch wären.
Die liberale Migrations- und Flüchtlingspolitik war ein wesentlicher Teil der liberalen Ordnung der letzten Jahre. Die deutschen Kapitalisten haben von steigender Migration und der Freizügigkeit in der EU massiv profitiert, während die Arbeiter darunter gelitten haben. Flüchtlinge werden unter schlimmsten Bedingungen ausgebeutet und gleichzeitig in die Viertel der Armen oder strukturschwache Gegenden gedrängt. Die Mehrheit der Arbeiter betrachtet diese Politik und die Forderung nach offenen Grenzen als Bedrohung – und die AfD als einzige Opposition dagegen. Wie oft hat Toralf bei den Streiks im Wahlkampf gehört, dass Olaf Scholz alles für die Ukraine und die Ukraine-Flüchtlinge gibt, aber bei den Arbeitern nichts ankommt. Arbeiter berichteten vielfach von ihrer Sorge, dass ihnen durch ungezügelte Migration das Wenige, das sie noch haben, auch noch weggenommen wird, seien es Wohnungen, Arbeitsplätze, Renten oder Bildungschancen ihrer Kinder. Die Arbeiterführer von SPD und Linkspartei haben diese Migrationspolitik vollkommen mitgetragen, die Sorgen der Arbeiter abgetan und jede Kritik als rassistisch verleumdet.
Ein direktes Echo davon ist auch der giftige Umgang der Linken mit Sahra Wagenknecht. Mit der Spaltung von der Linkspartei und der Gründung vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat sich nun eine Partei konsolidiert, die Sozialisten, Antiimperialisten und ehemalige Linke-Wähler anzieht, vor allem in Ostdeutschland, die vom Liberalismus und dem Kurs der Linkspartei abgestoßen sind. In der Migrationspolitik benennt das BSW viele Probleme richtig und kritisiert die Linken dafür, dass sie vor den Nöten der Arbeiter die Augen verschließen. Aber das BSW gibt selbst eine vollkommen falsche, sozialchauvinistische Antwort, die die Arbeiterklasse spaltet; es unterstützt Abschiebungen und richtet die berechtigte Wut der Arbeiter nicht gegen die Kapitalisten, sondern gegen Flüchtlinge.
Die Migrationspolitik gehört zu den ersten Feldern, wo die Kapitalisten den Bruch vom Liberalismus eingeleitet haben. Es stehen eine Abschiebe-Offensive und gewaltige Angriffe auf Minderheiten bevor, die die weitere Spaltung der Arbeiterklasse befördern werden. Die Arbeiterklasse muss diese Angriffe zurückschlagen! Doch das Festhalten der Linken an der Forderung nach offenen Grenzen erschwert eine solche Mobilisierung und treibt die Arbeiter weiter zur AfD.
Entgegen der falschen Polarisierung in der Gesellschaft – mehr oder weniger Migration – hat Toralf für eine proletarische Perspektive gekämpft, die als einzige dazu in der Lage ist, die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen. Er hat dafür gekämpft, seine Kollegen im Hafen und die nicht-eingewanderten Arbeiter in seinem Wahlkreis davon zu überzeugen, dass die Kapitalisten, nicht die Flüchtlinge, für ihr Elend verantwortlich sind und dass der Kampf gegen die Angriffe auf Flüchtlinge und Minderheiten und gegen alle Abschiebungen auch in ihrem Interesse ist – und nicht gleichbedeutend mit der Forderung nach ungezügelter Migration.
Toralf erklärte: „Um die Spaltung der Arbeiterklasse zu überwinden, müssen die Gewerkschaften für volle Staatsbürgerrechte für alle kämpfen. Dazu gehört auch der Kampf für das Recht auf volle politische Betätigung, gegen die Repression und alle Verbote. Der Kampf gegen die antimuslimische und antipalästinensische Repression ist entscheidend, um die Arbeiter und Unterdrückten gegen den gemeinsamen Feind zu vereinen. Weg mit dem Verbot von PKK, Samidoun und der Islamischen Zentren!“
Eine widersprüchliche Rolle spielten die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO, Herausgeber von KlasseGegenKlasse) und die Revolutionär Sozialistische Organisation (RSO), die mit drei Direktkandidatinnen in Berlin und München antraten. Auch diese Kampagne haben wir unterstützt, da sie sich klar gegen die Unterstützung der Linkspartei ausgesprochen hat und auf einer klaren antiimperialistischen Grundlage stand. Wir forderten RIO dazu auf, die MLPD und die Kandidatur von Toralf zu unterstützen und die antiimperialistischen Kräfte zu bündeln, aber RIO lehnte jeden Wahlaufruf für eine andere Kraft ab.
RIO stellt sich gegen die antipalästinensische Staatsrepression und hat wiederholt die Forderung nach einem Boykott von Waffenlieferungen an Israel aufgestellt. Trotzdem verweigerten sie ausgerechnet einem sozialistischen Hafenarbeiter, der gegen viel Widerstand genau dafür im Hamburger Hafen und in ver.di kämpft, die politische Unterstützung! Warum? Der wesentliche Grund, den Unterstützer von RIO uns gegenüber äußerten: dass Toralf und die Spartakisten den Kampf von RIO und RSO für offene Grenzen ablehnten und vor dem Rassismus kapitulieren würden. Wir unterstützen sehr das Ziel von RIO und RSO, einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei herbeizuführen. Aber dieser wird ohne Bruch mit dem Liberalismus, auch in der Migrationspolitik, nicht möglich sein.
Wir können stolz auf unseren konsequenten Kampf für eine linke Opposition im Wahlkampf sein. Aber die gut 30 000 Stimmen für die MLPD bundesweit und selbst die beachtlichen 449 Erststimmen für Toralf in HamburgWandsbek sind viel zu wenig. Wir müssen mehr werden. Wir reichen der MLPD, RIO/RSO und der ganzen sozialistischen Linken die Hand, um die Lehren aus der Wahl zu ziehen und zu diskutieren, wie wir gemeinsam die Verteidigung und die Einheit der Arbeiterklasse in den kommenden Kämpfen organisieren können.