https://iclfi.org/spartacist/de/35/wahltaktik
Im März 2024 beschloss das Internationale Exekutivkomitee (IEK) der IKL, unsere seit 2007 vertretene Position zu korrigieren, dass es für Marxisten grundsätzlich falsch sei, Exekutivämter in kapitalistischen Regierungen zu übernehmen oder an Wahlen zu solchen Ämtern teilzunehmen. Der IEK-Antrag verwarf den Artikel „Marxistische Prinzipien und Wahltaktik“ (Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 27, Frühjahr 2009) und betonte, dass Wahlkämpfe für Exekutivämter notwendig seien, um „die Illusionen der Arbeiterklasse in die bürgerliche Demokratie zu zerstören, den Klassenkampf gegen die Bourgeoisie zu stärken und den Kampf für proletarische Macht voranzutreiben“.
Das nachstehend abgedruckte Dokument von Vincent David bildete die Grundlage für diesen Antrag. Es wurde für den Spartacist redigiert und auf Grundlage der IEK-Diskussion geringfügig ergänzt. Wir widmen es dem Andenken an Ed Kartsen (1953–2023) und Marjorie Stamberg (1944–2024), die bei bürgerlichen Wahlen und darüber hinaus für den Kommunismus kämpften.
Im Jahr 2024 findet eine Rekordzahl an nationalen Wahlen statt. Da der Niedergang der US-Hegemonie zunehmende Unruhe und Instabilität mit sich bringt, werden alle diese Wahlen eine wachsende Polarisierung und tiefe soziale Unzufriedenheit widerspiegeln. Offene Herausforderer des liberalen Status quo der letzten Jahrzehnte, hauptsächlich von der populistischen Rechten, werden sich an ihnen beteiligen und wahrscheinlich in einigen Fällen gewinnen. Die verstärkte politische Aktivität bei Wahlkämpfen gibt uns die Gelegenheit, unsere Vorstellungen zu verbreiten und den Kampf für den Aufbau eines marxistischen Pols gegen die Verteidiger der morschen liberalen Ordnung und ihre reaktionären Gegner voranzutreiben. Um dabei erfolgreich zu sein, muss die IKL zuerst die Überreste der sektiererischen und doktrinären Methode loswerden, die uns auf diesem Gebiet belasten.
Viele Genossen bringen Argumente vor, dass der Artikel „Marxistische Prinzipien und Wahltaktik“ falsch sei. Das ist er in der Tat. Aber es ist eine Sache, das zu sagen und Zitate von Engels, Lenin und der Komintern zusammenzutragen, um zu entlarven, wie falsch die verschiedenen Argumente in diesem Artikel sind. Eine andere Sache ist es, die gesamte Methode des Artikels mit richtigen Argumenten anzugreifen und ihr eine andere Methode entgegenzustellen: eine marxistische Methode.
Die Aufgabe der proletarischen Revolution gegenüber der bürgerlichen Demokratie ist von unserer Bewegung längst klargestellt worden. Die bürgerliche Demokratie ist eine Fassade für die Herrschaft des Kapitals, die durch Arbeiterdemokratie (Sowjets) ersetzt werden muss, so wie auch die kapitalistische Staatsmaschinerie durch die Diktatur des Proletariats ersetzt werden muss. Aber in verschiedenen Ländern hat die Masse politisch fortgeschrittener Arbeiter immer noch Illusionen in die bürgerliche Demokratie. Solche Illusionen reichen von dem Glauben, die Wahl von arbeiterfreundlichen Politikern könne die Bedingungen der Arbeiter verbessern, bis hin zu der Vorstellung, der Sozialismus könne mit parlamentarischen Mitteln erreicht werden. Deshalb besteht für Kommunisten die zentrale Frage darin, wie man solche Illusionen zerstören kann. Jede Diskussion über unsere Herangehensweise an Wahlen, die nicht von diesem Standpunkt ausgeht, ist leeres Geschwätz.
Und genau das ist der Spartacist-Artikel. Die darin ausgedrückte Haltung zu Exekutivämtern und Wahlen hat nichts mit der Bekämpfung von Illusionen in die bürgerliche Demokratie zu tun. Obwohl der Artikel anerkennt, wie weit verbreitet sie sind, schlägt er absolut nichts zu ihrer Bekämpfung vor außer abstrakter Propaganda und der falschen Antwort, sich nicht an Wahlen zu Exekutivämtern zu beteiligen. Der Aufhänger dieses Artikels war die Zurückweisung der früheren Position der IKL, wonach Kommunisten für Exekutivämter kandidieren können, sofern sie erklären, dass sie solche Ämter nicht übernehmen werden. Aber auch diese Position hatte nichts zu tun mit der Hauptfrage: wie die Illusionen in den kapitalistischen Staat und den Parlamentarismus zerstört werden können. Beide Positionen und vor allem die ihnen zugrunde liegende Methode sind klassische Beispiele für formalistisches Denken und Scholastik, die dem Marxismus völlig fremd sind.
Scholastik kontra Marxismus
Die Methode des Spartacist-Artikels besteht darin, abstrakte marxistische Prinzipien zu propagieren und politische Positionen auf dieser Grundlage zu bewerten, völlig losgelöst von den lebendigen Kämpfen der Massen und ihren bürgerlichen Illusionen. Diese idealistische Gymnastik wird durch eine Vielzahl marxistischer Schriften aus der Vergangenheit untermauert, die nicht als Anleitung zum Handeln, sondern als zeitlose heilige Schriften verwendet werden.
Alles wird im luftleeren Raum betrachtet, wobei jede neu verkündete „Weiterführung“ der Arbeit der Kommunistischen Internationale nur zur Folge hat, dass wir uns noch weiter von den Realitäten und Kämpfen der Arbeiterklasse entfernen. Das liegt daran, dass bei dieser Methode das Hauptanliegen nicht der Kampf um die Führung der Massen ist, sondern die Suche nach einem Talisman, der uns vor möglichem Opportunismus bewahren kann. Die Logik dahinter: Wenn du nicht ertrinken willst, geh nicht ins Wasser.
Ein Problem der bisherigen Diskussion bestand darin, den Spartacist-Artikel lediglich auf theoretischer Ebene zu kritisieren durch den Nachweis, wie die Geschichte der marxistischen Bewegung in dieser Frage falsch dargestellt wurde, und die Entgegenstellung der tatsächlichen Aussagen der Komintern und Lenins. Als Folge davon wurden marxistische Prinzipien wiederholt, aber die entscheidende Frage wurde ausgeklammert: wie man für sie kämpfen kann. Dabei verloren sich viele Genossen in bestimmten historischen oder theoretischen Argumentationen und Spekulationen über diese oder jene Situation, ohne die antimarxistische Methode des Artikels zu entlarven.
Im Gegensatz dazu besteht die marxistische Methode darin, jede Frage vom Standpunkt aus anzugehen, den Klassenkampf bis zur proletarischen Revolution voranzutreiben. Marxistische Prinzipien müssen konkret angewandt werden. Strategie und Taktik müssen von den objektiven Interessen der Arbeiterklasse ausgehen, angefangen mit ihren tatsächlichen Erfahrungen, die wir immer wieder aufgreifen müssen, um die bestehenden Illusionen und die derzeitige Führung der Arbeiterklasse bekämpfen zu können. Eine revolutionäre Führung zeichnet sich nicht durch ein Festhalten an starren Prinzipien oder Schriften der Vergangenheit aus, sondern durch die Fähigkeit der Avantgarde, Prinzipien so anzuwenden, dass sie die Arbeiterklasse durch die Ereignisse führen kann, aus ihnen die Lehren zieht und für die Kämpfe einen Weg aufzeigt, der der aktuellen Lage entspricht und die Arbeiter bei der Durchsetzung ihrer Interessen voranbringt.
Vor diesem Hintergrund müssen wir uns mit der Frage der Wahlen und ganz besonders der Exekutivämter auseinandersetzen. Im Gegensatz zu den Fantasien der Formalisten, für die Prinzipien im luftleeren Raum schweben, hält die große Mehrheit der Arbeiter in der realen Welt immer noch an der bürgerlichen Demokratie fest. Diejenigen, die vielleicht akzeptieren, dass man das bürgerliche Eigentum angreifen oder sogar die Kapitalistenklasse enteignen muss, wollen wissen, warum dies nicht durch die Exekutivämter des kapitalistischen Staates und mit bürgerlich-demokratischen Mitteln möglich ist.
Sie werden nicht einfach wegen theoretischer Argumente über den Klassencharakter des Staates und der Demokratie zu unserer Sichtweise übergehen. Vielmehr wollen und müssen sie alles in der lebendigen Wirklichkeit testen, durch praktische Erfahrung. Eine revolutionäre Organisation, die mehr sein will als eine winzige Diskussionsgruppe, muss bereit und willens sein, die Arbeiter in diesem Prozess zu begleiten, nicht dadurch, dass sie ihre Illusionen teilt, sondern indem sie ihnen hilft, zu dem Schluss zu kommen, dass die bürgerliche Demokratie der Beschützer der Herrschaft des Kapitals ist und dass sie ihre eigenen Organe der Klassenherrschaft brauchen.
Es ist unmöglich, die Arbeiterklasse anzuleiten und ihre Illusionen in die bürgerliche Demokratie zu zerstören, wenn wir uns aus Wahlkämpfen heraushalten. Um zu zeigen, wie der Parlamentarismus ein Instrument der Täuschung ist, das durch Arbeiterdemokratie ersetzt werden muss, müssen wir im Parlament sein. Die Kommunisten arbeiten in dieser Arena, um die Verlogenheit des Parlamentarismus, der Bourgeoisie und ihrer Lakaien innerhalb der Arbeiterbewegung zu entlarven, und wollen damit den unvermeidlichen Gegensatz zwischen den dringenden Bedürfnissen der Massen und dem Hindernis, das der Parlamentarismus ihrer Befriedigung in den Weg legt, aufzeigen und verschärfen. Lenin argumentierte gegen die Ultralinken:
Die gleiche Methode gilt auch für Exekutivämter. Unter den Werktätigen aller Länder bestehen tiefe Illusionen, durch die Kontrolle des kapitalistischen Staates sei es auf nationaler oder kommunaler Ebene möglich, eine radikale Veränderung – sogar eine sozialistische Umwälzung – zu erreichen. Was wir uns auch wünschen mögen, es ist fast eine Gesetzmäßigkeit der Geschichte, dass die proletarischen Massen, die durch scharfe soziale und politische Krisen in den Kampf getrieben werden, dann auch versuchen werden, „die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz [zu] nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung [zu] setzen“ (Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, 1871).
Die Rolle von Revolutionären besteht nicht darin, am Seitenrand zu stehen und solche Vorhaben als prinzipienlos anzuprangern, sondern die Arbeiter durch solche Erfahrungen zu führen. Das bedeutet nicht, ihnen hinterherzulaufen, sondern jede Krise zu nutzen, um sie zu der Erkenntnis zu führen, dass ihre Bestrebungen einen Bruch mit dem Reformismus und eine unvermeidliche Konfrontation mit der Bourgeoisie erfordern.
Es ist absurd, die Teilnahme an einer bestimmten Art von Wahlen oder bestimmte Ämter „aus Prinzip“ abzulehnen. Solange die Massen ihre Hoffnungen auf die Wahlen zu Exekutivämtern setzen, müssen wir versuchen, daran teilzunehmen, und sie durch diese Phase ihres politischen Erwachens hindurchführen. Und wenn die Arbeiter uns wählen und verlangen, dass wir in diesem Amt kämpfen, dann müssen wir das tun! Nicht als Reformisten, die sich an die Ämter anpassen, und nicht als Trostspender für die Illusionen der Arbeiter, sondern um so klar wie möglich zu zeigen, dass ein schrittweiser Weg zur Eroberung der Macht blockiert wird durch die Diktatur der Bourgeoisie und ihre Staatsmaschinerie.
Einfach gesagt, und genau das wurde zurückgewiesen: Der Zweck der revolutionären Partei besteht darin, die Arbeiterklasse zur Revolution zu führen. Die Genossen, die darüber nachdenken, ob wir überhaupt für dieses oder jenes Exekutivamt kandidieren oder es übernehmen dürfen oder nicht, müssen aufhören, die Frage so idealistisch zu stellen (und ich spreche hier von allen Exekutivämtern, einschließlich Polizeichef, Richter usw.). Die Methode, die Partei in starre und abstrakte Dogmen zu verwickeln, deren einzige praktische Wirkung es ist, uns von den Bewegungen der Massen abzuschneiden, ist typisch für kleine, isolierte Organisationen, die es sich in ihrer Position bequem gemacht haben. Sie ist durch und durch kleinbürgerlich.
Solange wir nicht stark genug sind, um die Exekutivämter abzuschaffen – das heißt, solange wir nicht stark genug sind, um eine Arbeiterregierung zu errichten –, müssen wir innerhalb dieser reaktionären Institutionen arbeiten und uns auf diesem Terrain mit den Arbeitern einlassen. Andernfalls sind wir nichts als Schaumschläger.
Dialektische Beziehung zwischen Prinzipien und politischen Kämpfen
Die Methode des Spartacist-Artikels ist eine Zurückweisung des dialektischen Materialismus. Jedenfalls kann man argumentieren, dass der frontalste Angriff auf die marxistische Methode nicht so sehr die Ablehnung ist, für Exekutivämter zu kandidieren, sondern wie wir ein neues „Prinzip“ ins Leben gerufen haben. Im Artikel heißt es:
Der Internationalistischen Gruppe (IG), die das Zustandekommen dieses „Prinzips“ verurteilte und unsere frühere Praxis verteidigte, hielten wir entgegen:
Demnach sollen wir glauben, dass auf dem Gebiet von Wahlen die Trennlinie zwischen prinzipienfestem und prinzipienlosem Handeln ... ein Antrag auf der Internationalen Konferenz der IKL von 2007 ist. Seit dem Zeitpunkt, an dem dieser Antrag angenommen wird, ist das Prinzip „als solches erkannt“, und wer sich nicht daran hält, verrät den Marxismus. Was unsere frühere Praxis sowie die der gesamten marxistischen Bewegung vor 2007 betrifft, so war sie „subjektiv kein Verstoß gegen marxistische Prinzipien“ („objektiv“ vielleicht?), weil der Antrag noch nicht angenommen worden war!
Richtig, „Programme entwickeln sich“. Aber nicht durch die Beschlüsse winziger Organisationen, die plötzlich Prinzipien erkennen, wenn sie in ihren Köpfen auftauchen. Programme und Prinzipien entwickeln sich mit der Entwicklung des Klassenkampfes. Die Entstehung des Proletariats war die Vorbedingung für den Beginn des wissenschaftlichen Sozialismus. Die Revolutionen von 1848 bewiesen die Notwendigkeit einer unabhängigen Partei des Proletariats. Die Pariser Kommune führte zu dem Verständnis, dass das Proletariat den bestehenden Staat zerschlagen und seinen eigenen Staat errichten muss. Der Erste Weltkrieg markierte das Zeitalter des Imperialismus und die Notwendigkeit, sich vom Sozialchauvinismus abzuspalten. Und so weiter und so fort über die Russische Revolution und ihre Degenerierung bis hin zur Entstehung deformierter Arbeiterstaaten und zu den kapitalistischen Konterrevolutionen usw.
Was war die bahnbrechende Entwicklung im Klassenkampf, die uns dazu veranlasste, festzuschreiben, dass eine Kandidatur für Exekutivämter mit der proletarischen Revolution unvereinbar geworden ist? Die Frage wurde nicht einmal in diesem Sinne gestellt. Das Gleiche gilt für die Position, die wir zuvor vertreten hatten.
Marxistische Prinzipien sind komprimierte Lehren aus den Siegen und Niederlagen des revolutionären Proletariats. Laut Definition sind sie Abstraktionen, die als Handlungsanleitung für die Avantgarde immer wieder auf die Realitäten des Kampfes der Arbeiterklasse zu einem bestimmten Zeitpunkt angewendet werden müssen. Die Arbeiter wiederum können nur dann für den Marxismus gewonnen werden, wenn sie erkennen, dass seine Prinzipien für die Durchführung ihrer Kämpfe und die Durchsetzung ihrer Interessen lebenswichtig sind. Die Prinzipien des Marxismus stehen in einem untrennbaren dialektischen Verhältnis zum Klassenkampf. Wie Trotzki in „Sektierertum, Zentrismus und die Vierte Internationale“ (Oktober 1935) schrieb:
Diese brillante Bemerkung trifft genau auf unsere frühere Methode zu. Ausgehend von richtigen Prinzipien – dem Wesen des kapitalistischen Staates und der Lehre von Marx aus der Pariser Kommune – lehnt diese Methode die Notwendigkeit, sich im „unvollkommenen und unvollendeten Kampf der Massen“ zu engagieren, um für diese Prinzipien zu kämpfen, vollständig ab und brandmarkt sie als Reformismus. Stattdessen zählt nur das fertige Programm und, um nur ja keine Illusionen in den kapitalistischen Staat zu schüren, diktieren wir, dass Marxisten sich von Wahlen für dessen Exekutivämter fernhalten müssen. Das führt in der Praxis dazu, dieses Feld den bürgerlichen und reformistischen Kräften zu überlassen, was wiederum die weitere Vorherrschaft und sogar die Stärkung der Illusionen garantiert, die wir angeblich bekämpfen. Das ist nichts anderes als die Liquidierung der revolutionären Partei.
Selbstverständlich haben wir versucht, diese Scholastik marxistisch zu verbrämen. In den ersten Zeilen des Artikels zum Beispiel haben wir die Frage wie folgt gestellt:
Für jeden, der das Wesentliche aus den Augen verliert, könnte eine solche Zurschaustellung von Orthodoxie verlockend sein. Wer könnte dieses ABC des Marxismus anzweifeln? Aber diese Sammlung orthodoxer Formulierungen dient nur dazu, den grundlegenden Punkt bei der „Frage der Kandidatur für Exekutivämter“ zu verschleiern: dass das Proletariat, bevor es seine eigene Diktatur errichten kann, zuerst vom Reformismus gebrochen werden muss! Anstelle des dialektischen Prozesses, der diese beiden Fragen verbindet – d. h. anstatt das Problem so zu formulieren, dass die Arbeiterklasse vom Reformismus gebrochen und für den Marxismus gewonnen werden muss –, werden in dem Artikel zwei starre Positionen nebeneinander gestellt, die niemals miteinander in Konflikt geraten dürfen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Man kann das Prinzip, dass der Parlamentarismus durch die Sowjetmacht ersetzt werden muss, nicht von dem Kampf trennen, die Arbeiterklasse für dieses Verständnis zu gewinnen. Wer den Zusammenhang zwischen Prinzipien und politischem Kampf aufhebt, ist dazu verurteilt, in der Isolation dahinzuvegetieren.
Das gilt auch für die Position von 2019, dass es für Revolutionäre prinzipienlos sei, für das Europäische Parlament zu kandidieren (siehe Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 32, Herbst 2020). Im Gegenteil, solange es Illusionen in die Europäische Union gibt, müssen Marxisten revolutionäre Arbeit im EU-Parlament leisten, um die Arbeiterklasse darauf vorzubereiten, diese reaktionäre Institution aufzulösen.
Wie werden bürgerlich-demokratische Illusionen zerstört?
Was genau rät der Spartacist-Artikel Revolutionären? Bestenfalls, dass wir für Posten der Legislative kandidieren und Parlamentarier in der Opposition haben können. Aber die Methode des Artikels würde auch jede ernsthafte Kampagne für Legislativämter sabotieren, da sie die zentrale Aufgabe des Kampfes gegen die Illusionen in die bürgerliche Demokratie ebenso ignoriert wie die Notwendigkeit, die Arbeiterklasse anzuleiten, indem man von ihren eigenen Erfahrungen ausgeht und ihr für die unmittelbaren Kämpfe einen Weg nach vorn zeigt. Man denke nur daran, was unser Kandidat auf die einfachste aller Fragen antworten würde: „Was würdet ihr anders machen, wenn ihr an der Regierung wäret?“ „Oh! Wir nehmen keine Exekutivämter an, danke. Aber sobald die Sowjetmacht errichtet ist ...“ Kein Arbeiter würde das ernst nehmen.
Wahlen zu Exekutivämtern finden bei den Werktätigen oft die größte Aufmerksamkeit und bringen die meisten Illusionen hervor (wie die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, Mexiko, den USA usw.). Der Artikel schlägt jedoch vor, absolut nichts zu tun, außer Propaganda zu schreiben oder bestenfalls andere kritisch zu unterstützen, während man darauf hinweist, dass eine Kandidatur bei diesen Wahlen prinzipienlos ist. Abgesehen von der Absurdität steckt dahinter ein zutiefst antimarxistisches Verständnis von Politik.
Illusionen in die bürgerliche Demokratie, wie in jede andere bürgerliche Ideologie, werden nicht durch Propaganda und Theorie zerstört. Diese sind zwar für die Festigung unserer Partei unerlässlich, aber keine einzige revolutionäre Organisation in der Geschichte der Klassengesellschaft hat jemals mit diesen allein eine ernsthafte Anhängerschaft gewonnen. Die Massen werden durch Taten gewonnen, und sie verlieren ihre Illusionen durch große Ereignisse und eigene Erfahrungen. Damit die Arbeiterklasse ihr Vertrauen in die bürgerliche Demokratie verliert, bedarf es einer Krise großen Ausmaßes, die den Konflikt zwischen ihren dringendsten und unmittelbarsten Bedürfnissen und der bestehenden politischen und wirtschaftlichen Ordnung in den Vordergrund rückt. Die verschiedenen Mechanismen der bürgerlichen Gesellschaft, die zwischen den Krisen diesen Klassenkonflikt dämpfen können, werden durch die objektive Situation plötzlich einem enormen Druck ausgesetzt, was den Eintritt der Massen in die politische Arena und eine rasche Veränderung ihres Bewusstseins auslöst.
Selbst unter solchen Umständen zeigt die Erfahrung, dass sich das Bewusstsein nicht in Übereinstimmung mit der objektiven Situation entwickelt. Es lohnt sich, ausführlich zu zitieren, was Trotzki im Vorwort zu seiner Geschichte der russischen Revolution (1930) schrieb:
Die Massen betreten die politische Bühne nicht mit einem fertigen Plan, sondern mit der Gewissheit, dass das derzeitige Regime nicht weitermachen kann. Durch die Erfahrung heftiger Erschütterungen gelangen sie zu einem immer besseren Verständnis der Krise. Parteien und Führer werden auf die Probe gestellt; die Bewegung der Massen nach links erfolgt durch sukzessive Annäherungen.
Es ist fast eine historische Gesetzmäßigkeit, dass die Masse der Arbeiter in jeder ernsthaften Krise das bestehende System an seine äußerste Grenze treibt, indem sie versucht, die alte Staatsmaschinerie für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Von der Provisorischen Regierung in Russland im Februar 1917 und der SPD-USPD-Koalition 1918 in Deutschland über die Volksfronten in Frankreich, Spanien, Chile und anderen Ländern bis hin zu Attlees Labour-Regierung: Sie alle wurden von der Arbeiterklasse an die Macht gebracht, die glaubte, durch die Übernahme des kapitalistischen Staates den Weg zum Sozialismus freizumachen. Dies ist eine fast unvermeidliche Etappe im politischen Erwachen der Massen.
Die Herausforderung für die revolutionäre Partei besteht darin, diese verschiedenen Versuche nicht als reformistische Sackgassen abzustempeln und dann, wenn das Proletariat zerschlagen wird, zu sagen: „Wir haben es euch ja gesagt.“ Jeder Dilettant kann das von seinem Schreibtisch aus machen. Die wirkliche Herausforderung und Notwendigkeit besteht darin, der Arbeiterklasse durch diese Erfahrung so zu helfen, dass ihre Position gestärkt und der Bruch mit dem Reformismus vorangetrieben werden kann.
Dies erfordert die Fähigkeit, alle verfügbaren Waffen einzusetzen, um den grundlegenden Widerspruch zwischen dem, was zur Lösung der Krise getan werden muss – dem unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse hin zur Enteignung der Bourgeoisie –, und dem, was seiner Verwirklichung im Wege steht – dem bestehenden Bewusstsein der Arbeiterbewegung und ihrer aktuellen Führung –, zu verschärfen. Dieses Problem kann nur durch den Kampfverlauf, durch praktische Erfahrungen gelöst werden. Dafür ist eine Führung notwendig, deren Perspektiven sich durch den Test der Ereignisse bestätigen und die dadurch bei den Arbeitern an Autorität gewinnt. Sie muss die Vorurteile der Massen bis an den Punkt treiben, wo sie an den objektiven Erfordernissen der Situation zerplatzen. Dies ist das ausschlaggebende Element, das die russische Erfahrung von jeder anderen unterscheidet.
Die Methode, der Partei sogenannte Prinzipien aufzuzwingen, die von vornherein den Einsatz dieser oder jener Waffe im Kampf gegen die Bourgeoisie ablehnen, bedeutet nur, dass man nichts versteht von der Dynamik des Klassenkampfes und des Kampfes um die kommunistische Führung. Die Kandidatur für Exekutivämter und die Übernahme solcher Ämter ist eine der Waffen, deren Gebrauch die revolutionäre Partei lernen muss.
Diese Vorgehensweise ist nicht nur in Zeiten einer revolutionären Krise von entscheidender Bedeutung. Der Ausbruch einer akuten Krise bringt Führer und Parteien nach vorne, die durch die gesamte vorangegangene Periode geformt wurden. In Zeiten der Reaktion und Stagnation muss die revolutionäre Partei jede noch so bescheidene Erfahrung bestmöglich nutzen, um ihre Kader auszubilden, sich an gemeinsamer Arbeit und politischem Kampf mit konkurrierenden Organisationen zu beteiligen, in den Klassenkampf einzugreifen und mit der Verankerung in den fortgeschrittenen Schichten der Arbeiterbewegung zu beginnen. Eine Partei, die sich an abstrakte Propaganda und pseudoradikale Dogmen klammert, isoliert vom Klassenkampf, wird bei der ersten Erschütterung hinweggefegt werden. Das war unsere Methode, die im März 2020 mit der Pandemie getestet wurde, und wir alle kennen das Ergebnis: Wir sind zusammengebrochen.
Ja, Kommunisten können Exekutivämter übernehmen
Genosse Jim Robertson, der 2004 zum ersten Mal vorschlug, die Kandidatur für Exekutivämter abzulehnen, warf die Frage auf, dass man bei solchen Wahlen „mit den Leuten reden kann, aber dabei hat schon die Aussage ‚Ich will Präsident des amerikanischen Imperialismus werden, aber ihn besser machen‘, ihre Probleme“. Ein Kernelement der antimarxistischen Methode, die unserer Herangehensweise zugrunde lag, war die Vorstellung, „die Annahme eines Exekutivamtes bzw. die Übernahme der Kontrolle eines bürgerlichen Parlaments oder Stadtrats, ob nun selbständig oder als Teil eines Regierungsbündnisses, bedeutet notwendigerweise, Verantwortung für die Verwaltung der kapitalistischen Staatsmaschinerie zu übernehmen“, wie es im Spartacist-Artikel heißt. Anders gesagt, wenn der Staat kapitalistisch ist, dann wird jeder, der in ein Amt mit Verantwortung gewählt wird, zu einem kapitalistischen Politiker. Diese Logik ist reiner Formalismus. Plötzlich verschwindet der Klassenkampf und löst sich zusammen mit dem, was die revolutionäre Avantgarde tut,in einer grob vereinfachenden mathematischen Gleichung auf.
Die Auffassung, dass der einzig mögliche Wahlkampf für ein Exekutivamt darin besteht, zu sagen: „Ich will den Imperialismus besser machen“, und dass man ein solches Amt nur übernehmen kann, indem man die kapitalistische Staatsmaschinerie verwaltet und die Verantwortung für sie übernimmt, setzt voraus, den Klassenkampf als den entscheidenden Faktor abzulehnen und die revolutionäre Partei zu liquidieren. Man kann aber durchaus, wie es Generationen von Revolutionären vor uns getan haben, den Arbeitern im Wahlkampf sagen: „Ich kandidiere für das Amt des Präsidenten (oder Bürgermeisters oder ein anderes Exekutivamt). Unsere Partei will die ganze Großindustrie und alle Banken verstaatlichen, die Polizei und die Armee auflösen und die Arbeiter bewaffnen, den Imperialismus abschaffen und dafür sorgen, dass die Arbeiter und nicht die Kapitalisten das Land von oben bis unten regieren und die Früchte ihrer Arbeit genießen. Doch wir wissen, dass die Kapitalisten das niemals zulassen und starken Widerstand dagegen leisten werden. Genau deshalb kann unsere Bewegung nur erfolgreich sein, wenn die Arbeiter mobilisiert werden und bereit sind, für ihre eigene Macht gegen die Kapitalistenklasse zu kämpfen.“
Daran ist nichts Reformistisches. Es bedeutet nicht, dass wir im Falle eines Wahlsiegs den Kapitalismus verwalten werden – es bedeutet genau das Gegenteil. Nur wenn man den Wahlkampf auf diese Weise führt, kann man die Arbeiter dort abholen, wo sie sind, und ihren Illusionen direkt entgegentreten. Betrachten wir die Alternative: „Wir kandidieren bei dieser Wahl, aber wir werden das Amt nicht antreten“, womit man nur sagt: „Wählt mich, aber wenn ich gewinne, werde ich nicht kämpfen.“ Man stelle sich vor, wir würden tatsächlich eine Wahl gewinnen und unsere erste Amtshandlung wäre ... aufzugeben! Das würde unserer Partei irreparablen Schaden zufügen, sie in Misskredit bringen und die Arbeiter an die Reformisten ausliefern.
James P. Cannons Socialism on Trial (Pathfinder Press, 1970 – Sozialismus vor Gericht), das aus seiner Zeugenaussage im Prozess gegen 28 führende Trotzkisten und Teamsters aus Minneapolis im Jahr 1941 besteht, liefert ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man den Arbeitern pädagogisch erklären kann, was wir wollen, wie wir es erreichen wollen und warum sie ihren eigenen Staat errichten müssen. Cannon erklärte:
Hat Cannon hier oder an irgendeiner anderen Stelle seiner Zeugenaussage davon gesprochen, die Verantwortung für die Verwaltung des Kapitalismus zu übernehmen? Natürlich nicht. Er erläuterte, welche Art von Umgestaltung notwendig ist, um die Arbeiterklasse zu befreien, und sagte, dass wir zwar froh wären, wenn dies durch die bürgerliche Demokratie geschehen würde, dass aber die Geschichte gezeigt hat, dass die herrschende Klasse nicht kampflos von der Bühne abtreten wird. In dem hypothetischen Szenario, dass eine revolutionäre Partei in das Präsidentenamt gewählt wird, würden die Revolutionäre, in Cannons Worten, das tun, was Lincoln mit den Sklavenhaltern tat: „Lincoln nahm, was er konnte, rekrutierte noch mehr und lieferte ihnen einen Kampf, und ich hielt das immer für eine großartige Idee.“ Nur ein hoffnungsloser Formalist könnte auf den Gedanken kommen, dass diese einfache und populäre Erklärung reformistisch sei.
Revolutionäre und Kommunalverwaltungen
Die Chancen für eine revolutionäre Partei, das Präsidentenamt zu erobern, scheinen so gering zu sein, dass man sie leicht außer Acht lassen kann. Das gilt aber nicht für Kommunalverwaltungen, in die schon früher Kommunisten (nicht nur Stalinisten und Reformisten, sondern echte Revolutionäre) gewählt wurden. Es ist durchaus denkbar, dass eine eher kleine Partei mit bescheidenen Wurzeln in der Arbeiterbewegung die Mehrheit in einer Gemeinde gewinnt. Was ist dann zu tun? Auch hier müssen wir wieder mit dem Kampf gegen die vorherrschenden Illusionen beginnen. Die klassische Illusion auf diesem Gebiet ist der kommunale Sozialismus, d. h. die Vorstellung, dass der Sozialismus schrittweise eingeführt werden kann, indem man die Gemeinden übernimmt und diese Positionen nutzt, um mit kleinen sozialen Maßnahmen „sozialistische“ Freiräume zu schaffen.
Der Spartacist-Artikel verweist auf den Punkt 13 der „Leitsätze über die kommunistischen Parteien und den Parlamentarismus“, die vom Zweiten Komintern-Kongress 1920 angenommen wurden:
Ich halte das für ausgezeichnet. Im Gegensatz zu den falschen Behauptungen in unserem Artikel ging es hier nicht um kommunalen Sozialismus, sondern um das genaue Gegenteil. Punkt 13 bezweckte, das Handeln der Kommunisten darauf auszurichten, dass sie den Bankrott des kommunalen Sozialismus bestmöglich aufzeigen und solche Ämter dafür nutzen, den Arbeitern klarzumachen, dass sie die Macht auf nationaler Ebene übernehmen müssen.
Die Leitsätze, die in unserem Artikel charakterisiert werden als ein „widersprüchlicher Mischmasch, der eine Politik absegnete, in der der Keim des Ministerialismus enthalten war“ (!), hatten gerade den Zweck, sich sowohl von der opportunistischen Zweiten Internationale abzugrenzen, deren Parlamentarier sich der bürgerlichen Gesellschaft anpassten und als vulgäre Lakaien der Kapitalisten auftraten, als auch von den ultralinken Antiparlamentariern, die als Reaktion auf den Verrat der Zweiten Internationale jede Form der parlamentarischen Tätigkeit ablehnten. In Trotzkis Einleitung zu den Leitsätzen heißt es: „An die Stelle des alten Anpassungsparlamentarismus tritt der neue Parlamentarismus als eines der Werkzeuge zur Vernichtung des Parlamentarismus überhaupt.“ Es geht nicht um die Wahl zwischen opportunistischem Parlamentarismus und der Ablehnung jeder parlamentarischen Tätigkeit, sondern um die Teilnahme am parlamentarischen Kampf als Revolutionäre.
Punkt 13 wurde nicht im luftleeren Raum geschrieben. Er enthielt auch keine „antimarxistischen Änderungen“, die die ursprünglichen Leitsätze verwässerten, wie in unserem Artikel behauptet wird. In den Punkt 13 gingen die Erfahrungen gerade der Bolschewiki ein, die zwischen Februar und Oktober 1917 in den Gemeinden Wahlkampf geführt hatten. Einer von mehreren Artikeln, die zu jener Zeit über die Plattform der Bolschewiki zu den Kommunalwahlen geschrieben wurden, war Lenins „Die Hauptsache vergessen“ (Mai 1917). Dort heißt es:
Lenins Absicht war es, die Menschewiki und die Sozialrevolutionäre zu entlarven, die zwar alle möglichen Reformen vorschlugen, deren verräterische Haltung zu diesen drei Punkten aber ein grundlegendes Hindernis für deren Umsetzung darstellte. Insbesondere auf dem dritten Punkt beharrte Lenin, indem er es für notwendig erklärte, die Polizei aufzulösen und eine Volksmiliz zu schaffen. Mit anderen Worten: Die Kommunisten, die in den Gemeinden eine Mehrheit erhielten, wies er an, ihre Ämter dazu zu nutzen, den Bruch mit den Reformisten voranzutreiben und diese Ämter in Bastionen der Arbeiterklasse zu verwandeln, um die Erlangung der Staatsmacht durch die Sowjets zu erleichtern.
Wir hingegen waren der Ansicht, dass jede parlamentarische Tätigkeit auf dem Gebiet der Exekutivämter nur reformistisch sein kann. Das stimmt nur, wenn man denkt, dass wir Kommunisten, sobald wir gewählt sind, das Bürgermeisteramt übernehmen und die örtliche Staatsmaschinerie mit ihrer verkrusteten Bürokratie, den Polizeischlägern, den kleinlichen Vorschriften und dem knappen Budget verwalten und in diesem Rahmen versuchen würden, das Beste für die Armen zu tun. Ja, in diesem Fall würde aus dem sogenannten kommunistischen Bürgermeister ein bürgerlicher Bürgermeister werden: ein Verwalter des Mangels und ein Lakai der Zentralregierung.
Aber die Frage stellt sich völlig anders und neue Möglichkeiten eröffnen sich, wenn man sich weigert, an den Grenzen des Privateigentums haltzumachen. Anstatt die Exekutivämter vom Standpunkt der Verwaltung der örtlichen Staatsmaschinerie aus zu betrachten, würden Kommunisten auf die Organisierung und Mobilisierung der Arbeiterbewegung im Bündnis mit dem armen Kleinbürgertum und den Arbeitslosen setzen. Daraus wird ersichtlich, dass wir für solche Ämter auf einer klaren revolutionären Plattform kandidieren würden, die der Arbeiterklasse sagt, was wir zu tun beabsichtigen und was ohne Staatsmacht nicht getan werden kann. Natürlich würden wir nicht den lokalen Kapitalismus verwalten, sondern versuchen, Organe der Doppelherrschaft aufzubauen und die Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie zu mobilisieren; wir würden nicht die lokale Polizei leiten, sondern die Auflösung dieser Institution vorantreiben.
Viele Genossen bleiben in dem Szenario stecken, in einer nicht revolutionären Situation zum Chef einer Kommunalverwaltung gewählt zu werden, und machen sich Gedanken, wie wir dieses und jenes Problem angehen könnten, ohne in den Reformismus abzugleiten. Das ist keine dialektische Herangehensweise an die Frage, weil es völlig spekulativ ist. Ich glaube, es spiegelt unsere fast nicht vorhandene Erfahrung in der Bewegung der Massen wider.
Wenn man das Problem so stellt, muss man zwangsläufig tausend andere Faktoren außer Acht lassen, die unmöglich vorherzusagen sind – den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Kontext auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene; die Intensität des Klassenkampfes; unsere eigene Verankerung und Autorität in der Arbeiterbewegung; die Situation der herrschenden Klasse. Alle diese Elemente und noch mehr sind entscheidend für die Einschätzung des Kräfteverhältnisses und dessen, was möglich ist oder nicht, und vor allem für die Frage, wie eine revolutionäre Partei ins Amt gelangen könnte.
Meine Antwort auf das obige hypothetische Szenario lautet: Wir werden für unser Programm kämpfen, so wie wir es überall sonst auch tun, mit den Methoden des Klassenkampfes. Wir würden unser Bestes tun, um das Proletariat zu führen und zu stärken und dabei seine reformistischen Illusionen unter den uns auferlegten Bedingungen zu unterminieren.
Vorbereitung auf die Schlacht
Die IKL hat nicht, wie der Spartacist-Artikel behauptet, ein ungelöstes Problem von unserer Bewegung geerbt. Dass die Komintern, Lenin, Trotzki, Cannon und viele andere keinen grundlegenden Unterschied zwischen Exekutiv- und Legislativämtern machten, war keine große Entdeckung unsererseits. Unsere Vorgänger haben die Frage nur nicht durch eine so formalistische Brille gesehen. Über die Gewaltenteilung zu grübeln, sich das Kampfterrain oder das einzusetzende Werkzeug herauszupicken ist ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnten, und eine Methode, die sie von ganzem Herzen ablehnten.
Die Bolschewiki erklärten der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt den Krieg und verstanden, dass der Kampf in alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens getragen werden musste. Von Kommunisten, die ins Parlament oder an die Spitze von Gemeinden, in Gewerkschaftsposten, Genossenschaften, Arbeitermilizen oder in andere leitende Ämter gewählt wurden, wurde erwartet, dass sie für den Kommunismus kämpften und dementsprechend unter der Parteidisziplin handelten, Punkt.
Die Bolschewiki verstanden, dass die revolutionäre Partei in ihrem Handeln nicht von Abstraktionen, sondern von den Erfordernissen des Klassenkampfes ausgehen muss. Sie verstanden, dass sich die Partei mit der Arbeiterbewegung verbinden und in jeder Lage flexibel bleiben muss, um sich den Erfordernissen des Endziels anzupassen. Sie waren bemüht, angehende Revolutionäre darin zu schulen, dass es die Rolle der Partei ist, das Proletariat in jeder Phase seines politischen Bewusstseins anzuleiten und dabei seine Erfahrungen zu nutzen, um es über den Bankrott des Reformismus und die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats aufzuklären. Genau das ist es, was unsere Partei für die bevorstehenden Schlachten lernen muss, und genau deshalb müssen wir schonungslos sein gegenüber unserer Vergangenheit.