QR Code
https://iclfi.org/spartacist/de/35/frankreich
Übersetzt aus AUCUN VOTE AU 2e TOUR ! (Französisch), Le Bolchévik Extra

„Die Frage der Fragen ist gegenwärtig die Volksfront. Die linken Zentristen ver­su­­­chen, diese Frage als taktisches oder sogar als technisches Manöver dar­zu­stellen, um im Schatten der Volksfront mit ihrer Ware hausieren gehen zu können. In Wirk­lich­keit ist die Volksfront die Hauptfrage der proletarischen Klassenstrategie für diese Epoche. Sie bietet auch das beste Kriterium für den Unterschied zwischen Bolsche­wis­mus und Menschewismus.“

— Leo Trotzki, „Die niederländische Sektion und die Internationale“ (Juli 1936)

Nach den französischen Parlamentswahlen vom 7. Juli 2024 wurde der Sieg der Neuen Volksfront (NFP) von der Linken mit Jubel begrüßt. In Wahrheit war es ein Pyrrhussieg, wie auch der rasante Aufstieg des Rassemblement National (RN) von Le Pen/Bardella zeigte.

Die NFP, so benannt zu Ehren der Volksfrontregierung von 1936, ist eine unheilige Allianz aus vor allem der Sozialistischen Partei (PS) des ehemaligen Präsidenten François Hollande, der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF), den Grünen und dem links-populistischen La France Insoumise (Unbeugsames Frankreich – LFI) von Jean-Luc Mélenchon. Sogar die aus dem Trotzkismus stammende Nouveau Parti Anticapitaliste-l’Anticapitaliste (NPA-A) trat mit einem Kandidaten auf der Liste der NFP an.

Die Haltung zu solchen klassenübergreifenden Bündnissen ist, wie Trotzki in den 1930er-Jahren betonte, ein entscheidender Test: die Unterstützung der Volksfront ist keine Taktik, sondern ein Verbrechen, das die Arbeiterklasse lähmt und an die Bourgeoisie fesselt. Doch mit Ausnahme unserer kleinen Sektion, der Ligue trotskyste de France (LTF), hat die gesamte Linke die NFP auf die eine oder andere Weise unterstützt.

Nach einem monatelangen parlamentarischen Zirkus, der im Dezember mit dem Sturz der rechten Barnier-Regierung endete, hat Macron einen neuen Premierminister ernannt, der eine Regierung der sogenannten nationalen Einheit anführen soll, die Mélenchons France insoumise und (formell) Le Pens Rassemblement National ausschließt. Man kann nur darüber spekulieren, wie lange sie Bestand haben wird, aber eines ist sicher: Diejenigen, die diesen erbärmlichen Versuch zur Rettung des Macron’schen Liberalismus mitgemacht haben, ebnen weiter den Weg für Le Pen. Es ist dringender denn je, dass die Linke entschieden mit der Volksfront einschließlich ihrer linken Komponente der LFI bricht und für einen Pol der Arbeiterklasse kämpft, der sich sowohl Macron wie dem Rechtspopulismus und dem französischen Republikanismus entgegenstellt.

Im Folgenden drucken wir die gekürzte Übersetzung eines Vortrags ab, den unser Genosse Alexis Henri auf einer Veranstaltung der LTF am 11. Juli gehalten hat. Der vollständige Text ist in Le Bolchévik Nr. 236 (August 2024) veröffentlicht.


Diese Veranstaltung findet zu einem entscheidenden Zeitpunkt in der Geschichte dieses Landes statt. Wir stehen vor einem Trümmerhaufen, während die Rechte einen weiteren Riesenschritt in Richtung Macht vollzogen hat. Dennoch verkündete die NPA-R (NPA Révolutionnaires, in Deutschland Revolutionär Sozialistische Organisation) in ihrem Leitartikel vom 8. Juli „einen kleinen Moment des Glücks“. Bereits am Sonntagabend überschlug sich Révolution permanente (RP, in Deutschland Revolutionäre Internationalistische Organisation) mit ihrer Erklärung: „Über den schweren Rückschlag für die Partei von Le Pen und Bardella können wir uns nur freuen.“ Wir freuen uns über einen „schweren Rückschlag“, wirklich? Die RP bestätigt damit, dass sie sich den Sieg der Volksfront gewünscht hat. In Wirklichkeit bestätigt die zweite Runde den Trend früherer Wahlen, auch wenn oberflächlich betrachtet der Kurs durch die republikanische Front leicht gebremst wurde. Die rassistischen Reaktionäre des RN haben die Zahl ihrer Abgeordneten innerhalb von zwei Jahren um mehr als 60 Prozent gesteigert: von 8 Abgeordneten im Jahr 2017 auf 89 im Jahr 2022 und 143 heute. Ein komischer Rückschlag, na ja, eigentlich gar nicht komisch.

Und wenn man sich die Anzahl der Stimmen ansieht, ist der Erfolg des RN noch offensichtlicher. Er hat im zweiten Wahlgang zehn Millionen Stimmen auf sich vereint, drei Millionen mehr als die Volksfront auf der einen und die Macronisten auf der anderen Seite. Der RN erhielt 37 Prozent der abgegebenen Stimmen, das ist mehr als bei den Europawahlen und mehr als im ersten Wahlgang, gegenüber 26 Prozent für die Volksfront und ebenso vielen für die Macronisten. Dass der rechte Block bei den Sitzen an dritter Stelle und nicht an erster Stelle liegt, ist einzig und allein auf den undemokratischen Charakter des französischen Wahlsystems zurückzuführen, das auf dem Mehrheitswahlrecht mit zwei Wahlgängen basiert.

Die republikanische Front wird in naher Zukunft nur noch mehr die Behauptung des RN stärken, er sei die einzige echte Opposition gegen Macron; die einzige angeblich wirkliche Anti-System-Partei, gegen die sich alle anderen verbündet haben, die einzige, die noch nicht ausprobiert wurde und die euch nicht verraten wird. Wenn die Arbeiterbewegung nicht bald die Kurve kriegt und kämpft, um die Arbeiter gegen die anti-muslimische Kampagne zu vereinen, der Bourgeoisie entgegenzutreten und sie zum Rückzug zu zwingen, wächst die Gefahr, dass die Macht sehr bald dem RN in die Hände fällt, vielleicht schon nächstes Jahr. Die Tatsache, dass sich die Linke, mit Ausnahme von uns selbst, geweigert hat, der republikanischen Front entgegenzutreten, ist ein „schwerer Rückschlag“ – und zwar für die Arbeiterklasse, die letztlich an falsche Hoffnungen gekettet wird, dass die Volksfront zumindest einen Teil ihrer Versprechungen umsetzen wird.

Die einzige Möglichkeit, diese katastrophale Prognose zu vereiteln, besteht darin, dass die sich auf den Marxismus berufende Linke schnellstens eine kompromisslose Bilanz ihres völligen Versagens bei diesen Wahlen zieht. Denn durch ihre – und sei es auch nur teilweise – Unterstützung der Volksfront haben sie nicht zur Bildung einer neuen Führung beigetragen, sondern dies vielmehr erschwert und mit dafür gesorgt, die Arbeiterklasse zu lähmen, sie zu demoralisieren und letztlich einen Teil von ihr in die Arme des RN zu treiben.

Dank der republikanischen Front verschleiern die Wahlergebnisse den politischen Zusammenbruch der von Macron repräsentierten liberalen Mitte… Hier ein Zitat aus dem heutigen Leitartikel von L’Humanité: „Die Mobilisierung rund um die Neue Volksfront (NFP) hat die Macronisten vor dem Schiffbruch gerettet, der ihnen durch die Widersprüchlichkeiten ihrer Chefs blühte ... es war wieder einmal die Linke, die die Ehre bewahrt und die Republik gerettet hat.“ Der Macronismus war eine Karikatur des liberalen Triumphalismus der von den USA dominierten postsowjetischen Ordnung. Der Niedergang der US-Ordnung schlägt sich in einem Land wie Frankreich in einem noch tieferen Abstieg nieder, da die Amerikaner ihre imperialistischen Verbündeten zunehmend unter Druck setzen, insbesondere durch die Sanktionen gegen Russland und das Aufzwingen von amerikanischem Fracking-Gas. Das ist der materielle Kontext, der Absturz von Macrons Liberalismus in der Sphäre des Parlamentarismus ist nur ein blasses Abbild davon.

Allem Anschein nach bewegen wir uns auf eine explizite oder implizite Koalition (in Form einer „technokratischen Regierung“) zwischen den Macronisten und der Volksfront unter Ausschluss aller oder eines Teils der Mélenchonisten zu. Davor hatten wir schon in unserem Flugblatt gewarnt, in dem wir zur Wahlenthaltung im zweiten Wahlgang aufriefen, auch mit Verweis auf die Erfahrungen in Italien, wo eine Regierung der nationalen Einheit die unmittelbare Vorstufe der rechten Regierung Meloni war. Die Mobilisierung der Linken und – kriminellerweise – der radikalen Linken für die republikanische Front wird nur dazu führen, die Agonie der liberalen Ordnung Macrons zu verlängern. Gleichzeitig wird das der Moral der Arbeiter und Unterdrückten einen enormen Schlag versetzen und den RN-Führern Le Pen/Bardella ihre Aufgabe sehr erleichtern, wenn sie an die Macht kommen.

Doch selbst wenn die Volksfront eine absolute Mehrheit errungen hätte, hätte das nichts an der Abwärtsspirale des Landes geändert. Um auch nur ihre Minimalreformen umzusetzen, hätte die Volksfront die französische Bourgeoisie schonungslos konfrontieren müssen, die durch ihren eigenen Niedergang dazu getrieben wird, die Massen hier in immer größeres Elend zu stürzen. Es ist klar, dass nicht nur Hollande und Marine Tondelier, Führerin der Grünen, eine solche Konfrontation abgelehnt hätten, sondern auch PCF und LFI. Das hat die NPA-R und RP nicht davon abgehalten, dazu aufzurufen, für die Volksfront zu stimmen, obwohl PCF-Führer Fabien Roussel im Fernsehen erklärte, er sei bereit, im Namen der republikanischen Einheit gegen den RN mit den Macronisten zu regieren.

Der Republikaner Mélenchon ... sieht sich vom Großteil der Volksfront isoliert, die hinter den Kulissen bereits auf ein Zusammengehen mit den Macronisten hinarbeitet. Aber auch Mélenchon selbst bleibt völlig hin- und hergerissen zwischen seinen eigenen republikanischen Glaubensbekenntnissen, seinen Aufrufen zu einer republikanischen Front ... und den Sympathien, die er sich aktiv durch einige schöne Worte in den quartiers (Viertel, in denen Immigranten und Minderheiten leben) und bei der pro-palästinensischen Bewegung erworben hat. Deshalb hätte auch die Wahl einer großen Zahl überzeugter Mélenchonisten ... nichts geändert.

Die Aufgabe der radikalen Linken war nicht, als Krücke für diesen linken Flügel der Volksfront herzuhalten, wie sie es getan hat, sondern bestand darin, einen Anti-RN-Arbeiterpol aufzubauen, der sich klar gegen die Volksfront richtet und insbesondere die Arbeiter dazu bringt, mit ihrer linken, mélenchonistischen Komponente zu brechen. Das haben wir während des gesamten Wahlkampfs in den Vordergrund gestellt und uns dabei besonders an die Linke gewandt…

Sehr teuer werden jetzt die Arbeiterklasse und die Minderheiten nicht nur die Weigerung der radikalen Linken bezahlen müssen, sich unseren Aufrufen anzuschließen, sondern auch ihren offenen Verrat. Wer wird solchen Leuten noch glauben, die in der ersten Wahlrunde vormachten, eine Alternative zur Volksfront zu sein, und dann dazu aufriefen, für die Volksfront zu stimmen? Oder im Falle der LO, die sagte, dass man das ohne Scham tun könne, aber nachdem der Schaden angerichtet war, bombastische Erklärungen über Anti-Volksfront-Radikalismus abgab?

Wir freuen uns nicht über die Diskreditierung dieser Organisationen, denn ihre Kapitulation vor der republikanischen Front hat die Herauskristallisierung einer Arbeiteropposition gegen die Volksfront erschwert. Erreicht haben sie bisher einzig und allein, die Hegemonie der LFI über die Arbeiterbewegung zu stärken. Dies wird sich jetzt noch mehr verfestigen, wenn die Volksfront in die Mélenchonisten der LFI, die aus dem republikanischen Kreis ausgeschlossen werden, und die anderen, die sich um die Macronisten geschart haben, zerfällt.

Wir mögen derzeit isoliert sein, aber wir sind zuversichtlich, dass die Richtigkeit unseres Programms bald immer breiteren Schichten der Avantgarde klar werden wird. Linke Organisationen werden von Krisen erschüttert werden, weil manche ihrer Mitglieder die Führungen für den katastrophalen Kurs, den sie eingeschlagen haben, zur Rechenschaft ziehen werden. Diese Krisen müssen genutzt werden, um einen Prozess von Spaltungen und Fusionen auf Grundlage eines revolutionären Programms in Gang zu setzen, mit der Perspektive, die Vierte Internationale wiederzuschmieden.

Die Wahlergebnisse

Ignoriert wird von der Linken eine Lehre aus den Wahlen: Wachsende Teile der Bourgeoisie freunden sich allmählich mit der Idee an, den RN an die Macht zu bringen. Daher die Krise der LR, auch wenn sich die Zahl ihrer Sitze nicht verändert hat, weil ihnen die Linke mit ihrer republikanischen Front aus der Patsche geholfen hat. LR-Präsident Eric Ciottis Ansage, mit der RN ein Bündnis eingehen zu wollen, ist nicht einfach nur eine persönliche Anekdote, sondern spiegelt die Rechtsverschiebung konservativer Teile der Bourgeoisie wider…

Le Monde mag noch so viele scheinheilige, politisch korrekte Reden schwingen, die Bourgeoisie und das wohlhabende Kleinbürgertum sowie die Rentner (mit anderen Worten: die Massenbasis der Macron-Wähler) sind beruhigt, dass die Demagogie Le Pens vor einigen Jahren im Zusammenhang mit der Europäischen Union oder letztes Jahr mit den Renten doch nur eine weitere Art von Lügen war, wie die Bourgeoisie sie verbreitet, um ihre eigenen Klasseninteressen gegen Arbeiter und Minderheiten durchzusetzen.

Die Macronisten haben jahrelang daran gearbeitet, die zentralen Propagandathemen des RN zu übernehmen und zu legitimieren, um die Arbeiterklasse zu spalten. Sie verbreiteten in der Regierung und in der bürgerlichen Presse ständig Propaganda über Immigrantenkriminalität und „wir fühlen uns hier nicht mehr zu Hause“, was von der Linken in Gestalt der nationalen Einheit gegen den Terrorismus und als Verteidigung des republikanischen Laizismus gegen Muslime weiterverbreitet wurde. Mit der Dämonisierung Mélenchons und der gleichzeitigen Einbindung des RN in den „republikanischen Kreis“ zu Gaza unter dem Deckmantel des sogenannten „Kampfes gegen den Antisemitismus“ haben sie eine neue Schwelle überschritten; und das alles mit der kaum verlegenen Zustimmung von PS und PCF. Es sind all diese liberalen, „progressiven“ Regierungen à la Macron oder Hollande, die Le Pen den Weg geebnet haben.

Die Meloni-Erfahrung war für die französische Bourgeoisie beruhigend, auch in anderer Hinsicht: Meloni öffnet weiterhin die Grenzen in dem Maße, wie die Bourgeoisie eingewanderte Arbeiter braucht; nur haben diese noch weniger Rechte als zuvor und können daher noch stärker ausgebeutet werden und sind den Bossen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, was die Arbeiterklasse weiter spaltet und schwächt. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis die französische Bourgeoisie den RN an die Macht bringt…

Warum die Wahl der NFP den RN nicht stoppen kann

Früher oder später wird die nächste Regierung der republikanischen Front, wie auch immer sie genau zusammengesetzt sein mag, stürzen, und die einzige Partei, die nicht kompromittiert ist, der RN, wird erheblich gestärkt hervorgehen und je nach Wahlverfahren entweder das Amt des Premierministers mit absoluter Mehrheit oder direkt das Präsidentenamt gewinnen. In jedem Fall wird die NFP mit ihrer republikanischen Front dem RN den Weg geebnet haben, genau wie wir gewarnt haben…

Es wäre durchaus möglich gewesen, dass ohne die Formierung einer republikanischen Front der RN eine absolute Mehrheit hätte erringen können, wahrscheinlich sogar dann, wenn die Front etwas schwächer gewesen wäre. Was hätten die Arbeiter also gewonnen, wenn die Arbeiterbewegung der republikanischen Front die Unterstützung verweigert hätte? Damit die Arbeiter mit ihrer Führung brechen, muss eine politisch glaubwürdige Alternative hervortreten, die konkret aufzeigt, dass es einen Weg außerhalb der Volksfront gibt. Wäre das der Fall gewesen, so hätte sich ein Teil der Arbeiter nicht mit den Verrätern verbunden gefühlt, die uns heute regieren werden, und es wären objektive Grundlagen für den Aufbau eines Arbeiterpols gegen den RN geschaffen worden, der sich der Volksfront entgegenstellt.

Die Arbeiterklasse wäre in einer viel besseren Verteidigungsposition gewesen als heute. Ihre eigenen Führer, für die sie gestimmt hat (sofern die Arbeiter nicht für die offen arbeiterfeindliche und rassistische Rechte gestimmt haben), sind nun dabei, genau die Regierung an die Macht zu bringen, die die Angriffe auf die Arbeiterklasse durchführen wird. Die Gewerkschaften, von denen man sich hätte denken können, dass sie sich im Falle einer RN-Regierung erheben würden, um die Arbeiter zu mobilisieren, werden jetzt stattdessen bei ihrer Basis für Mäßigung plädieren und argumentieren, dass man den Zusammenbruch der republikanischen Front verhindern müsse aus Angst, dass der RN an die Macht kommt. Die LFI als Ganzes hat sich bereits seit zwei Jahren geweigert, Misstrauensanträge gegen frühere Regierungen zu stellen mit dem Argument, man dürfe nicht mit dem RN zusammen abstimmen.

Im neuen Zusammenhang werden sie es nicht auf sich nehmen, die Regierung Gabriel Attals oder seines nächsten Klons als Premierminister zu Fall zu bringen. Entweder stürzen die reformistischen Arbeiterführer die Regierung und beschleunigen die Machtübernahme des RN, oder sie halten sie künstlich am Leben, indem sie jede bittere Pille schlucken, die Macron ihnen auftischt. Mit anderen Worten: Sie werden Angriffe hinnehmen müssen, die die Arbeiterklasse schrecklich demoralisieren, was wiederum die Machtübernahme des RN beschleunigen wird, wie die Niederlage bei den Renten gezeigt hat. Entweder der RN gewinnt oder die Arbeiter verlieren, das ist die tödliche Alternative, in die uns die Mélenchonisten und andere Propagandisten der Volksfront verstricken, da es keinen Arbeiterpol gegen den RN gibt.

Da aus diesen Wahlen keine stabile Regierung hervorgehen wird, werden die sechs Monate oder ein Jahr oder maximal drei Jahre, die „gewonnen“ wurden, nur dazu dienen, die Arbeiteravantgarde noch mehr zu desorganisieren und zu demoralisieren, weil sie über diese Regierung, die sie mit ins Amt gebracht hat, an die Bourgeoisie gekettet wird. Je länger diese Regierung hält, desto schlimmer wird der Schaden sein. Seht, was fünf Jahre Hollande-Regierung der Arbeiterbewegung in diesem Land angetan haben.

Der einzige Erfolg der Stimmabgabe für die Volksfront und insbesondere für die LFI wird darin bestehen, einem Teil der Führer dieser Gruppierungen den Zugang zu den Futtertrögen der Macronisten in der Regierung oder im Parlament zu ermöglichen. Die Bürokraten und die LFI-Politiker, die mit Mélenchon gebrochen haben, werden sich so noch mehr kompromittieren, während die Illusionen in die Mélenchonisten, die von diesem schamlosen Zirkus ausgeschlossen wurden, zunehmen werden. Der Wechsel eines Teils der Mélenchonisten in die Lager von PS und Macron ist kein trauriger, unerwarteter und unnatürlicher Epilog. Die Arbeiter müssen verstehen, dass das der Zweck einer populistischen bürgerlichen Formation wie der LFI ist: der Bourgeoisie einen liberalen parlamentarischen Ausweg zu bieten, selbst wenn ein solcher Ausweg unmöglich erscheint. Und auf der anderen Seite werden die Arbeiter mehr Illusionen in die LFI-Rebellen haben, die bei Mélenchon geblieben sind, was die Arbeiterkämpfe ebenfalls lähmen wird.

So oder so wird die Arbeiterklasse noch weiter geschwächt werden, und der unweigerlich auf uns zukommende Sieg des RN wird unter viel schlechteren Bedingungen für Arbeiter und Minderheiten stattfinden. So ist die angeblich gewonnene Zeit bis zum vollständigen Sieg des RN also Zeit, die letztlich gegen uns arbeitet. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir mit parlamentarischen Mitteln nicht verhindern können, dass Le Pen an die Macht kommt; dazu müssen wir eine Arbeiteropposition gegen die Volksfront aufbauen, die Le Pen gerade den Weg ebnet.

Wie wir den RN stoppen

Um den Aufstieg des RN zu stoppen, brauchen wir ein Programm mit Forderungen und eine Führung, die in der Lage ist, die Arbeiter in den Kampf zu führen, um der Bourgeoisie diese Forderungen abzuringen. Wir haben einen großen Teil unseres letzten Flugblatts für die zweite Wahlrunde darauf verwendet, zu skizzieren, wie ein solches Kampfprogramm aussehen könnte (siehe „Avec le NFP c’est Le Pen à l’Élysée – Aucun vote au 2e tour!“ [Mit der NFP landet le Le Pen im Élysée-Palast], Le Bolchévik Nr. 236, August 2024). Wir wollten zeigen, dass die Mélenchonisten in jeder Phase als Bremse für den Kampf um diese Forderungen fungieren werden, wie beim Kampf um die Renten, bei der Verteidigung der Jugendlichen in den quartiers nach der Revolte vor einem Jahr und in der Bewegung für die nationale Befreiung der Palästinenser. Man kann der Liste auch den Kampf für die nationale und sozialistische Befreiung des Kanak-Volkes hinzufügen, wo die Mélenchonisten versuchen, die Kolonialabkommen von Matignon und Nouméa zu retten, damit der französische Imperialismus einen Fuß im Pazifik behalten kann…

Und nun geben RP und NPA-R großartige Erklärungen ab, dass es notwendig sei, zu kämpfen. RP leitet ihren ersten Artikel, der die zweite Runde kommentiert, mit der Feststellung ein, dass angesichts der Rechten „nur die Kämpfe von Arbeitern, der Jugend und der quartiers es ermöglichen werden, unsere Forderungen durchzusetzen und die extreme Rechte dauerhaft zurückzudrängen“. Leider ist RP weit davon entfernt, daraus die notwendigen Schlussfolgerungen in Bezug auf die Führung zu ziehen, und begnügt sich damit, die bestehenden Gewerkschaftsführungen, die gerade vier Wochen lang für die Volksfront geworben haben, nach links drängen zu wollen. RP schloss ihren Artikel mit der Aufforderung, dass „die Führungen der Arbeiterbewegung, angefangen bei der CGT, sich an die Spitze dieser Arbeit stellen müssen, indem sie aufhören, sich der institutionellen Linken unterzuordnen“. Leute wie Céline Verzeletti (CGT-Gewerkschaftsführerin, die zuvor eine „Gewerkschaft“ von Gefängniswärtern führte) sollen auf einmal eine Erleuchtung haben? Im Ernst? Dabei hatte sich RP doch gerade der Auffassung angeschlossen, man könne für die Mélenchonisten und die PCF stimmen. Damit verhinderte sie doch gerade, dass linke Gewerkschaftsaktivisten mit der Volksfront brechen und ernsthaft für die Forderungen der Arbeiter zu kämpfen beginnen.

Der Bankrott der Linken bei diesen Wahlen

Ich komme also noch einmal auf die Kapitulation der Linken im zweiten Wahlgang zurück. Es wäre ihre Pflicht gewesen, vor dem ersten Wahlgang und während der gesamten Wahlkampfwoche bis zum zweiten Wahlgang die Notwendigkeit zu erklären, sich gegen die Volksfront zu stellen. Stattdessen führten LO und RP im ersten Wahlgang nur symbolische Kampagnen durch, in denen erstere ausdrücklich verneinte, dass ihre Listen bei der Neuorganisierung der Linken ein Faktor sein könnte, und RP öffentlich verkündete, sie führe keinen Wahlkampf gegen die Volksfront.

Gewiss sah es so aus, als ob die NPA-R deutlich konsequenter versuchte, einen der Volksfront entgegengesetzten Anti-RN-Arbeiterblock zu schmieden. Aber genau deshalb war ihr Aufruf vor dem zweiten Wahlgang, LFI-PCF oder sogar von Fall zu Fall andere linke Kandidaten zu wählen, umso verheerender. Für die Aktivisten der NPA-R ist es ein Lehrstück in Zynismus, drei Wochen lang zu predigen, wie es im Brief der NPA-R an LO vom 12. Juni heißt: „Für uns ist es wichtig zu zeigen, dass wir gegen die Volksfront sind“, um dann, wenn der Druck der Volksfront zwischen den Wahlgängen ansteigt, im Wesentlichen zu sagen, dass es für die NPA-R wichtig sei zu zeigen, dass sie nicht gegen die Volksfront sei und sie sogar dazu aufrufe, für einige ihrer Bestandteile zu stimmen. Die NPA-R sprach sogar von der Möglichkeit, von Fall zu Fall für bestimmte Kandidaten anderer Parteien als LFI und PCF zu stimmen, also für die PS von Hollande-Faure und die Grünen.

Dasselbe gilt für Révolution permanente. Zwischen den beiden Wahlgängen schwor sie jeglicher Unabhängigkeit gegenüber den linken Bürokratien ab und rief zur Wahl der LFI und der PCF auf, wodurch sie den Aufbau einer revolutionären Opposition gegen diese Verräter behinderte. Wir hatten in unserem Flugblatt vom 1. Juli öffentlich die Vermutung ausgesprochen, dass RP dies tun würde, da ihre Kampagne nicht in Opposition zur Volksfront stand. Und tatsächlich erklärte RP schließlich am 3. Juli, dass „lokale Bedingungen und der Kontext der zweiten Runde eine kritische Stimmabgabe für ihre Kandidaten rechtfertigen mögen“, d. h. für die Kandidaten von LFI und PCF.

Es war einfach, jegliche Stimmabgabe für Hollande und seine Sozialistische Partei abzulehnen angesichts der Abscheu, den diese Partei wegen ihrer Verbrechen gegen die Arbeiterklasse während ihrer Regierungszeit immer noch hervorruft; da waren das El-Khomri-Gesetz, der anderthalbjährige Ausnahmezustand, der Gesetzentwurf über den Entzug der französischen Staatsbürgerschaft usw. usf. Die eigentliche Frage war, sich gegen die LFI, den linken Flügel der Volksfront, zu stellen. Hierin haben die Leute Illusionen, und es sind gerade diese Illusionen, die den relativen Erfolg der Volksfront ermöglichten. Eine echte Opposition zur Volksfront erfordert den Kampf gegen Mélenchons Einfluss gerade in den Fragen, die ihm seine politische Autorität unter den Arbeitern eingebracht haben, genau in den Fragen, die der Bourgeoisie die Haare zu Berge stehen lassen: seine platonische Verteidigung der quartiers und Palästinas. Man musste zeigen, dass diese Autorität unzulässigerweise angeeignet wurde, da die Mélenchonisten aufgrund ihres Republikanismus nichts Konkretes tun können, um diese roten Linien der Bourgeoisie zu verletzen, und tatsächlich auch nichts Konkretes getan haben. Die Weigerung der radikalen Linken, diesen Kampf gegen den Mélenchonismus zu führen, kann angesichts einer fehlenden Alternative nur zur Demoralisierung einerseits und zur Stärkung des Einflusses des bürgerlichen mélenchonistischen Populismus andererseits führen…

LO positionierte sich einige Millimeter links von NPA-R und RP. Zwar erklärte sie nicht wie RP, dass es „gerechtfertigt“ wäre, LFI und PCF zu wählen, doch sollte man sich nicht schämen, dies zu tun. Ich zitiere: „Diejenigen, die für Lutte ouvrière gestimmt haben, wollen vielleicht für einen Kandidaten der Neuen Volksfront gegen den RN stimmen. Wenn das so ist, können sie es ohne Scham tun.“

Mit anderen Worten: Wenn du im ersten Wahlgang für LO gegen die Volksfront gestimmt hast, macht es nichts, wenn du im zweiten Wahlgang letztere unterstützt. Ihr habt im ersten Wahlgang für das Arbeiterlager gestimmt, nun, das Arbeiterlager hat sich bei Schließung der Wahllokale am 30. Juni aufgelöst, danach könnt ihr ruhig für das Lager der Bourgeoisie stimmen. Genau so hat LO während des Wahlkampfs das Wesen der Volksfront erklärt, und zwar zu Recht. LO weiß genau, dass eine Stimme für die NFP bedeutet, sich mittels der politischen Kaste der Bourgeoisie an diese zu ketten. Sie haben selbst gesagt, dass es bedeutet, die Arbeiter der Bourgeoisie auszuliefern, wobei sie sagen: „Wir haben euch gewarnt.“ …

Das ist das genaue Gegenteil der Rolle einer Avantgardepartei, die darin besteht, gegen den Strom zu schwimmen, wenn eine fieberhafte Kampagne läuft, um die Arbeiter an die republikanische Front und damit an die Bourgeoisie zu ketten, indem die Schreckensgestalt des RN beschworen wird. LO ist mit Haut und Haaren im stinkenden Sumpf der Volksfront versunken. Für LO ist das wirklich eine tief verwurzelte Haltung; sie rühmen sich damit, nahe am Puls der Arbeiter zu sein, man müsse sich an das Bewusstsein der Arbeiter anpassen. Ja, unterdrückte, in Unwissenheit gehaltene und von ihren Führungen hundertfach betrogene Arbeiter wählen die Reaktionäre des RN oder die heuchlerischen sogenannten Progressiven der Volksfront, aber LO nimmt das als Vorwand, um selbst vor der Volksfront zu kapitulieren. Das ist eine Haltung voller Feigheit und auch – seien wir doch ehrlich – kleinbürgerlicher Verachtung für die Arbeiterklasse. Das Argument von LO läuft darauf hinaus, dass die fortgeschrittenen Elemente der Klasse, diejenigen, die LO wählen, nicht in der Lage sind, revolutionäre Richtlinien oder auch nur klare Wahlanweisungen zur Klassenunabhängigkeit zu verstehen und zu befolgen.

Das ist umso bedauerlicher, als die Wählerschaft von LO zwar nicht in die Millionen geht, aber immerhin mehr als 350 000 ausmachte. Besonders unter ihnen werden sich die ersten Kader der revolutionären Arbeitermassenpartei befinden, zu deren Aufbau sowohl LO als auch wir selbst aufrufen. Aber das Erste, was dafür getan werden muss, ist, genau diese Wähler dazu aufzurufen, sich den Sirenen der Volksfront entgegenzustellen. Anstatt ihr Bewusstseinsniveau zu heben, versteckte sich LO hinter dem am wenigsten fortgeschrittenen Teil ihrer Wähler und überließ es ihnen, für die Volksfront zu stimmen, wenn ihnen danach ist.

Die kommende Periode kann nur dann als Atempause gesehen werden, wenn die marxistische Linke ihre katastrophale Politik in diesem Wahlkampf aufgibt und sich direkt daran macht, für einen der Volksfront entgegengesetzten Arbeiterpol zu kämpfen. Wenn sie das nicht dringend und ohne zu zögern tut, wird jede Sekunde dieser neuen Volksfront zu weiteren Niederlagen und einer noch tieferen Demoralisierung der Arbeiterklasse beitragen – mit anderen Worten, es wird den Vormarsch des RN in Richtung Präsidentschaft beschleunigen. Wir haben wenig Grund, in Bezug auf die radikale Linke optimistisch zu sein, aber wir werden keine passiven Zuschauer sein, die einfach mit verschränkten Armen dastehen und über die Notwendigkeit einer sozialistischen Revolution eines schönen Tages schwadronieren, wie es LO tut. Wir werden auch keine leeren Phrasen wie „Revolution ist dringend“ von uns geben, wie es die NPA-R tut. Die Zeit ist reif, eine Bilanz der Niederlagen zu ziehen seit dem Rentenkampf, der Revolte in den quartiers, der Palästina-Bewegung und jetzt diesem neuen Vormarsch des RN. Die Zeit ist reif für den Bruch mit der Volksfront als Voraussetzung dafür, dass die Arbeiterklasse für ihre eigenen unmittelbaren Klasseninteressen kämpft und auf die Revolution zusteuert. Das ist die Perspektive, die wir vorschlagen. Vielen Dank.

Ein Kampfprogramm gegen den RN

Um sofort mit dem Aufbau von Oppositionspolen zu beginnen, die eine alternative Führung zu den Mélenchonisten und den Gewerkschaftsbürokraten bieten, schlägt die Ligue trotskyste de France der Linken folgende Losungen vor:

  • Enteignet die Banken!
    Für eine Planwirtschaft, um das Land zu reindustrialisieren!
  • Nieder mit NATO und EU!
    Keine Militärhilfe für die Ukraine!
    Nieder mit dem französischen Imperialismus!
  • Freiheit für Palästina!
    Weg mit allen Anklagen gegen pro-palästinensische Aktivisten!
  • Verteidigt die quartiers!
    Amnestie für alle Jugendlichen, die nach der Revolte von 2023 inhaftiert wurden!
  • Nieder mit dem Gesetz gegen „séparatisme“ und den Einwanderungsgesetzen!
    Volle Staatsbürgerrechte für alle Einwanderer!
  • Nieder mit dem Verbot von Schleier und Abaya!
  • Für die sozialistische Unabhängigkeit von Kanaky!
    Freiheit für alle Kanak-Kämpfer!
Für Arbeitermacht!