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Einleitung
Das folgende Memorandum, dessen Entwurf von Vincent David stammt, wurde auf dem April-Plenum des Internationalen Exekutivkomitees der IKL angenommen.
Die Wiederwahl von Donald Trump zum US-Präsidenten hat ein politisches Erdbeben ausgelöst, und seine ersten Monate im Amt haben bestätigt, dass wir uns in einer Zeit tiefgreifender globaler Veränderungen befinden. Doch so rasant die Entwicklung vorangeht, so groß ist auch die Verwirrung, die die Linke und politische Kommentatoren im Allgemeinen erfasst hat. Einerseits fangen manche an zu verstehen, was sie vorher nicht begreifen konnten. Unter Liberalen und Sozialisten ist es heute üblich, von der Krise und dem Scheitern des Liberalismus zu sprechen. Andererseits greifen Panik und Hysterie um sich. Viele erklärten nach der Rede von J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass die USA Europa aufgeben würden oder dies „das Ende des Westens“ sei. Einige glauben, Trump würde vor Russland kapitulieren und/oder er wäre ein Faschist, der sich bei seinesgleichen einschmeichelt. Andere halten ihn schlicht für verrückt. Und am anderen Ende des Spektrums gibt es noch diejenigen, für die Trump und Elon Musk politische Genies sind, die den Staat im Staate ausmisten und ein goldenes Zeitalter für den amerikanischen Kapitalismus einläuten werden.
Um das alles verstehen zu können, müssen wir die liberale Aufregung beiseitelassen und uns die tatsächliche Entwicklung hinter den täglichen Ereignissen ansehen. Die USA sind nicht bereit, Europa aufzugeben, wo sie gewaltige wirtschaftliche Interessen und mehr als 100 000 Soldaten haben. Trump kapituliert auch nicht vor Putin. Er richtet die US-Politik lediglich an der Realität auf dem Schlachtfeld in der Ukraine aus, um die Aufmerksamkeit der USA anderswohin verlagern zu können. Und offensichtlich ist das nicht das Ende des Westens. Es ist der liberale Westen, der in den letzten Zügen liegt.
Der langfristige Trend, der die Veränderungen in der Welt bestimmt, ist der relative Niedergang der USA. 80 Jahre lang waren die USA die Hegemonialmacht der kapitalistischen Welt, nach dem Untergang der UdSSR sogar die des gesamten Erdballs. Doch in der amerikanischen Vorherrschaft war auch der Grund für ihren Niedergang angelegt. Die einst mächtige US-Industrie wurde weitgehend in den Globalen Süden ausgelagert. Das US-Militär hat sich übernommen. Und andere Länder haben ein kräftiges Wirtschaftswachstum zu verzeichnen – vor allem China. Dennoch sind die USA nach wie vor die weltweite Supermacht, die die Reservewährung und das Finanzsystem der Welt kontrolliert, während das amerikanische Militär – immer noch das größte – weiterhin weltweit der Hauptgarant für Sicherheit ist. Der wachsende Widerspruch zwischen der Hegemonialstellung der USA und ihrer nachlassenden Wirtschaftskraft hat nun einen kritischen Punkt erreicht. Das erklärt die Turbulenzen in der Weltlage.
Wofür Trump steht, ist keineswegs verrückt, sondern eine Kehrtwende in der Strategie des US-Imperialismus mit dem Ziel, seine Vorherrschaft wieder geltend zu machen und seinen Niedergang umzukehren oder zumindest zu verlangsamen. Dazu will Trump die USA durch Reindustrialisierung kriegstauglich machen und die Verbündeten und Neokolonien noch mehr auspressen. Die neue Regierung bricht mit liberalen Wertvorstellungen und Institutionen, die das US-System jahrzehntelang geprägt haben, nun aber zum Hindernis für eine Stärkung der US-Position geworden sind. Bei den Handelskriegen, Verhandlungen mit Russland und feurigen Reden gegen den „Feind im Inneren“ geht es für die USA um die Notwendigkeit, einen Block zusammenzufügen, der fest hinter der Handels- und Außenpolitik der USA steht, um die Volksrepublik China, den wichtigsten Wirtschaftsrivalen der USA, zu konfrontieren, zu isolieren und zu ersticken.
Entgegen einer insbesondere in der Linken weit verbreiteten Meinung ist die Ursache für die weltweiten Turbulenzen nicht der Aufstieg eines sogenannten chinesischen oder russischen Imperialismus. China hat eine in der Geschichte der Menschheit beispiellose wirtschaftliche Entwicklung durchlaufen, die sich allerdings innerhalb der von den USA geführten Weltordnung vollzog. Während die USA Maßnahmen ergreifen, um China zu isolieren, hofft die Bürokratie der Kommunistischen Partei in Beijing, das alte globale System zu erhalten, nur ohne die Vorherrschaft der USA – eine reine Fantasterei. Und Russland hat trotz seines riesigen Militärs eine im Vergleich zu den USA nur winzige Wirtschaft. Treibende Kraft hinter dem Krieg der Oligarchen in der Ukraine ist nicht ein expansionistischer russischer Kapitalismus, sondern eine Reaktion auf die Überdehnung des US-Machtbereichs bis an die Grenzen Russlands.
Entgegen anderen Behauptungen in westlichen Medien ist die Welt nach wie vor in hohem Maße ein amerikanisches Imperium. Weder China noch Russland noch das Bündnis der BRICS+-Staaten streben nach Weltherrschaft. Auch bauen sie kein alternatives System zu dem der USA auf. Sie versuchen lediglich, sich gegen die Aggression der USA abzuschirmen. Doch für die Vormachtstellung der weltweiten Supermacht stellen selbst solche bescheidenen Schritte eine fundamentale, ja sogar existenzielle Herausforderung dar, der es entgegenzutreten gilt.
Die Wiedergeltendmachung der amerikanischen Vorherrschaft ruft größere wirtschaftliche und politische Krisen hervor. Den Plänen der USA stehen viele Hindernisse im Weg und es gibt einen Unterschied zwischen den Zielen und Bestrebungen der herrschenden Klasse Amerikas und ihrer Fähigkeit, diese zu verwirklichen. Bereits jetzt hat die neue Regierung den Zorn anderer Länder auf sich gezogen. Im eigenen Land gibt es zwar derzeit keine ernstzunehmende Kraft, die Trump bedroht, aber die Opposition wird wachsen. Und früher oder später werden Trumps brutale Angriffe auf den Widerstand der Arbeiterklasse stoßen, zu Hause und im Ausland.
Mit viel Lärm versuchen sich die Herrscher Europas und Kanadas gegen die Forderungen der USA zu wehren. Doch sie sind von den USA abhängig und werden kurzfristig keine andere Wahl haben, als klein beizugeben. Eine Wirtschaftskrise in Verbindung mit Druck aus den USA wird wahrscheinlich den Rechtsruck weiter beschleunigen und den Sturz liberaler Politiker in Europa und Kanada erleichtern. Tatsächlich werden rechte Parteien, die überall im Westen auf dem Vormarsch sind, kurzfristig am meisten von einem wirtschaftlichen Abschwung profitieren. Dieser Fraktionskampf innerhalb der herrschenden Klasse verspricht ein stürmischer Prozess zu werden, denn die Liberalen klammern sich an die Macht und wollen mit allen Mitteln an ihr festhalten.
In der neokolonialen Welt – in Lateinamerika, Asien, Afrika usw. – wirken die Kräfte anders. Die meisten dieser Länder werden bereits vom Imperialismus erstickt. Die von den USA immer fester gezogene Schlinge führt in eine Katastrophe, denn schon jetzt gibt es kaum noch Luft zum Atmen, und Hunderte Millionen von Menschen leben in völligem Elend. Diese Lage wird in der Arbeiterklasse und bei den breiten Massen den Impuls verstärken, gegen die amerikanische Vorherrschaft anzukämpfen und sich gegen die Ausplünderung durch den IWF zu wehren. Solche Revolten hat es bereits in den letzten Jahren gegeben.
In China wiederum wird die Instabilität nicht durch eine Verknappung der Ressourcen verursacht werden, zumindest nicht kurzfristig, sondern durch die inneren Widersprüche seines Systems. Das Regime der Kommunistischen Partei ist das einer Bürokratenkaste, die versucht, Kapitalismus und Planwirtschaft miteinander zu versöhnen, und deren Wachstumsmodell auf die von den USA geführte globalisierte Ordnung angewiesen war. Doch nun verfolgen die USA gegenüber China eine aggressivere Politik der Isolierung und Konfrontation. Die Spitzen der Kommunistischen Partei werden unter enormen Druck geraten, sowohl durch die Kapitalisten, deren Gewinne dahinschmelzen, als auch durch die riesige Arbeiterklasse Chinas, deren Lebensbedingungen sich verschlechtern. Um diese gegensätzlichen Kräfte in Schach zu halten, wird die stalinistische Bürokratie einen immer schwierigeren Balanceakt vollführen müssen, der von der Subventionierung von Industrien über das Auftischen linker Phraseologie bis hin zu verschärfter Repression reicht. Das wird jedoch nicht ausreichen, um die grundlegende Entscheidung, vor der die Volksrepublik steht, auf unbestimmte Zeit hinauszuschieben: kapitalistische Restauration oder proletarisch-politische Revolution.
Die Frage, die sich in dieser Zeit imperialistischer Offensive, Aufrüstung und zunehmender Krisen stellt, lautet: Wird der US-Imperialismus besiegt oder zieht er die Welt in eine weitere Spirale von Reaktion, Verelendung und Kriegen hinein? Die Aufgabe der Kommunisten in dieser Epoche besteht darin, revolutionäre Führungen zu schmieden, die Arbeiter und Unterdrückte vereinen und den Kampf gegen die amerikanische Hegemonie zum Sieg führen können. Die Hoffnung auf chinesische Stalinisten, russische Oligarchen, Nationalisten oder Sozialdemokraten aller Art zu setzen wird sich als verhängnisvoll erweisen. Da diese nicht den Sturz der US-Hegemonie anstreben und eine Revolution der Arbeiterklasse überhaupt ablehnen, sind sie nicht in der Lage, einen konsequenten oder wirklich fortschrittlichen Kampf gegen den Imperialismus zu führen. Die Befreiung der Werktätigen aller Länder von Unterdrückung und Ausbeutung wird nur unter dem Banner einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale vorankommen und erfolgreich sein.
Ziel dieses Dokuments ist es, Revolutionären eine Orientierung für die kommende Periode zu geben. Dies ist besonders wichtig, da die revolutionären Kräfte überall schwach, diskreditiert und enorm desorientiert sind. Wir hoffen, dass dieses Dokument dazu beitragen kann, diesen Zustand zu beheben.
I. Marxismus kontra Gradualismus
Politisch haben westliche Liberale, Sozialdemokraten, Gewerkschaftsbürokraten, Befürworter des BRICS+-Bündnisses, chinesische Stalinisten und viele sogenannte Revolutionäre etwas gemeinsam. Sie alle vertreten die eine oder andere Variante einer gradualistischen und pazifistischen Auffassung von Geschichte und den weltweiten Beziehungen, die sie angesichts von Trumps erneuter Offensive lähmt.
Liberale sind der Meinung, dass sich sozialer Fortschritt und Demokratie im Laufe der Geschichte nach und nach entwickeln. In ähnlicher Weise denken Sozialdemokraten und reformistische Gewerkschaftsführer, dass die Weiterentwicklung von Arbeiterorganisationen allmählich zum Fortschritt und sogar zum Sozialismus führt. Die Befürworter von BRICS+ sehen in den Entwicklungsschritten Chinas, Russlands und des Globalen Südens einen geradlinigen Marsch aufwärts zu einer neuen, gerechteren und „multipolaren“ Weltordnung. Überall ist die gleiche Tendenz zu beobachten. Die großen Entwicklungslinien der Geschichte werden auf allmähliche und schrittweise Veränderungen reduziert, die zu einem stetigen, schrittweisen Fortschritt führen.
Leider funktioniert die Welt nicht so. In der Geschichte zeigt sich immer wieder, dass eine allmähliche Entwicklung zu gewaltsamen und plötzlichen Erschütterungen führt. Der Kapitalismus entwickelte sich nach und nach innerhalb des Feudalsystems und brach dann durch Revolutionen und Kriege aus ihm hervor. Finanzspekulation führt mit der Zeit zu einer Wirtschaftskrise. Die stetige Ausbeutung der Arbeiter führt zu einem Streik. Die graduelle Anhäufung von Quantität wird zur Qualität, nicht friedlich, sondern durch plötzliche Erschütterungen. Und die treibende Kraft für Veränderungen in der Gesellschaft ist der Klassenkampf zwischen Unterdrückten und Unterdrückern, der zwangsläufig zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führt.
Das Vorherrschen von gradualistischen Konzepten bei vielen Linken spiegelt die relative Stabilität der letzten drei Jahrzehnte wider. Die Hegemonie der USA nach der Zerstörung der UdSSR ermöglichte die Globalisierung und die rasche Ausweitung des Welthandels. Fast alle Länder fügten sich der militärischen und wirtschaftlichen Vorherrschaft der USA, und das Kapital konnte sich frei bewegen, während die imperialistischen Kriege der USA auf die wenigen Länder beschränkt blieben, die sich ihrem Diktat widersetzten. Wirtschaftswachstum und relativer sozialer Fortschritt vermittelten die Illusion, dass die Welt allmählich neue Höhepunkte erreichen würde. Das war die ökonomische Grundlage für den Liberalismus, die vorherrschende Ideologie in der postsowjetischen Zeit.
„In England werden sie Ende des 17. Jahrhunderts systematisch zusammengefasst im Kolonialsystem, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und Protektionssystem. Diese Methoden beruhn zum Teil auf brutalster Gewalt, z. B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staatsmacht, die konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den Verwandlungsprozess der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise treibhausmäßig zu fördern und die Übergänge abzukürzen. Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Sie selbst ist eine ökonomische Potenz.“
– Karl Marx, Das Kapital (1867) [unsere Hervorhebung]
Milliardäre aus Russland kauften Fußballmannschaften in Britannien. Industriemagnate aus Indien erwarben Villen in Kalifornien. Die Europäische Union wurde unterder Losung von Frieden und liberalen Werten vereinigt. Selbst die chinesischen Stalinisten legten die Mao-Kleidung ab und zogen sich Anzug und Krawatte an, um sich als respektable Kapitalisten zu geben. Die Wirtschaftsbeziehungen erschienen organisch, natürlich und so frei wie die globalen Handelsströme. Viele Linke fingen an zu vergessen, dass sich der Imperialismus durch Gewalt aufrechterhält. Sie reduzierten ihn auf das vage ökonomische Konzept des „Kapitalexports“, und da die meisten Länder irgendwie Kapital exportierten, gab es demnach überall und nirgends Imperialismus. Auf einer langen, gleitenden Imperialismus-Skala war jedes Land mit hohem BIP-Wachstum, einer großen Armee und vielen Millionären mehr oder weniger imperialistisch geworden.
Die postsowjetische Periode wurde jedoch erst durch die Vorherrschaft einer einzigen imperialistischen Macht möglich: der USA. Diese wurden nicht durch einen friedlichen und allmählichen Prozess zur beherrschenden Weltmacht, sondern durch den Zweiten Weltkrieg, das größte Gemetzel der Menschheitsgeschichte. Durch ihren Sieg konnten die USA all die alten Kolonialmächte – Japan, Deutschland, Frankreich, Britannien, Italien – in einer US-geführten Allianz gegen die Sowjetunion zusammenschließen. Zur beherrschenden Macht auf dem gesamten Erdball wurden die USA schließlich, als die Sowjetunion durch eine kapitalistische Konterrevolution zerstört wurde, die die Errungenschaften von 1917 zunichtemachte und die Gesellschaftsstruktur Russlands und Osteuropas zerschlug.
Jetzt versetzt Trump den US-Imperialismus in einen Kriegszustand. Er macht die Globalisierung rückgängig, bricht mit liberalen Werten und Institutionen und geht auf Konfrontationskurs zu China. Am meisten schockiert über Trumps Offensive sind die Anhänger des Gradualismus. Sie können nicht verstehen, wie der allmähliche wirtschaftliche Niedergang der USA unweigerlich zu einem plötzlichen und brutalen Kurswechsel von Amerikas herrschender Klasse führen konnte, durch den diese sich mit allen Mitteln behaupten will. Gerade das ist unser Vorteil als Marxisten: Wir verstehen, dass Imperien durch Krieg geschaffen werden und sich nicht nur durch wirtschaftliche Beziehungen behaupten, sondern auch durch Gewalt. Wir wissen, dass das US-Imperium nicht allmählich und friedlich von der Bühne der Geschichte abtreten wird, sondern nur durch seine gewaltsame Ablösung. Das heißt, entweder „mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft ... oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen“, um es mit den Worten des Kommunistischen Manifests zu sagen.
Heute glauben jedoch viele marxistische Gruppen, dass die Hegemonie der USA bereits vorbei sei! Sie glauben, Russland und China seien nach und nach zu imperialistischen Mächten geworden. Sie glauben, dass die Welt schon längst neu aufgeteilt worden ist, dass die USA ihre hegemoniale Position auf friedliche Weise verloren haben, allein durch eine allmähliche wirtschaftliche Entwicklung und ohne größere Brüche oder Kriege, und dass die Welt jetzt zwischen konkurrierenden imperialen Blöcken aufgeteilt ist. Hierbei berufen sie sich oft auch noch auf Lenin. Dabei betonte Lenin immer wieder, dass Kriege ein unvermeidliches Wesensmerkmal des imperialistischen Systems und das Mittel sind, mit dem Großmächte um die Neuaufteilung der Welt in Einflusssphären kämpfen. Im Revisionismus der Linken gegenüber Lenin zeigt sich ein gradualistisches Konzept, das nichts davon wissen will, dass die Welt nach wie vor ein amerikanisches Imperium ist, dessen Macht letztendlich auf dem US-Militär und seinen 750 über alle Kontinente verteilten Stützpunkten beruht.
In gewissem Sinne hat Trump ein besseres Gespür dafür als die Gradualisten. Er weiß, dass er zur Stärkung der US-Position Kriegsvorbereitungen treffen und Chinas Weiterentwicklung im Keim ersticken muss. Und er weiß, dass er dazu die Liberalen und Zauderer, die ihm im Wege stehen, ausschalten muss. Zumindest könnte Trump bewirken, dass unsere Gradualisten etwas mehr Klarheit über die wahre Natur des Imperialismus und der weltweiten Beziehungen erlangen. Das ist entscheidend, denn wer den US-Imperialismus bekämpfen will, muss sich von allen gradualistischen Illusionen befreien. Nur so kann man die Welt verstehen, ihre Entwicklung und vor allem, was zu tun ist.
II. Wie das US-System funktioniert
Dass die USA die Weltwirtschaft beherrschen, ist vielen bewusst. Aber nur wenige verstehen wirklich, wie das funktioniert. Um das Handeln Trumps zu begreifen, ist es wichtig, erst einmal den vom US-Imperialismus angewandten Mechanismus, seine innere Funktionsweise und seine Grenzen zu verstehen.
Aufgrund ihrer Industriemacht hatten die USA das stärkste Militär und gingen somit aus dem Zweiten Weltkrieg als Sieger hervor. Sie waren all ihren Rivalen haushoch überlegen. Aus dieser Position heraus konnten die USA den Dollar als Weltreservewährung durchsetzen (verwendet für den Großteil des internationalen Handels und von Banken und Regierungen in Reserve gehalten). Der Dollar hatte eine Goldbindung, die ihm Stabilität verlieh. Vereinfacht gesagt liehen die USA anderen kapitalistischen Ländern Geld, das diese wiederum zum Kauf von Waren verwendeten, die in amerikanischen Fabriken hergestellt wurden. Auf diese Weise wurde ein amerikanisches Imperium errichtet, und die alten Kolonialmächte wurden als Juniorpartner hinzugezogen, um die übrige Welt zu beherrschen und gegen die UdSSR Front zu machen. Zum ersten Mal war die kapitalistische Welt um die Macht und die Währung einer einzigen Hegemonialmacht geeint.
Doch als die USA weltweit gegen sowjetische Verbündete Krieg führten und Europa sowie Japan ihre industrielle Basis wiederaufbauten, änderte sich diese Beziehung. US-produzierte Waren wurden weniger wettbewerbsfähig, und für die USA begann ein wirtschaftlicher Niedergang. Die Kriege im Ausland belasteten den US-Haushalt gewaltig. Um die wachsenden Importe und militärischen Abenteuer zu finanzieren, druckten die USA schon bald mehr Geld, als durch ihre Goldreserven gedeckt war. Normalerweise hätte dies den Staatsbankrott bedeutet. Doch den USA gelang es, diesen Zustand auf einzigartige Weise zu ihren Gunsten zu wenden.
Da die USA nun mehr importierten als exportierten, häufte das Ausland eine Menge Dollars an, in der Annahme, diese wären in Gold konvertierbar. Doch Präsident Nixon schränkte die Konvertibilität ein und schaffte 1971 den Goldstandard ganz ab. Die USA konnten nun unbegrenzt Geld drucken. Außerdem verlangten sie von anderen Ländern mit Dollarüberschüssen, US-Staatsanleihen zu kaufen, d. h. US-Schuldverschreibungen (Darlehen an die US-Regierung gegen Zinsen). Von nun an stellte das Ausland Produkte für die USA her, erhielt dafür Dollars und gab diese Dollars in Form von Staatsanleihen zurück, wodurch es das wachsende amerikanische Haushaltsdefizit finanzierte. Die Dollars kamen auch über Investitionen in den Aktienmarkt oder über den Kauf von Vermögenswerten (Immobilien usw.) in die USA zurück. Mit anderen Worten: Das Ausland zahlte für die Kriege der USA, und da die USA unbegrenzt Dollars drucken konnten, konnten sie sich unbegrenzt verschulden.
Das Ende des Goldstandards löste weltweit Schockwellen aus und provozierte wirtschaftliche Turbulenzen und Inflation. Die europäischen Imperialisten waren über diesen einseitigen Schritt verärgert, und Frankreich wetterte gegen das „exorbitante Privileg“ der USA. Doch letztendlich hatte Europa keine Wahl. Die europäischen Imperialisten, aber auch die japanischen, profitierten in hohem Maße als Juniorpartner des US-Imperiums, das ihre Interessen im In- und Ausland sicherte. Da ihre Verweigerung von Zugeständnissen einen Bruch mit den USA bedeutet hätte, nahmen sie wirtschaftliche Einbußen in Kauf, um ihre privilegierte Stellung zu behalten. Die USA trafen auch ein Abkommen mit der saudischen Monarchie und anderen OPEC-Ländern, Öl nur gegen Dollars zu verkaufen und für ihren militärischen Schutz mit dem Kauf von US-Staatsanleihen zu bezahlen. Dadurch war jeder, der Öl kaufen wollte, dazu gezwungen, große Dollarreserven zu halten.
Währenddessen wurde die Dritte Welt zur Unterwerfung gezwungen. Um Dollars zu bekommen, mussten diese Länder bei US-Banken Kredite zu Wucherzinsen aufnehmen. Wenn sie nicht zahlen konnten, zwang der IWF sie zu Austeritätsmaßnahmen und Privatisierungen und zur Öffnung ihrer Märkte für US-Unternehmen, was Dutzende von Ländern in eine Schuldenkrise stürzte, die bis heute anhält. Diejenigen, die auf die UdSSR als Alternative setzten, sahen sich mit der Macht Washingtons konfrontiert, von Wirtschaftssanktionen und Blockaden bis hin zum Regimewechsel. Die gesamte kapitalistische Welt unterwarf sich den USA, entweder gezwungenermaßen oder aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessen am amerikanischen Imperium. In beiden Fällen war dies möglich, weil die USA die unangefochtene Militärmacht in der kapitalistischen Welt blieben.
Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hudson erklärt das in seinem Buch:
„Die USA schafften, was kein früheres imperiales System zustande brachte: eine Form der globalen Ausbeutung, mit der sie die Schuldnerländer kontrollierten, indem sie über IWF und Weltbank den Washington-Konsens durchsetzten, während der auf Schuldverschreibungen beruhende Standard [Treasury-Bill-Standard im Gegensatz zum Goldstandard] die Zahlungsüberschussländer Europas, der OPEC und Ostasiens dazu verpflichtete, der US-Regierung Zwangsanleihen zu gewähren. Gegenüber Regionen mit Dollardefizit setzten die Vereinigten Staaten weiterhin den klassischen Kreditgeberhebel ein, den Europa und Japan gegen die USA nicht nutzen konnten. Die Schuldnerländer waren gezwungen, Austeritätsmaßnahmen zu ergreifen, die ihre eigene Industrialisierung und die Modernisierung ihrer Landwirtschaft verhindern sollten. Die ihnen zugewiesene Rolle bestand darin, Rohstoffe zu exportieren und billige Arbeitskräfte bereitzustellen, deren Löhne in abgewerteten Währungen gezahlt wurden.“
– Super Imperialism: The Economic Strategy of American Empire (ISLET, 1972; third edition, 2021)
Hudson kann zwar die Ausbeutungsmechanismen des US-Systems ganz gut beschreiben, doch stellt er diese ständig als falsche politische Entscheidungen der Herrscher in Washington dar, die ihre Überlegenheit stattdessen dazu hätten nutzen können, Gutes in der Welt zu tun. Er leugnet, dass die Schaffung eines einzigartigen Ausbeutungsmechanismus sich gerade aus der Logik des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium ergibt, d. h. aus den materiellen Interessen der herrschenden Klasse des amerikanischen Imperialismus.
Wie wir sehen können, reichte die Produktion im eigenen Land allein nicht mehr aus, um die Kosten ihres Imperiums zu tragen, als das wirtschaftliche Gewicht der USA abnahm und ihre Industrie immer weniger wettbewerbsfähig wurde. Um ihr Imperium aufrechtzuerhalten, musste mehr fiktives Geld gedruckt und mehr Wert von anderen Ländern erpresst werden – durch Zwangskredite mittels US-Staatsanleihen, Schuldenrückzahlung an US-Banken oder billige Arbeitskräfte für US-Unternehmen. Je mehr ihre Produktionskapazitäten zurückgingen, desto mehr mussten die USA zu parasitären Mitteln greifen, um ihr globales Imperium zu erhalten. Der Widerspruch zwischen den schwindenden Produktivkräften der US-Wirtschaft und der Belastung durch das Imperium vergrößert sich ständig und wird zusehends unüberwindbar.
1991 brach die Sowjetunion unter dem massiven Druck des US-Imperialismus zusammen. Dadurch weitete sich das US-System schlagartig auf den gesamten Planeten aus, was den USA enorme Gewinne einbrachte, gleichzeitig aber auch ihren Niedergang vorantrieb. Das Kapital konnte überallhin und auf neue Märkte expandieren. Doch dieser Prozess beschleunigte in den USA und bei anderen imperialistischen Mächten die Deindustrialisierung, verringerte ihr wirtschaftliches Gewicht und verstärkte die Finanzialisierung [Vorherrschen des Finanzsektors gegenüber anderen Bereichen der Volkswirtschaft]. Die Weltwirtschaft wurde noch mehr so organisiert, dass eine Gruppe von Ländern des Globalen Südens – insbesondere China – mit ihren billigen Arbeitskräften Waren für die Märkte der USA und des übrigen Westens produzierten, während eine andere Gruppe von Ländern durch finanzielles Strangulieren in völliger Armut gehalten wurde.
China erlebte einen beispiellosen industriellen Aufschwung und exportierte große Mengen an Fertigwaren in die USA und in den Westen. Es häufte massive Dollarreserven an, die es in US-Staatsanleihen wieder anlegte. In den 2000er-Jahren besaß China Hunderte von Milliarden Dollars in Form von US-Schuldverschreibungen, was einige in Washington beunruhigte. Auf diese Weise spielte und spielt China immer noch eine wichtige Rolle im Dollarsystem, was sich in der Finanzkrise 2008 zeigen sollte. Allerdings begannen Chinas industrielle Macht, die schiere Größe seiner Wirtschaft und seine wachsenden Handelsbeziehungen die Dominanz der USA zu untergraben. Ein Beispiel dafür ist die Neue-Seidenstraßen-Initiative (Belt and Road Initiative, BRI), Chinas Programm zur Entwicklung seines Handels durch die Bereitstellung von Infrastrukturprojekten, Krediten und billigen Waren für den Globalen Süden. Obwohl die BRI im Rahmen des US-Systems erfolgt (viele Investitionen werden in US-Dollars getätigt), untergräbt sie dennoch dessen Grundlagen. Für die US-Herrscher wurde China zu einer wachsenden Bedrohung.
Die Finanzkrise von 2008 offenbarte die Schwächen des US-Imperiums. Kurzfristig jedoch führte sie zu einer Stärkung der Rolle des Dollars. Um einen Bankenzusammenbruch zu verhindern, trieben die USA ihr „exorbitantes Privileg“ auf neue Höhen, indem sie riesige Mengen an Dollars druckten, um sie in den Aktienmarkt zu pumpen. Da auch ihre Juniorpartner zu kollabieren drohten, gewährten die USA den Zentralbanken in Europa und anderen Verbündeten unbegrenzte Kreditlinien – die „Swap-Vereinbarungen“. Diese wurden zur Dauereinrichtung, da das gesamte Finanzsystem nun immer größere Summen an fiktivem Geld benötigte, um seinen Zusammenbruch zu verhindern. Der Globale Süden erhielt außerdem IWF-Kredite, um den Zusammenbruch seiner Volkswirtschaften zu verhindern. All dies wurde, auch in Europa, durch massive Austeritätsprogramme finanziert. Aber die USA finanzierten dies auch dadurch, dass sie von China verlangten, riesige Mengen an Staatsanleihen zu kaufen. Da die KPCh-Bürokratie Stabilität wollte, tat sie das und finanzierte das Dollarsystem wirklich in der ganzen Krise.
Der gleiche Prozess wiederholte sich während der Pandemie auf noch höherem Niveau. Als Volkswirtschaften ins Stocken gerieten, druckten die USA noch mehr Geld (inflationsbereinigt mehr als ihre gesamten Ausgaben während des Zweiten Weltkriegs). Ihre Verbündeten taten dasselbe, indem sie die Swap-Vereinbarungen nutzten. Das belastete das System aufs Äußerste und führte zu Inflation und einer riesigen Aktienmarktblase. Das US-Haushaltsdefizit explodierte ebenfalls, sodass heute die USA eine Billion Dollars pro Jahr allein für Zinszahlungen ausgeben. Außerdem wurde Russland nach dem Beginn des Ukraine-Krieges praktisch aus dem Dollarsystem ausgesperrt. Damit wurde zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg eine bedeutende Volkswirtschaft ausgeschlossen, aber Russland wurde nicht zugrunde gerichtet. Tatsächlich blieb Russland intakt und konnte sogar auf dem Schlachtfeld gewinnen. All diese Faktoren und mehr haben das US-System bis an die Grenzen seiner Existenz belastet. Der US-Imperialismus braucht dringend eine neue Strategie, weshalb Trump den Status quo zerbricht.
III. Die kommende Wirtschaftskrise
Trumps Zölle richten schon jetzt am Aktienmarkt verheerenden Schaden an. Die finanzielle Instabilität wird mit Sicherheit die riesige Vermögensblase zum Platzen bringen, die sich seit 2008 angestaut hat. In unserem Internationalen Konferenzdokument von 2023 gingen wir davon aus, dass sie früher platzen würde (siehe „Der Niedergang der US-Hegemonie und der Kampf um die Arbeitermacht“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 34, Dezember 2023). Weitere Spekulation auf KI und die Hightech-Giganten hielt jedoch den Markt noch etwas länger in Schwung. Nun flaut der KI-Boom ab und die neue US-Regierung gibt nicht mehr so enorm viel Geld aus wie früher. Eine Wirtschaftskrise oder zumindest eine schwere Rezession ist vorprogrammiert.
Ein Konjunkturrückgang wird alle gegenwärtigen ökonomischen und politischen Trends verschärfen. Wie sich das abspielen wird, können wir nicht genau wissen, aber im Großen und Ganzen sind zwei Szenarien denkbar: Entweder wird die gesamte Nachkriegsordnung zerbrechen und die Vorherrschaft des Dollars zu Ende gehen, oder aber eine Mehrheit der Länder wird es wieder einmal hinnehmen, sich für die Rettung des US-Systems aufzuopfern, das dann auf der Grundlage von noch mehr Unterdrückung fortbestehen würde. Unserer Meinung nach ist Letzteres sehr viel wahrscheinlicher, zumindest auf kurze Sicht.
Wie sich 2008 zeigte, wird ein Finanzkrach kein Land dazu bringen, den Dollar als Leitwährung nicht mehr anzuerkennen. Wenn es zur Krise kommt, kehren die Dollars in den „sicheren Hafen“ USA zurück und fehlen allen anderen. Und wer sitzt an der Dollarquelle? Die US-Herrscher natürlich. Nun haben die USA, die nach wie vor der größte Verbrauchermarkt sind, allen Ländern Zölle auferlegt und damit noch mehr Druckmittel in der Hand. Deshalb wird eine Wirtschaftskrise Trump auf der Weltbühne nicht schwächen, sondern ihn im Gegenteil allen anderen gegenüber stärken.
Die Banken in Europa, Japan, Kanada und anderer US-Juniorpartner werden massive Geldzuflüsse benötigen, um einen Kollaps abzuwenden. Sie werden sich an die USA wenden, die dafür einen Preis in Form von Austeritätsmaßnahmen und Zugeständnissen an amerikanische Unternehmen verlangen werden. Es ist viel über die Möglichkeit gesprochen worden, dass die USA ihren Verbündeten ein „Mar-a-Lago-Abkommen“ auferlegen – ein Plan, der sie zwingen soll, neue US-Staatsanleihen mit langfristiger Bindung und niedrigeren Zinssätzen zu kaufen, ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen (und in den USA hergestellte Waffen zu kaufen) und zur Steigerung der US-Exporte eine Abwertung des Dollars zu unterstützen, um den US-Export anzukurbeln. Mit anderen Worten, ihre Volkswirtschaften zu sabotieren, um die der USA zu stützen und gleichzeitig das US-Haushaltsdefizit zu einem viel niedrigeren Zinssatz zu finanzieren. Angesichts einer Krise wird sich der Druck auf die US-Verbündeten, einen solchen Deal zu akzeptieren, verzehnfachen.
Aus dem Globalen Süden werden Investitionen und Kapital abgezogen werden. Eine Krise wird auch die kleineren Blasen zum Platzen bringen, darunter die des derzeit überhitzten Aktienmarkts in Indien. Geldüberweisungen werden sich verringern. Dabei handelt es sich um Geld, das von im Ausland (häufig im Westen) arbeitenden Migranten überwiesen wird und als bedeutende Einnahmequelle für Liquidität sorgt. (Beispielsweise machen die Überweisungen auf den Philippinen 8,5 Prozent und in Mexiko 4,5 Prozent des BIP aus. Viele andere Länder befinden sich in der gleichen Lage.) Der Dollarmangel wird sich akut bemerkbar machen, insbesondere bei der Rückzahlung der Schulden, die in Dutzenden von Ländern so hoch sind wie noch nie. Der IWF wird mit „Umschuldungs“programmen einspringen, die zu Lasten der Staatsausgaben, staatlicher Vermögenswerte, protektionistischer Schranken und der Staatseinnahmen gehen.
Viele dieser Länder sind bereits nahe an der Belastungsgrenze. In Mexiko erhalten 70 Prozent der Haushalte finanzielle Unterstützung vom Staat, was oft verhindert, dass Menschen verhungern. In einer Krise werden wahrscheinlich viele dieser staatlich geförderten Sozialleistungen gestrichen werden. In Indien haben nur zehn Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner Geld zum Ausgeben, während 90 Prozent von der Hand in den Mund leben. Noch größere Einschränkungen werden mit Sicherheit eine explosive Wirkung haben, auch weil sie die bereits weit verbreiteten Spaltungen nach Kaste, Religion und Nationalität in einen Flächenbrand verwandeln. In Südafrika, wo die Arbeitslosigkeit bereits bei 32 Prozent liegt, haben es die USA darauf abgesehen, das Land zugrunde zu richten. Eine Krise wird die Wirtschaft dort mit Sicherheit noch weiter ersticken.
An diesen Ländern haben die USA und der Westen generell ein wirtschaftliches Interesse und sie werden ihnen – sicherlich zu einem horrenden Preis – aus der Klemme helfen wollen. Bei einer Reihe von Ländern jedoch haben die Imperialisten keine Skrupel, sie in einem Zustand des völligen Chaos zu belassen, solange sie deren Ressourcen plündern können und keine Kraft hervortritt, der es gelingt, die gesamte Bevölkerung gegen ihre Ausplünderung zu vereinen. Das gilt für große Teile Ost- und Zentralafrikas und einige Länder des Nahen Ostens. Eine Krise wird in diesen ohnehin schon von Hungersnöten und Kriegen geplagten Ländern deren magere Einnahmen aus dem Weltmarkt vernichten. Es ist zu erwarten, dass der wirtschaftliche Druck dort blutige regionale und ethnische Kriege weiter anheizt und zu immer größeren Flüchtlingsströmen führt.
Das schreckliche Elend im gesamten Globalen Süden (China und Russland ausgenommen) wird soziale Explosionen hervorrufen und enormen Druck auf die Regime ausüben. Die schwachen nationalen Bourgeoisien werden zunehmend zu einem Balanceakt gezwungen sein, entweder bei den US-Plänen voll mitzumachen oder sich auf die antiimperialistische Stimmung der Massen zu stützen. In jedem Fall würden die Tendenz zum Bonapartismus und sogar die Möglichkeit von Putschen zunehmen.
In Russland wiederum hat die Umstellung auf Kriegswirtschaft trotz seines Ausschlusses aus dem Dollarsystem ein Wirtschaftswachstum ermöglicht. Das Oligarchen-Regime ist relativ stabil, besonders angesichts des bevorstehenden Sieges in der Ukraine. Aber eine Krise wird beim Erdöl, einem der Hauptexportgüter Russlands, zu einem Preissturz und unweigerlich auch hier zu Schwierigkeiten führen. Die wirklichen Probleme Russlands werden jedoch wahrscheinlich erst nach dem Ukraine-Krieg beginnen, wenn die Kriegsproduktion ausläuft und Zehntausende Soldaten demobilisiert werden.
Eine der größten Fragen, die eine zukünftige Krise aufwirft, lautet: Was wird China tun? Wie wir gesehen haben, hat die KPCh-Führung 2008 durch den massiven Ankauf von US-Staatsanleihen im Endeffekt das Dollarsystem gestützt. Da die USA erneut die Notenpresse wird einsetzen müssen, werden sie wahrscheinlich von China wieder einen Beitrag zur Stabilisierung der von den USA geführten Weltwirtschaft verlangen. Bei den unverhohlenen Bemühungen der USA, China zu erdrosseln, scheint dies undenkbar. Doch die Bürokratie der Kommunistischen Partei ist eine konservative Kraft, die an der eigenen Stabilität und den eigenen Privilegien interessiert ist und zwischen einer riesigen Arbeiterklasse und dem US-Imperialismus eingeklemmt ist. Daher ist es wahrscheinlich, dass sie in Zeiten einer Krise das Dollarsystem retten will. Wir können nicht genau wissen, wie das ablaufen wird oder ob die KPCh eher zu einem Konfrontationskurs gezwungen sein wird. Man sollte jedoch niemals die Entschlossenheit stalinistischer Bürokratien unterschätzen, dem Weltimperialismus entgegenzukommen.
Diese Prognosen beruhen auf den kurzfristig wahrscheinlichen Auswirkungen einer Krise, in der die USA ihre Position durch die Kontrolle über die Weltreservewährung und die Kapitalströme stärken können. So kann es jedoch nur anfangs sein. Die Welt ist nicht mehr dieselbe wie 2008. Die USA sind schwächer geworden, da sie vor wachsenden Herausforderungen stehen, und der Preis, den sie für die Stützung des Dollarsystems verlangen müssen, ist höher. Die Erpressung der Welt mittels des Dollarsystems hängt vor allem von der Bereitschaft der imperialistischen Juniorpartner des Imperiums ab, ihre untergeordnete Rolle im Austausch gegen bestimmte Privilegien zu akzeptieren, sowie von fehlenden Alternativen für Andere und schierer Nötigung der Übrigen. Mittel- und langfristig gesehen könnte jede dieser Kräfte, auf unterschiedliche Weise, aus dem Dollarsystem ausbrechen. Das wäre nicht automatisch eine fortschrittliche Entwicklung. Sie kann nur dann fortschrittlich sein, wenn sie den Kampf der internationalen Arbeiterklasse gegen das gesamte imperialistische System voranbringt.
IV. Der Krieg in der Ukraine
Kein anderes Thema hat unter Liberalen so viel Hysterie ausgelöst wie Trumps Haltung zum Ukraine-Krieg und der Politikwechsel, den seine Regierung vollzieht. Viele haben Verrat geschrien und behauptet, dass Trump vor einem anderen Autokraten kapituliert und Europa im Stich lässt, das jetzt allein als Bannerträger für Freiheit, Demokratie und die Werte der Nachkriegsordnung dasteht. Auch hier gilt wieder: Um das alles verstehen zu können, müssen wir hier wieder als erstes die liberale Aufgeregtheit beiseitelassen.
Entgegen den Behauptungen des ukrainischen Verteidigungsministeriums, dessen Berichte über die militärische Lage von den liberalen Medien und Politikern unkritisch nachgeplappert werden, ist die Ukraine dabei, diesen Krieg zu verlieren. Selenskis Kursk-Abenteuer endete in einem völligen Desaster, und an der gesamten Front ist die Armee mit einem Mangel an Männern und Waffen konfrontiert und steht vor der Vernichtung. Unterdessen sind die russischen Streitkräfte überall auf dem Vormarsch, die Größe der russischen Armee nimmt zu, und eine Großoffensive scheint bevorzustehen. Während die ukrainische Wirtschaft in Trümmern liegt, wächst die russische Wirtschaft trotz schwerer Sanktionen und wurde für militärische Massenproduktion umstrukturiert. Darüber hinaus haben die Lieferungen an die Ukraine für einen hochintensiven, industrialisierten Krieg die westlichen Waffenvorräte unverhältnismäßig schnell aufgebraucht. Schlaglichtartig zeigte sich das industrielle Unvermögen des Westens: Während die gesamte NATO zusammen 1,2 Millionen Artilleriegranaten pro Jahr herstellen kann, produziert Russland allein über drei Millionen.
Aus der Sicht Washingtons, dem mit Abstand größten Waffenlieferanten, war die Politik von uneingeschränkter Feindseligkeit gegenüber Russland und Unterstützung für die Ukraine bis zum totalen Sieg ein teurer Misserfolg. Die neue Regierung passt die US-Politik einfach an diese Realität an. Die USA haben keine vitalen Interessen in der Ukraine. Russland stellt zwar eine geostrategische Herausforderung für die amerikanischen Pläne dar, aber seine Wirtschaft ist zu klein, um annähernd eine Bedrohung wie China zu sein. Deshalb halten viele in der neuen US-Regierung drei Jahre Krieg in Europa für eine Verschwendung von Ressourcen, die im Pazifik besser hätten eingesetzt werden können. Der Ukraine-Krieg hat zudem die Beziehungen zwischen Russland und China gestärkt, was für die Interessen der USA ein Problem darstellt. Aus all diesen Gründen ist es für die USA sinnvoll, sich nicht nur um ein Ende des Krieges zu bemühen – selbst wenn dies Zugeständnisse an Russland bedeutet –, sondern auch um eine wirtschaftliche und politische Annäherung an Russland. Dies könnte Russland möglicherweise dem Westen näherbringen und von China entfernen oder es zumindest als Störfaktor neutralisieren.
Aus der Sicht des Kremls ist die Ukraine – ein Grenzland, das historisch gesehen in Russlands Einflussbereich liegt – von vitalem Interesse. Das Geschrei über russischen Expansionismus verdeckt die Tatsache, dass es in den letzten drei Jahrzehnten die NATO und die EU waren, die trotz der ständigen Einwände Russlands bis an dessen Grenzen vorgedrungen sind. Was Putin will, und was er seit langem anstrebt, ist ein Abkommen mit dem Westen, um seine Westgrenze zu sichern, den Expansionismus der NATO zu beenden und die Ukraine als russisches Einflussgebiet zu sichern. Deshalb begrüßte er Trumps Annäherung mit Bedacht. Abgesehen davon hat Russlands herrschende Klasse kein Interesse daran, sich dem Westen in die Arme zu werfen und ihre Beziehungen zu China zu kappen. Im Gegenteil, aus ihrer Sicht hätte ein Abkommen mit den USA den Vorteil, dass dadurch nicht nur die NATO-Erweiterung beendet würde, sondern Russland auch die Möglichkeit erhielte, China gegen die USA auszuspielen und umgekehrt, um für die Entwicklung seiner Wirtschaft von beiden Seiten zu profitieren.
Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass jene Linken, die entweder für die Ukraine oder für Russland Partei ergriffen haben, völlig falsch lagen. Das Hauptargument jener Sozialisten, die Russland unterstützten, besteht darin, dass der Sieg Russlands ein Schlag gegen die USA und somit eine fortschrittliche Entwicklung wäre. Der bevorstehende Sieg Russlands macht den Bankrott einer solchen Position deutlich. Zwar verlieren die USA in der Tat den Krieg, aber sie kämpfen nicht direkt, sondern über einen Stellvertreter. Pro-russische „Sozialisten“ haben dieses entscheidende Merkmal als irrelevant abgetan, welches den USA gerade die Möglichkeit gibt, einfach ihre Haltung zu ändern, ihren Stellvertreter unter die Räder kommen zu lassen und einen Deal mit Russland zur gemeinsamen Ausplünderung der Ukraine anzustreben. Unabhängig vom Inhalt eines künftigen Abkommens zwischen den USA und Russland (falls ein solches zustande kommt) wird Russlands Krieg daher den Kampf in Osteuropa gegen den Imperialismus nicht vorangebracht haben und auch die USA nicht wesentlich geschwächt haben. Vielmehr wird das Ergebnis die Unterdrückung der Ukraine durch Russland, die Wiederaufrüstung Europas und eine Verlagerung des Schwerpunkts der USA in Richtung Konfrontation mit China sein – alles reaktionäre und vorhersehbare Entwicklungen.
Ebenso bankrott sind jene Sozialisten, die die Ukraine unterstützten. Ihr Hauptargument ist, man müsse die Souveränität einer kleinen Nation gegen ausländische Aggressionen verteidigen. Doch die Souveränität der Ukraine konnte nur gegen ihre Regierung verteidigt werden. Seit Jahren verfolgt das Regime in Kiew eine Politik der Unterdrückung der russischsprachigen Minderheit – etwa 20 Prozent der Bevölkerung –, und es führt Krieg, um die Krim und die östlichen Regionen zu behalten, die eindeutig nach Abspaltung streben. Gleichzeitig hat es sich mit NATO, EU und den USA verbündet und seine militärische und wirtschaftliche Souveränität an diese Imperialisten abgetreten. Das Ergebnis war, die Ukraine in eine westliche Kolonie zu verwandeln und dabei die absolute Feindseligkeit Russlands zu garantieren, dem damit perfekte Kriegsgründe geliefert wurden. Die katastrophale Strategie von Selenski, das Schicksal der Ukraine an die USA zu binden – am besten zu sehen an seiner Demütigung im Oval Office – hat auf tragische Weise Henry Kissingers Worte bestätigt: „Es mag gefährlich sein, Amerikas Feind zu sein, aber Amerikas Freund zu sein ist tödlich.“ Diejenigen Sozialisten, die die ukrainische Regierung verteidigten, ob kritisch oder nicht, waren letztendlich nützliche Idioten bei den Spielen der Imperialisten.
Die einzige sozialistische Politik in einem solchen reaktionären Krieg war und ist weiterhin der Kampf für die Verbrüderung zwischen Ukrainern und Russen, der zur Grundlage die bedingungslose Opposition gegen den westlichen Imperialismus und seine ukrainischen Marionetten sowie die Opposition gegen großrussischen Chauvinismus in Verbindung mit der Verteidigung der Rechte der russischen Minderheiten hat. Nur mit diesem Kurs lässt sich die Arbeiterklasse der gesamten Region vereinigen. Und so lässt sich die Einkreisung Russlands durch die Imperialisten auf fortschrittliche Weise durchbrechen, die Freiheit der Ukraine sicherstellen und ganz Osteuropa von nationaler Unterdrückung befreien. Diese Perspektive stieß schon immer auf erhebliche Hindernisse, doch sie bleibt der einzige fortschrittliche Weg. Durch das Versäumnis der Arbeiterbewegung, eine unabhängige Politik zu verfolgen – wobei ihre Führer entweder den Imperialisten und ihren Marionetten oder den russischen Oligarchen hinterherliefen –, wird nun der Ausgang des Krieges mit Sicherheit für die Arbeiter in der Ukraine, in Russland und in ganz Europa eine Katastrophe sein.
Die Verhandlungen zwischen Russland und den USA befinden sich noch in einem frühen Stadium und könnten sich über Monate hinziehen. Während die USA den Krieg so schnell wie möglich beenden wollen, hat es Russland nicht eilig. Es gewinnt auf dem Schlachtfeld, bereitet neue Offensiven vor und hat wenig Anlass, Zugeständnisse zu machen. Dies wird sich für die USA als problematisch erweisen, die Schadensbegrenzung betreiben wollen. Darüber hinaus müssen die USA ihren ukrainischen Stellvertreter in den Griff bekommen, den sie über ein Jahrzehnt lang dadurch gestärkt haben, dass sie ukrainische Ultranationalisten förderten, die nicht für ihre versöhnliche Haltung gegenüber Russland bekannt sind. Bislang haben die Ukrainer alles getan, um Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Die Frage ist also nicht, ob Selenski gestürzt werden wird, sondern wann, wie und durch wen. Die USA müssen außerdem mit der Feindseligkeit des Großteils des europäischen Establishments sowie eines Teils von Amerikas politischer Klasse zurechtkommen.
Angesichts der Trägheit des Westens könnte es sein, dass Russland erst weitere Geländegewinne erzielen muss durch einen größeren Durchbruch an der Front, auch mit Panzern bis nach Kiew, eine Aussicht, die nicht mehr weit hergeholt ist. Dann wäre der Weg frei für ein amerikanisch-russisches Abkommen zu Russlands Bedingungen: mit einer Garantie für Russlands Kontrolle über die vier östlichen Regionen der Ukraine, der Beseitigung des Selenski-Regimes, dem Ende der Osterweiterung der NATO und ihrer Unterstützung für das, was von der Ukraine übrig ist. Einige Sanktionen werden vielleicht aufgehoben, obwohl noch nicht abzusehen ist, ob die Handelsbeziehungen mit Europa wieder das Niveau wie vor 2014 erreichen werden. Im Gegenzug würden sich die USA wahrscheinlich an anderer Stelle auf die Unterstützung durch Russland verlassen können, dass es z. B. den Iran zur Aufgabe seines Atomprogramms drängt.
Es gibt jedoch eine grundlegendere Konsequenz eines möglichen Sicherheitsabkommens zwischen den USA und Russland: Europa in eine reaktionäre Ordnung hineinzuzwängen. Weder die USA als Herrscher über Europa noch Russland haben ein Interesse an Instabilität in Europa. Letzteres war für Russland schon immer ein schlechtes Omen, und die USA benötigen ein stabiles Europa, um ihre Aufmerksamkeit anderswohin richten zu können. Russland mit seiner Militärmacht, seinem Reichtum an Bodenschätzen und seinem Reservoir an religiösem Konservatismus könnte sehr wohl mit dem amerikanischen Finanzkapital und seinem neuerdings vorherrschenden rechten christlichen Establishment gemeinsame Sache machen und das liberale Europa unter Druck setzen. Eine Annäherung zwischen den USA und Russland würde als ein konservativer und reaktionärer Stabilisierungsfaktor in Europa dienen.
Das war Russlands Rolle in der europäischen Politik während des gesamten 19. Jahrhunderts: ein Bollwerk der Reaktion, auf das sich Britannien, die damalige Großmacht, stützen konnte, um Europa stabil zu halten. Auch wenn die Situation heute natürlich anders ist, läge ein amerikanisch-russisches Abkommen, das die europäische Politik bestimmt, im Interesse sowohl Russlands als auch des US-Imperialismus, zumal letzterer eine grundlegende politische Neuordnung auf dem Kontinent vorantreibt.
V. Europa und Amerika
Trumps Verhandlungen mit Russland, die Demütigung Selenskis im Oval Office, die Verhängung von Zöllen sowie die Rede von J. D. Vance, in der er das liberale Establishment Europas als den „inneren Feind“ brandmarkte, lösten in ganz Europa Schockwellen aus. Innerhalb weniger Wochen geriet die europäische Ordnung, die auf Globalisierung, Freihandel, liberalen Werten und Feindseligkeit gegenüber Russland beruht – ein über Jahre hinweg unter Führung der USA aufgebautes und durch deren militärische Macht garantiertes System – unter ständigen Beschuss aus dem Weißen Haus. Panik hat die europäischen Eliten ergriffen. Jahrelang konnten liberale Politiker, die von ihrer eigenen Bevölkerung zunehmend gehasst wurden, wenigstens darin Trost finden, dass sie nach wie vor in der Gunst der weltgrößten Supermacht standen. Das ist vorbei. Trumps neue Regierung steht für den Tod des Liberalismus im gesamten US-Imperium und macht das liberale „schmarotzende“ Europa zum vorrangigen Ziel einer politischen Neuausrichtung.
Die Trump-Regierung muss Europa mehr abverlangen, um die Position der USA zu stärken, besonders bei Verteidigungsausgaben und Handelsbedingungen. Die USA sind weit davon entfernt, Europa aufzugeben, sondern brauchen es, um einen aggressiveren Block gegen China zusammenzufügen, der besser zur Sicherheit der Vereinigten Staaten beitragen kann. Doch das Problem ist, dass Europa dafür eine massive Neuausrichtung braucht. Die europäischen Institutionen und Regierungsstrukturen wurden geschaffen, um der bisherigen liberalen Ordnung der USA zu dienen. Die Europäische Union – ein riesiger bürokratischer Apparat, der an zahllose liberale Institutionen gebunden ist – hat festverankerte Wirtschaftsinteressen am Status quo. Und Europa wird immer noch von Politikern wie Emmanuel Macron, Friedrich Merz, Ursula von der Leyen, Keir Starmer und Pedro Sánchez geführt. Diese Führer, die ihre Karriere in der alten liberalen Ordnung gemacht haben und an ihr kleben, stehen in vielerlei Hinsicht für die große politische Kluft zwischen dem alten, postsowjetischen Europa und der neuen, rechtsgerichteten US-Regierung.
Nachdem Trump Selenski gedemütigt hatte, erklärte Kaja Kallas, EU-Außenbeauftragte und ausgesprochene Kriegshetzerin gegen Russland, „dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht“ und: „Es liegt an uns Europäern, diese Herausforderung anzunehmen.“ Ähnlich fordern zahllose liberale Kommentatoren und Politiker, Europa solle endlich seinen eigenen, von den USA unabhängigen Weg einschlagen, um die liberalen Werte hochzuhalten, Russland die Stirn zu bieten und die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Das unterstreicht nur, wie sehr die politische Führung Europas in einer Parallelwelt lebt. In Wirklichkeit befinden sich alle größeren europäischen Volkswirtschaften in einem erbärmlichen Zustand der Stagnation. Mit der teilweisen Ausnahme von Deutschland haben sie fast ihre ganze Industrie verloren und verlassen sich weitgehend auf den Finanz-, Dienstleistungs- und Tourismussektor. Überall auf dem Kontinent bröckelt die Infrastruktur und altert die Bevölkerung. Auf militärischer Ebene ist Europa derzeit nicht in der Lage, irgendeine Art von konventionellem Krieg zu führen. Seine kleinen und veralteten Armeen sind für jegliche ernsthaften Operationen von den Luftstreitkräften, der Logistik, den Nachrichtendiensten, dem Nachschub und den Kommandosystemen der USA abhängig.
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk mag noch so oft wiederholen, dass Europa als Ganzes stärker ist als Russland, aber dadurch wird es nicht wahr. Europa ist in verschiedene Länder mit konkurrierenden Interessen balkanisiert. Was die Liberalen immer wieder vergessen: Es war die wirtschaftliche und militärische Vorherrschaft der USA über Europa seit 1945, die eine europäische Einheit ermöglichte und den Kontinent davor bewahrte, sich zu zerfleischen. Die Ambitionen von Europas führenden Politikern, die Führung der „freien Welt“ zu übernehmen, eine „Koalition der Willigen“ zu bilden oder „strategische Autonomie“ zu erlangen, sind nichts als Hirngespinste. Europa ist völlig abhängig von den USA, sowohl militärisch als auch wirtschaftlich. Kurzfristig und wahrscheinlich auch mittelfristig wird und kann Europa oder eine einzelne europäische Macht keine von den USA unabhängige Rolle spielen.
Hinter dem Draufgängertum, den leidenschaftlichen Erklärungen und der Realitätsverweigerung von Europas herrschenden Kreisen steckt eine Anomalie, die sich im Laufe der Zeit verstärkt hat. Es besteht ein wachsender Widerspruch zwischen dem politischen Überbau Europas – seinen Institutionen, seiner Ideologie, seiner Bürokratie, seinen Politikern usw. – und seiner tatsächlichen wirtschaftlichen Basis, d. h. seiner ausgesprochenen Schwäche und Abhängigkeit von den USA. Früher oder später muss sich dieser Widerspruch auflösen, und Europa wird keine andere Wahl haben, als seinen überholten Liberalismus wegzuwerfen und sich den USA zu fügen. Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien steht für diesen wachsenden Trend (z. B. die AfD in Deutschland, das RN in Frankreich, Reform UK in Britannien, die FPÖ in Österreich, Meloni in Italien – die bereits an der Macht ist). Diese werden von der US-Regierung nicht so sehr aufgrund politischer Übereinstimmung bevorzugt, sondern weil sie die einzige Kraft sind, die den liberalen Status quo auf eine Weise durchbrechen kann, die den Interessen der USA am besten dient.
Bislang hält die politische Mitte in Europa stand. Die Tatsache, dass sich viele Politiker stark genug fühlen, um sich den Forderungen der USA (teilweise) zu widersetzen und den liberalen Status quo (halbherzig) zu verteidigen, spiegelt fest etablierte wirtschaftliche Interessen wider. Das sind in erster Linie die der europäischen Kapitalisten, die von dem Arrangement der letzten drei Jahrzehnte stark profitiert haben, sich gegen Veränderungen sträuben und den aufstrebenden Rechtsparteien womöglich noch nicht voll vertrauen. Da ist zweitens die Trägheit von Europas Institutionen und Bürokratie. Und drittens gibt es in den fortgeschrittenen europäischen Ländern immer noch eine ziemlich große Mittelklasse. Diese Schicht, die oft mit den europäischen Institutionen verbunden ist und einen relativ hohen Lebensstandard genießt, ist die wichtigste Unterstützerbasis für die Parteien der Mitte. Das gilt auch für Britannien. Formalisten auf der Linken mögen roboterhaft wiederholen, dass die Labour Party eine bürgerliche Arbeiterpartei ist. Darin steckt zwar ein Funken Wahrheit, aber die Realität ist, dass die Unterstützerbasis der Labour Party derzeit aus der städtischen Mittelschicht besteht und nicht aus Arbeitern.
Der oben beschriebene Trend war bei den deutschen Wahlen im Februar zu beobachten. Während die Unterstützung für die rechte AfD erheblich zunahm (vor allem unter Arbeitern), blieb die große Mehrheit der Wähler bei den traditionellen Parteien, was zeigt, dass der deutsche Liberalismus noch nicht ganz tot ist. Der Aufschwung bei der Unterstützung für die Linkspartei, der von den meisten Vertretern der extremen Linken international gefeiert wurde, kam in Wirklichkeit vorwiegend von kleinbürgerlichen ehemaligen Grünen-Wählern und muss als ein Versuch gewertet werden, den liberalen Status quo zu erhalten. In Deutschland wie auch in anderen Ländern kommt die Unterstützung der Bevölkerung für rechte Anti-Establishment-Parteien hauptsächlich aus der Arbeiterklasse, insbesondere aus deren unteren Schichten, aber auch aus Schichten der Arbeiteraristokratie.
So wird Europa weiterhin von „Übergangs“politikern beherrscht – Macron, Starmer, Merz & Co. –, die einen Spagat machen zwischen der Verteidigung der liberalen europäischen Ordnung und der rechten Reaktion, um ihre rechte Flanke abzudecken. Das hat wie üblich zur Folge, dass alle unzufrieden sind. Diese Regierungen, die an die Macht gekommen sind, um die „extreme Rechte“ zu blockieren, sind in der Bevölkerung völlig diskreditiert und ihre Tage sind gezählt. Aber ihr Sturz und ihre dann fast unvermeidliche Ablösung durch die Rechte werden kein friedlicher und linearer Prozess sein, sondern das Ergebnis einer akuten politischen und wirtschaftlichen Krise. Auf dem Papier sind die Wahlen in Britannien und Deutschland noch Jahre entfernt. Macron hat noch zwei Jahre Zeit bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen und gerade hat das französische Establishment Marine Le Pen von der Kandidatur ausgeschlossen. Die Liberalen werden jeden Trick anwenden, um an der Macht zu bleiben. Doch angesichts der Forderungen der USA nach einer politischen Neuausrichtung sowie der Kluft zwischen der wirtschaftlichen Basis Europas und den Vorstellungen und Ambitionen seiner politischen Klasse kann diese Situation nicht von Dauer sein.
Die kommende Wirtschaftskrise wird den völlig verrotteten Charakter der europäischen Volkswirtschaften offenlegen. Es ist zu erwarten, dass ein wirtschaftlicher Schock in Verbindung mit erheblichen Austeritätsmaßnahmen die Mittelschichten und die Arbeiterklasse sehr hart treffen wird. Die Notwendigkeit zur Wiederaufrüstung geht auch zu Lasten der in einigen Ländern immer noch beträchtlichen Sozialleistungen. Die jetzt schon bestehende massive Unzufriedenheit wird noch zunehmen. Das wird zu erheblichen politischen Krisen führen, die eine Fortsetzung der Herrschaft von Übergangspolitikern unmöglich machen, sodass diese ihren Platz an entschlossenere Machthaber abtreten müssen.
In europäischen Ländern, die vom Imperialismus unterdrückt werden, ist die politische Dynamik natürlich eine andere. Serbien und Griechenland wurden durch Massenbewegungen der Bevölkerung gegen ihre Regierungen erschüttert, als sich die Wut über die imperialistische Ausplünderung entlud. Vor allem Griechenland hat bereits in den 2010er-Jahren eine starke Krise durchgemacht, die für große Teile der Bevölkerung verheerend war. In diesen Ländern ist das Kleinbürgertum viel mehr verarmt, ebenso wie die Arbeiterklasse. Eine Wirtschaftskrise zusammen mit Austeritätspolitik wird einen viel explosiveren Charakter haben und damit die Gefahr einer bonapartistischen Herrschaft erhöhen. Andererseits kann man sich anhand von Ungarn ein Bild davon machen, worauf Europa politisch zusteuert. Ministerpräsident Viktor Orbán, ein reaktionärer Christ, der Russland und den USA nahesteht, war der EU lange Zeit ein Dorn im Auge, weil er den Liberalismus ablehnt. Heute jedoch ist er seiner Zeit voraus.
Bei der derzeitigen Lage der Arbeiterklasse wird ein wirtschaftlicher Abschwung ihren Kampfgeist höchstwahrscheinlich eher dämpfen als fördern, zumindest in der Anfangsphase. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit und die Zerstörung des Lebensstandards der Arbeiterklasse und der Mittelklasse bieten keinen guten Rahmen für Arbeiterkämpfe. Eine Wirtschaftskrise wird außerdem die gegenwärtige politische Dynamik beschleunigen, die rechte Anti-Establishment-Parteien begünstigt. Das liegt an dem kläglichen Scheitern der Linken, die sich im letzten Jahrzehnt nicht als eine Kraft aufdrängen konnten, weil sie den liberalen Status quo unterstützten und damit immer mehr Arbeiter in die Arme der Rechten trieben. Viele Arbeiter mussten erleben, wie ihr Lebensstandard ruiniert wurde, und haben angesichts der Verbundenheit der Linken mit dem Liberalismus ein Ventil für ihren Zorn in der giftigen Feindschaft gegen Einwanderer gefunden.
2022/23 gab es auch bedeutende gewerkschaftliche Kämpfe wie die Rentenbewegung in Frankreich und die Streikwelle in Britannien. Das waren wichtige Gelegenheiten, um das Kräftegleichgewicht zugunsten der Arbeiterklasse zu kippen und die Arbeiterbewegung als eine Kraft gegen den Status quo in Stellung zu bringen. Aber alle diese Bewegungen wurden von ihren eigenen Führern in die Niederlage geführt, die sich weigerten, eine echte Konfrontation mit der herrschenden Klasse zu organisieren. Meistens wurden diese Verräter von der radikalen Linken unterstützt. In Griechenland wurden wir kürzlich Zeuge einer weiteren verpassten Gelegenheit, als sich bei der Tempi-Bewegung die Führer der Arbeiterbewegung als völlig ohnmächtig erwiesen. Diese Verratspolitik hat die Position der Arbeiterklasse erheblich geschwächt und den Rechtsruck weiter vorangetrieben.
Außerdem werden die rechten Parteien dadurch Auftrieb erhalten, dass die Linke in Europa nach wie vor am Liberalismus, an der EU, an der „grünen“ Agenda oder an Waffen für die Ukraine festhält (viele von ihnen unterstützen jetzt offen die Wiederaufrüstung) – alles Dinge, die die Arbeiter hassen. Und die Linke macht weiter mit bei den „Volksfronten“ der herrschenden Klasse gegen rechts, deren einziger Effekt darin besteht, die Rechten bei den Arbeitern attraktiver zu machen und die Linke weiter zu diskreditieren. Die einzige linke Kraft aus dem Aufschwung der 2010er-Jahre, die noch nicht völlig zerfallen ist, ist die von Mélenchon gegründete La France Insoumise. Aber auch sie klammert sich an das tote Gewicht der Sozialistischen Partei (PS) und stellt sich in den Dienst der republikanischen Front gegen das RN, alles Dinge, die dem RN nur zu noch mehr Stimmen aus der Arbeiterklasse verhelfen.
In diesem schwierigen Umfeld ist es die Aufgabe der Kommunisten, dafür zu kämpfen, die Arbeiterklasse in eine bessere Verteidigungsposition zu bringen. Jetzt ist nicht die Zeit für leichtfertige Offensiven. Massive Angriffe stehen bevor, und die Arbeiterbewegung in Europa ist schwach und gespalten. Ihre Organisationen sind nur noch ein Schatten dessen, was sie einmal waren, und sie sind ausgehöhlt. Gewerkschaften sind häufig in Eingruppierungen und Berufsbereiche aufgegliedert und auf Teile der Arbeiteraristokratie beschränkt. Kommunisten müssen an der Spitze des Kampfes stehen, diese Spaltungen aufzubrechen, die Arbeiterorganisationen zu stärken und Verteidigungsaktionen anzuführen. Das muss bei jedem Schritt in vollständiger Opposition zur Gewerkschaftsbürokratie geschehen. Kommunisten müssen in den Gewerkschaften Fraktionen bilden, die für eine kommunistische Strategie zur Führung der Gewerkschaften kämpfen. Diese Strategie muss in der Lage sein, die unmittelbaren Forderungen der Arbeiter mit der Notwendigkeit der Arbeitermacht zu verbinden und gleichzeitig den Verrat der Gewerkschaftsbürokraten zu entlarven. Auf diese Weise können Kommunisten Autorität in der Arbeiterklasse zurückgewinnen und die Attraktivität der Rechten untergraben.
Vielleicht regen sich noch eine Zeitlang schwächliche Überreste liberaler Bewegungen gegen die Rechte. Es werden die letzten Atemzüge einer aussterbenden Art sein. In dem Maße, wie die liberale Bourgeoisie von den USA unter Druck gesetzt und das Kleinbürgertum zunehmend zugrunde gerichtet wird, gibt es keine Grundlage mehr für liberale Massenbewegungen für Demokratie, die Rechte von Immigranten usw. Eine immer kleiner werdende Schicht von Linken wird versuchen, diese am Leben zu erhalten, und wird damit die Linke in der Arbeiterklasse weiter diskreditieren (wie man es zurzeit in den USA sieht). Wir müssen in diese Milieus intervenieren und diese Linken dazu auffordern, aufzuwachen, den Liberalismus wegzuschmeißen und sich der Arbeiterklasse zuzuwenden. Wir müssen für den Wiederaufbau von Bewegungen zur Verteidigung von Immigranten und Muslimen und gegen die Rechte kämpfen, aber auf einer anderen Grundlage – weg von der Sackgasse des Liberalismus und hin zu einer proletarischen und antiimperialistischen Basis, die sich auch gegen die EU richtet.
Diese Aufgaben stellen sich auch in unterdrückten Ländern wie auf dem Balkan oder in Osteuropa. Hier muss der Kampf gegen Verelendung mit dem Kampf zur Befreiung des Landes von imperialistischer Unterdrückung verknüpft werden. Dazu ist es auch erforderlich, die verräterische Führung der Massen, egal ob sie aus Nationalisten, Stalinisten oder Gewerkschaftsbürokraten besteht, auf Schritt und Tritt zu entlarven wegen ihrer Beschwichtigungspolitik gegenüber den USA und der EU oder wegen ihrer Weigerung, den Kampf der Massen zu verbinden mit dem Kampf gegen die Unterdrückung des Landes durch fremde Mächte. Das ist der einzige Weg, um alle Unterdrückten und nationalen Minderheiten zu vereinen und Arbeiter und Jugendliche für eine Klassenkampfstrategie zur nationalen und sozialen Emanzipation zu gewinnen.