https://iclfi.org/spartacist/de/2025-wendepunkt
Übersetzt aus „The World at a Turning Point“, Spartacist (English edition) Extra, 13. November 2025.
Wo steuert die Welt hin? Sind wir Zeugen einer „weltweiten Kette von Massenbewegungen, Aufständen, Revolten und Revolutionen“, wie die Revolutionäre Kommunistische Internationale (RKI) behauptet? Oder wird „das Land von Lincoln … von Trump und seinen arroganten Satrapen in das Land eines Möchtegern-Führers verwandelt“, wie die Socialist Equality Party (in Deutschland Sozialistische Gleichheitspartei) glaubt? Vielleicht auch ein bisschen von beidem, und „es könnte in den kommenden Monaten zu einem kombinierten Prozess von Kriegen, Revolutionen und Konterrevolutionen kommen, der möglicherweise eine vorrevolutionäre oder sogar revolutionäre Situation weltweit eröffnet“ (Revolutionary Communist International Tendency). Wenn Trotzkisten unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wohin die Reise geht, stehen sie damit nicht allein da. Wo man hinschaut, gibt es Stellungnahmen über „den Aufstieg des Faschismus“, „den Zusammenbruch des Dollars“, „Aktienblasen“, „die KI-Revolution“ und einen „Weltkrieg“. Es gibt kein einheitliches Bild, und das Ganze ist schwindelerregend.
Die Verwirrung ist deshalb so groß, weil sich die Welt rasch einem entscheidenden Wendepunkt nähert. Wie in der Ruhe vor dem Sturm erhalten wir viele widersprüchliche Signale. Doch die Frage bleibt: Wohin steuern wir? Um diese Frage als Marxisten zu beantworten, können wir nicht einfach von einer Schlagzeile zur nächsten springen oder uns die neuesten Meinungsumfragen ansehen. Wir müssen die Dynamik verstehen, die den weltweiten Ereignissen zugrundeliegt, und die vorherrschenden Strömungen von den sekundären Gegenströmungen unterscheiden. Diese Methode schließt Fehler oder unvorhergesehene Ereignisse zwar nicht aus, bietet aber die einzige Möglichkeit, sich nicht vom Impressionismus mitreißen zu lassen.
Wir von der Internationalen Kommunistischen Liga sind davon überzeugt, dass wir uns am Beginn einer reaktionären Periode der kapitalistischen Offensive befinden. In dieser Periode werden die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung in einem seit Jahrzehnten nicht mehr dagewesenen Ausmaß angegriffen. Das heißt nicht, dass es ein einseitiger Kampf sein wird, bei dem wir einfach tatenlos zusehen und aufgeben. Ganz im Gegenteil. Er erfordert eiserne Entschlossenheit, Verteidigungsmaßnahmen und eine ernsthafte Vorbereitung. Je stärker die Gegenwehr ist, desto schneller kann die Arbeiterklasse in die Offensive übergehen. Um dies effektiv zu tun, benötigen fortgeschrittene Arbeiter und die sozialistische Bewegung jedoch ein korrektes Verständnis von Rhythmus und Richtung der Ereignisse.
Leider haben, wie die obigen Beispiele nahelegen, die meisten Linken eine Wahrnehmung der Welt, die völlig im Widerspruch zur Realität steht, nicht zuletzt was die vorherrschenden Stimmungen in der Arbeiterklasse betrifft. In einer Welt, die sich zunehmend nach rechts bewegt, schlagen sie zumeist einen Linkskurs ein und agitieren für Generalstreiks und Aufstände. Um einen schmerzhaften Zusammenprall mit der Realität zu vermeiden, müssen Kommunisten ihre parteipolitischen Scheuklappen ablegen und die gegenwärtige Weltlage ernsthaft studieren und diskutieren.
TEIL I: DIE HAUPTTENDENZEN DER WELTPOLITIK
Um zu verstehen, was vor sich geht, müssen wir von oben anfangen. Der wichtigste Faktor, der die Weltpolitik prägt, ist die zunehmende Kluft zwischen der beherrschenden Rolle der USA auf der Weltbühne und ihrer schwindenden Wirtschaftskraft. Die unangefochtene Vorherrschaft der USA in den 1990er- und 2000er-Jahren sorgte für eine repressive, aber stabile Weltordnung. Jetzt, da die Zentripetalkraft der USA nachlässt, brechen immer mehr regionale Konflikte aus, die Weltwirtschaft taumelt und die US-Herrscher schreddern alte Regeln in einem verzweifelten Versuch, ihre Position zu halten. Hier kommt Donald Trump ins Spiel.
Was zum Teufel will Trump eigentlich?
Im vergangenen Jahr hat Trump die Weltpolitik aufgemischt und Freunde wie Feinde gleichermaßen attackiert. Doch was steckt hinter seinem Handeln? Ist es logisch oder völlig inkohärent? Viele Kommentatoren haben sich über diese Frage den Kopf zerbrochen. Das Verzwickte daran ist, dass die Antwort „beides“ lautet. Trump ist ein Idiot, der offensichtlich keinen schlüssigen Plan hat, aber er ist ein Idiot mit ausgeprägten Klasseninstinkten. Er versteht, dass die USA über große Reserven an harten Machtmitteln verfügen und dass drastische Maßnahmen erforderlich sind, um ihren Niedergang aufzuhalten. Also verschafft er sich wie jeder gute Immobilienmagnat durch Erpressung und Einschüchterung jeden nur möglichen Vorteil. Er greift an und beobachtet dann die Reaktion. Wenn er sich übernommen hat, macht er einen Rückzieher. Wenn er Schwäche spürt, legt er nach. Diese Vorgehensweise ist chaotisch, hat sich jedoch als wirksam erwiesen, um abhängigen Ländern im Globalen Süden ebenso wie Verbündeten der USA Zugeständnisse abzupressen. Gegenüber Russland und China hat sie sich jedoch als nutzlos erwiesen, da beide Länder über die materiellen Mittel verfügen, um amerikanischen Drohungen die Stirn zu bieten.
Trumps Problem ist es, dass er die Weltwirtschaft trotz der Macht der USA nicht nach seinen Wünschen umgestalten kann. Und er kann auch den jahrzehntelangen relativen wirtschaftlichen Niedergang nicht umkehren – zumindest nicht kurzfristig. Das erklärt, warum trotz der Eskapaden von Trump so vieles beim Alten geblieben ist. Im Grunde sind es objektive Kräfte wie die Wirtschaft und der Ausgang von Kriegen, die hauptsächlich die Geschichte bestimmen. Abgesehen von einem Atomkrieg kann Trump nichts tun, um zu verhindern, dass Russland den Krieg in der Ukraine gewinnt. Auch ist er derzeit nicht in der Lage, die chinesische Wirtschaft mit Zöllen zu strangulieren.
Otto von Bismarck sagte einmal, ein Staatsmann „kann nicht selber etwas schaffen; man kann nur abwarten, bis man den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört; dann vorspringen und den Zipfel seines Mantels fassen – das ist Alles“. Trump verschwendet keine Zeit mit Warten, sondern greift nach jedem Strohhalm. Aber große Erschütterungen zeichnen sich ab, und während die Geschichte vorwärtsschlingert, steht Trump an der Spitze des mächtigsten Staates der Welt. Insofern wird die politische Strömung, die er vertritt, der aggressive Rechtspopulismus einer niedergehenden imperialistischen herrschenden Klasse, höchstwahrscheinlich eine führende Rolle bei der Neugestaltung der Weltordnung spielen.
China übernimmt nicht die Führung
Was ist mit China? Wird es bei den bevorstehenden Erschütterungen des globalen Systems nicht eine Schlüsselrolle spielen? China und seine Rolle auf der globalen Bühne sind einer der wichtigsten, aber auch am meisten missverstandenen Faktoren in der Weltpolitik. Die meisten betrachten China als aufstrebende Supermacht, die darauf aus ist, die USA abzulösen. Einige glauben, dies werde zu Fortschritt führen, während andere angesichts dieser Aussicht entsetzt sind. Beide liegen grundlegend falsch. Zwar ist der wirtschaftliche und soziale Aufstieg Chinas phänomenal und das Land fordert die Vorherrschaft der USA in einer Reihe von Bereichen heraus, doch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) strebt keine Konfrontation mit dem US-imperialistischen System an. Vielmehr lebt sie in der trügerischen Vorstellung, ihre schrittweise Entwicklung innerhalb dieses feindlichen Systems fortsetzen zu können.
Es ist keine umfassende Analyse des chinesischen Staates nötig (siehe „Der Klassencharakter Chinas“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 35, Dezember 2024), um zu erkennen, dass etwas mit der Vorstellung von einem aggressiven, aufstrebenden China nicht stimmt. Wenn China der junge und dynamische Anwärter auf den Thron der Weltherrschaft ist, warum sind es dann die USA und nicht China, die jedes Land auf der Erde erpressen und angreifen? Warum hat China keine Allianz aufgebaut, um den USA die Stirn zu bieten? Warum überhäuft es den Iran, Venezuela und Palästina nicht mit modernen Waffensystemen, um imperialistische Aggressionen abzuwehren? Nein, stattdessen faselt die KPCh weiterhin von Win-Win-Kooperation und der Erhaltung der multilateralen Ordnung – während deren wichtigster Garant, die USA, diese in Stücke reißt.
Verteidiger der KPCh und Befürworter der BRICS argumentieren oft, dass China klug handelt, indem es die USA nicht direkt herausfordert. Sie behaupten, China schaffe langsam aber sicher die Grundlagen für eine neue, multipolare Wirtschaftsordnung. Diese Auffassung ist in zweifacher Hinsicht falsch. Erstens leugnet sie, dass zwischen der durch eine antikapitalistische Revolution errichteten Gesellschaftsordnung Chinas und der kapitalistischen Weltwirtschaft eine fundamental antagonistische Beziehung besteht. Langfristig werden die kapitalistischen Wirtschaftsbeziehungen innerhalb des Landes sowie international den „Sozialismus chinesischer Prägung“ der KPCh nicht begünstigen, sondern untergraben und zerstören. Der zweite Fehler besteht darin zu glauben, die USA würden einfach ihr eigenes Grab schaufeln und den Aufstieg Chinas sicherstellen. Dies verharmlost die Gefahr, die von einem im Niedergang begriffenen US-Imperium ausgeht. Wenn es den USA erlaubt wird, ihren eigenen Weg zu gehen, werden sie Elend, Chaos und Krieg in ungeahntem Ausmaß verbreiten. China kann sich davon nicht abschotten. Für Chinas eigene Entwicklung und die der Menschheit ist es erforderlich, dass mit dem US-Imperium so schnell wie möglich Schluss gemacht wird.
Betrachtet man die Weltlage auch nur mit einem Minimum an Objektivität, wird klar, dass China eine konservative Rolle spielt und sich vor Erschütterungen und Konflikten hütet, wogegen die USA der Hauptverursacher von Zerrüttung und Chaos sind. So verhält sich keine aufstrebende imperialistische Macht, sondern es ist die Haltung eines bürokratisch regierten Arbeiterstaates wie einst der Sowjetunion. Zweifellos wird China in der kommenden Periode turbulenter Weltpolitik eine wichtige Rolle einnehmen. Aufgrund ihres konservativen politischen Charakters wird die KPCh gegenüber Trump jedoch weiterhin die zweite Geige spielen und eher auf Ereignisse reagieren, als sie zu gestalten.
Gen-Z-Revolutionen?
Für die meisten Linken wird die steigende Flut der Reaktion durch eine ebenso steigende Flut von Volkskämpfen wettgemacht. Die RKI spricht von einem „Roten September“ und einer „dramatischen Wende in der Weltlage“. Diese optimistische Analyse stützt sich vor allem auf die Welle von Aufständen in der halbkolonialen Welt, die als „Gen-Z-Revolutionen“ bezeichnet werden. In den letzten Monaten kam es in Ländern wie Nepal, Indonesien, Madagaskar, Marokko, Peru und Tansania zu einer Explosion großer Unzufriedenheit.
Jede Bewegung hatte ihre eigene politische Dynamik. Aber sie alle wurden maßgeblich durch die sich verschlechternden Lebensbedingungen junger Menschen in einer Welt ausgelöst, in der soziale Mobilität und Entwicklung in weiter Ferne liegen. Früher schürte die US-Politik Illusionen über wirtschaftlichen und demokratischen Fortschritt, während sie gleichzeitig Emigration und Gelder für NGOs als Druckventile einsetzte. Damit ist nun Schluss. Ohne Aussicht auf eine lebenswerte Zukunft ist die soziale Explosion nun das einzige Ventil.
Die jüngsten Aufstände wurden mit massiver Unterdrückung beantwortet (Indonesien, Marokko, Peru usw.) und führten im Falle Madagaskars zu einem neuen Regime unter der Führung des Militärs. Bislang scheint in diesen Ländern keine scharfe Wende nach links stattgefunden zu haben. Und auf weltpolitischer Ebene bleiben die Gen-Z-Revolutionen ein untergeordneter Trend, der die allgemeine Tendenz zur imperialistischen Reaktion nicht aufgehalten hat.
Der Hauptgrund dafür ist, dass diese Wutausbrüche der Bevölkerung kein politisches Sprachrohr gefunden haben, das ihre Energien in eine fortschrittliche Richtung lenken kann. Die Linke war überwiegend nicht in der Lage, bei den Massenaufständen eine Führungsrolle zu übernehmen. In Nepal richtete sich der Aufstand sogar gegen die verschiedenen kommunistischen Parteien, die das Land regiert haben. In Sri Lanka brachte der Massenaufstand von 2022 schließlich eine kommunistisch geführte Koalition an die Macht, die jedoch mit ihrer Unterwerfung unter den IWF bereits die Hoffnungen der Massen verraten hat.
Die durch den Mangel an Führung in diesen Aufständen verursachten Probleme werden dadurch verschärft, dass die organisierte Arbeiterklasse keine größere Rolle spielte. Tatsächlich hat trotz der sozialen Explosionen in Asien, Afrika und Lateinamerika die Industriearbeiterklasse des Globalen Südens, die überwiegende Mehrheit des Weltproletariats, noch keine Anzeichen zunehmender Militanz gezeigt. Dies ist nicht zuletzt auf die sich verschlechternden wirtschaftlichen Aussichten für Industriearbeiter zurückzuführen. Würde das Proletariat in Ländern wie China, Mexiko oder Indonesien seine Muskeln spielen lassen, würde dies dem Kampf ein viel größeres soziales Gewicht verleihen und könnte die Weltpolitik drastisch verändern.
Diese Ausführungen schmälern keineswegs das revolutionäre Potenzial im Globalen Süden, einschließlich der Länder an der Peripherie der Weltwirtschaft. Während die Welt immer tiefer im Chaos des verfaulenden amerikanischen Imperiums versinkt, wird der Druck auf diese Länder zunehmen und höchstwahrscheinlich die wichtigste revolutionäre Strömung der kommenden Periode hervorbringen. Die jüngsten Aufstände waren weitgehend spontan und politisch chaotisch. Da aber Repression und reformistische Lösungen den Zorn der Bevölkerung nicht eindämmen können, werden die fortgeschrittensten Elemente ihre Lehren daraus ziehen.
Es ist die Aufgabe von Marxisten, diesen Prozess zu beschleunigen, indem sie revolutionären Kämpfern des Globalen Südens dabei helfen, aus vergangenen Fehlern zu lernen und sich um eine einheitliche antiimperialistische Strategie zusammenzutun (siehe „Zur Verteidigung der permanenten Revolution“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 34, Dezember 2023). Dies erfordert ernsthafte, langfristige und systematische Arbeit. Leider ist es in der revolutionären Linken nur allzu üblich, einen Volksaufstand anzufeuern und zu irgendwelchen unabhängigen Arbeiterkomitees aufzurufen, um dann, sobald die Gelegenheit schwindet, zu neuen Weidegründen aufzubrechen. Solche Methoden verbreiten Illusionen und Zynismus und tragen in keiner Weise dazu bei, den revolutionären Kampf im Globalen Süden zu organisieren.
Rechtspopulismus im Westen
Wie sieht es im Westen aus? Stehen wir kurz vor faschistischen Diktaturen, oder steht eine Revolution bevor? Weder noch, zumindest im Moment. Auch hier müssen wir uns vor hysterischem Impressionismus hüten und die tatsächlichen politischen Entwicklungen betrachten. Im gesamten Westen erleben wir, wie die politische Mitte unter den Schlägen einer aufstrebenden populistischen Rechten zusammenbricht. Die Stärke dieser Bewegung kommt daher, dass sie sich im Allgemeinen als einzige politische Kraft entschieden gegen den liberalen Status quo der letzten Jahrzehnte stellt. In der Tat sind die meisten linken Kräfte, obwohl sie manchmal radikale Rhetorik verwenden, in ihrer Mehrzahl völlig darauf eingeschworen, die Mitte gegen die Rechte zu unterstützen. Das hält die Rechte nicht nur nicht auf, sondern führt auch dazu, dass die Linke mit dem zusammenbrechenden Bauwerk der liberalen Demokratie untergeht.
Verschiedene Länder befinden sich in unterschiedlichen Stadien dieses Prozesses. In den USA und in Italien ist der Rechtspopulismus bereits an der Macht. Allerdings sehen sich diese Kräfte sowohl international als auch im jeweiligen Land immer noch mit der politischen Opposition durch die Überbleibsel der vergangenen Ära konfrontiert, die ihren Handlungsspielraum einschränken, aber keine echte Herausforderung darstellen. In Britannien, Frankreich und Deutschland sind die Mitte-Regierungen von Starmer, Macron und Merz leere Hüllen, verachtet sowohl von der Rechten als auch von der Linken. Sie müssen zu immer repressiveren und bürokratischeren Mitteln greifen, um ihre Position zu behaupten. Doch mit jedem weiteren Manöver entfremden sie sich den Massen nur noch mehr und befeuern den Aufstieg der Reaktion.
Dann gibt es Länder wie Kanada, Australien und Irland, wo man glaubt, dem drohenden Trumpismus widerstehen zu können. In Kanada haben die aggressiven wirtschaftlichen Maßnahmen der USA vorübergehend die liberale Mitte gestärkt. In Irland und Australien hofft man, dass diese Inselstaaten von den großen Strömungen der Weltpolitik isoliert bleiben werden. Das Problem ist, dass diese Länder grundlegend wirtschaftlich und militärisch von den USA abhängig sind und ihre Eliten trotz all ihrer kühnen Worte doch einknicken werden. Kommunisten dürfen sich nicht in trügerischer Sicherheit wiegen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in diesen Ländern die liberale Mitte zusammenbricht.
… und der Aufstieg der Linken?
Aber wie steht es um die Linke? In vielen der oben angeführten Länder war auch ein Aufwärtstrend bei der Linken zu beobachten: Zohran Mamdanis Sieg bei der Wahl zum Bürgermeister von New York City, Catherine Connollys Wahl zur irischen Präsidentin, der Aufstieg der Grünen und von Your Party in Britannien sowie die jüngsten Streiks in Frankreich, Italien und Griechenland. Für viele bestätigen diese Entwicklungen, dass der Aufstieg der Linken dem Aufstieg der Rechten zumindest in nichts nachsteht. Leider ist diese Auffassung falsch und basiert auf einer falschen Deutung der politischen Dynamik.
Insoweit es eine Verschiebung nach links gab, fand diese überwiegend bei Teilen der liberalen Mittelschicht und unter Studenten statt. Sie wurde getragen von der Angst vor dem Aufstieg der Rechten sowie von der Empörung über den Verrat der traditionellen Liberalen an den Werten, für die sie angeblich standen. Sie beruht nicht auf einem organischen Anstieg des Bewusstseins und der Militanz der Arbeiterklasse. Im Großen und Ganzen bewegt sich die Arbeiterklasse nicht nach links, sondern bildet einen wichtigen Teil der Basis rechtspopulistischer Parteien. Andere Teile sind demoralisiert, was ebenfalls reaktionären Kräften zugutekommt. Da sich auch die herrschende Klasse nach rechts bewegt, können linke progressive Kräfte kein entscheidendes soziales Gewicht zu ihren Gunsten in die Waagschale werfen.
Darüber hinaus präsentiert sich der Großteil der Linken als die konsequentesten und militantesten Verteidiger des liberalen Imperialismus und nicht als eine Kraft, die danach strebt, die Arbeiterklasse zum Sozialismus zu führen – Catherine Connolly, die Grünen in Britannien und Die Linke in Deutschland sind typische Beispiele dafür. Selbst in der in Gründung begriffenen Your Party, die das Potenzial hat, ein radikales Programm für die Arbeiterklasse anzunehmen, sind die meisten ihrer Anhänger und Führer noch immer stark dem traditionellen britischen Liberalismus verhaftet. In all diesen Fällen besteht die Aufgabe von Sozialisten darin, für einen politischen Bruch mit dem Liberalismus und eine klare Ausrichtung auf den Aufbau von Verbindungen zur Arbeiterklasse zu kämpfen.
In den USA, mit Trump im Weißen Haus und der Demokratischen Partei im Chaos, ist die Dynamik etwas anders. Mamdanis Wahlsieg sowohl gegen MAGA als auch gegen das Establishment der Demokratischen Partei weist viele Parallelen zu linken Bewegungen in anderen Ländern auf. Es gibt jedoch mindestens zwei wesentliche Unterschiede. Erstens ist Mamdani ein Produkt des traditionellen Zweiparteiensystems des US-Imperialismus. Zwar sind viele in der Demokratischen Partei gegen ihn, er überschreitet jedoch keine roten Linien der herrschenden Klasse. Politiker wie Barack Obama haben bereits zu Mamdani Kontakt aufgenommen, um ihn unter den Einflussbereich des Establishments zu bringen. Zweitens basierte Mamdanis Wahlkampf nicht wirklich auf der Verteidigung des alten liberalen Status quo. Er stellte minimale wirtschaftliche Forderungen auf und mied größtenteils soziale Themen wie Einwanderung, Unterdrückung der Schwarzen und die Transgender-Frage. Insofern könnte Mamdani, anders als die übrig gebliebenen Politiker in Europa, einen Einblick in die Zukunft der Demokratischen Partei geben: wirtschaftlich interventionistischer und gesellschaftlich weniger liberal.
Als Wichtigstes muss man verstehen, dass Mamdani nicht von einer Welle militanter Stimmung in der New Yorker Arbeiterklasse emporgetragen wird. Die meisten Arbeiter sind terrorisiert oder demoralisiert, und einige unterstützen immer noch Trump. Vorläufig sind die Arbeiter noch überwiegend damit beschäftigt, sich über Wasser zu halten, da sich alle Aspekte ihres Lebens verschlechtern. Das gilt insbesondere für eingewanderte und schwarze Arbeiter. Zwar sind Stimmungen in der Mittelschicht und unter der studentischen Jugend wichtig, aber Marxisten wissen, dass es ohne die Unterstützung der Arbeiterklasse keine tragfähige Grundlage für radikale linke Politik geben kann. Daher muss kommunistische Arbeit in der gegenwärtigen Phase vor allem darauf abzielen, die Stimmungen in der Arbeiterklasse zu verstehen und entsprechende Interventionen zu entwickeln.
Viele werden zweifellos als Gegenargument zu obigen Ausführungen auf die jüngsten Streiks in Italien und Frankreich verweisen. Es stimmt, dass es in beiden Ländern wichtige Streikaktionstage gegeben hat – im Falle Italiens den größten seit Jahrzehnten. Doch das sind Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Grundsätzlich unterscheidet sich die Entwicklung in Italien und Frankreich nicht von der im übrigen Europa. Die Mitte zerfällt, die Rechte ist an der Macht oder auf dem Vormarsch, der Großteil der Arbeiterklasse bewegt sich nach rechts und die liberalen Mittelschichten geraten in Panik.
In Frankreich gab es beim traditionellen eintägigen Streik und Aufmarsch die radikale Agitation städtischer progressiver Mélenchon-Anhänger, „alles zu blockieren“. Aber die Linke ist nach wie vor in der Defensive. Der reaktionäre Rassemblement National ist der Macht näher denn je und die Arbeiter sind immer noch von der Niederlage im Kampf gegen die Rentenreform von 2023 gezeichnet. Vor diesem Hintergrund stärkt ultralinke Agitation für einen Generalstreik nur die Rechte und die Gewerkschaftsbürokratie, die sich als verantwortungsvolle Stabilitätsgaranten gegenüber einer realitätsfremden Linken präsentieren können.
Was Italien betrifft, so war der Generalstreik zur Verteidigung Palästinas eine Machtdemonstration. Viele Arbeiter sind jedoch verärgert darüber, dass dieselben Gewerkschaftsführer keinerlei ernsthaften Kampf gegen die Angriffe der Bosse und der Meloni-Regierung geführt haben. Außerdem scheinen die Streiks vom Oktober die politische Dynamik in Italien nicht radikal verändert zu haben, und Meloni sitzt nach wie vor fest im Sattel. Leider standen die jüngsten Mobilisierungen sowohl in Frankreich als auch in Italien in der starken syndikalistischen Tradition dieser Länder und wirken eher wie die letzten Zuckungen der alten Ordnung als wie die ersten Anzeichen eines Erwachens der Arbeiterklasse gegen die populistische Rechte.
Der Faschismus steht nicht vor der Tür
Bedeutet unsere Analyse, dass der Faschismus unmittelbar bevorsteht und unvermeidlich ist? Nein. Obwohl eifernde Borniertheit und rechtspopulistische Kräfte auf dem Vormarsch sind, ist das nicht dasselbe wie Faschismus, der aus paramilitärischen Mobilisierungen besteht, um die Arbeiterbewegung und die Unterdrückten zu zerschlagen. Rassistische Gewalt durch reaktionäre Schläger nimmt zu, äußert sich aber hauptsächlich in isolierten Vorfällen und nicht in organisierten Massenbewegungen wie im 20. Jahrhundert. Die zunehmende staatliche Repression und der Autoritarismus, wie beispielsweise die ICE-Razzien in den USA, zeigen einen gefährlichen Trend, jedoch noch nicht die physische Zerschlagung aller Formen politischer Opposition, wie sie mit einem faschistischen Regime einhergeht.
Da sich faschistische Gewalt gegen die organisierte Arbeiterbewegung sowie unterdrückte Gruppen und Minderheiten richtet, die einen Großteil des Proletariats ausmachen, wird sie auf den Widerstand der Arbeiterklasse stoßen. Am Aufstieg des Faschismus ist überhaupt nichts unvermeidlich. Bei unserer Analyse geht es nicht darum, defätistisch zu sein, sondern darauf zu bestehen, dass die Bekämpfung von Faschismus und Reaktion eine Strategie erfordert, die von den realen Bedingungen ausgeht und nicht von den Bedingungen, die wir uns wünschen würden.
Hier müssen wir jedoch unterstreichen, dass der Zusammenbruch der liberalen Mitte tatsächlich unvermeidlich ist. Keine noch so vielen Wahlmanöver oder bürokratischen Repressionsmaßnahmen werden die alte Ordnung retten. Die hysterischen Warnungen vor der Gefahr des Faschismus sind lediglich verzweifelte Versuche, die Linke hinter der Politik des Status quo zu versammeln. Wie ein Ertrinkender wird sich die liberale Mitte verzweifelt an die Linke klammern, um sich über Wasser zu halten. Die Arbeiterbewegung muss darauf reagieren, indem sie dem Liberalismus einen kräftigen Tritt versetzt, statt sich von ihm in den Abgrund ziehen zu lassen.
Die einzige wirkliche Frage für Kommunisten ist, wie schnell der Zusammenbruch des Liberalismus zum Aufstieg einer neuen revolutionären Arbeiterbewegung führen kann. Diese Entwicklung voranzutreiben muss im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen. Dazu ist es nötig, nicht länger die Rolle eines linken Anhängsels des Liberalismus zu spielen. Das erfordert jedoch auch, sich an konkreten politischen Entwicklungen zu beteiligen und nicht nur revolutionäre Parolen in den Wind zu schreien. Nur so können Marxisten mit dem Wiederaufbau ihres eigenen unabhängigen Einflusses in der Arbeiterklasse beginnen und den Einfluss der Rechten untergraben.
TEIL II: SCHOCKWELLEN AM HORIZONT
Nachdem wir nun einige der wichtigsten politischen Entwicklungstendenzen in der Weltpolitik beleuchtet haben, können wir unseren Blick auf die Zukunft richten. Die gegenwärtige Lage ist äußerst prekär. Mehrere schwelende Brandherde drohen jederzeit zu eskalieren und die globale Ordnung neu zu gestalten. Um sich in der kommenden Periode richtig orientieren zu können, ist eine Analyse dieser verschiedenen Spannungsherde, ihrer wahrscheinlichen weiteren Entwicklung und ihrer möglichen politischen Auswirkungen erforderlich.
China: Der schlafende Riese
Langfristig gesehen ist der Konflikt zwischen den USA und China die größte Quelle geopolitischer Spannungen. Allerdings scheinen sich diese vorerst noch nicht zu entladen. Der Zollkrieg zwischen den USA und China hat gezeigt, wie stark Chinas Position inzwischen ist (eine Tatsache, die in unserer jüngsten Analyse unterschätzt wurde). China dominiert nicht nur die weltweite Industrieproduktion, sondern hat auch die feste Kontrolle über seltene Erden, die für den militärisch-industriellen Komplex der USA von entscheidender Bedeutung sind. Dies zwang die USA zu einem teilweisen Rückzug in ihrem Wirtschaftskrieg gegen China und machte deutlich, dass die USA nicht in der Lage sind, einen konventionellen Krieg anzuzetteln. Die USA können und werden höchstwahrscheinlich einen Weg finden, Chinas Kontrolle über solche kritischen wirtschaftlichen Engpässe zu umgehen. Dieser Prozess wird jedoch Jahre dauern.
Wenn China darauf aus wäre, die USA zu besiegen, läge es nahe, seinen Vorteil auszuspielen und die gesamte Lieferkette der US-Streitkräfte lahmzulegen. Doch wie bereits erläutert, verfolgt die KPCh als konservative Bürokratie keine derartigen Absichten. Stattdessen hat sie sich dafür entschieden, ihre Beziehungen zu den USA durch ein einjähriges Handelsabkommen zu stabilisieren. Es wird sich zeigen, wie lange dieses Abkommen Bestand hat. In der Zwischenzeit verschafft dies den USA jedoch Zeit, Lücken in ihrer Lieferkette zu schließen, und gibt ihnen freie Hand, schwächere Länder anzugreifen – Entwicklungen, die sich in Zukunft für China durchaus rächen könnten (siehe „China: Wer nicht kämpft, verliert“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 36, Juli 2025).
Venezuela im Fadenkreuz
Am unmittelbarsten bedroht ist Venezuela, da es im Fokus eines massiven Militäraufmarschs steht. Ein ausgewachsener Krieg zwischen den USA und Venezuela würde ganz Lateinamerika erschüttern. Sollte es den USA gelingen, Präsident Maduro zu stürzen, könnte dies zu einer umfassenden politischen Neuordnung auf dem Kontinent führen, die die demokratischen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte zunichte machen und die Zeiten pro-amerikanischer rechter Militärdiktaturen zurückbringen würde. Der Sturz Maduros würde auch die Schlinge um den Hals des kubanischen Arbeiterstaats bedeutend enger ziehen.
Obwohl ein militärischer Angriff auf Venezuela, sei er begrenzt oder umfassend, durchaus möglich ist, gibt es Gründe, warum die USA dies unter Umständen vermeiden wollen. Zunächst einmal wäre ein Krieg gegen Venezuela in den USA selbst sehr unpopulär. Eine großangelegte Bodeninvasion würde mit Sicherheit auf enormen Widerstand stoßen. Ein Krieg könnte in einem weiteren Schlamassel enden, und es gibt auch keine Garantie dafür, dass er erfolgreich wäre. Eine militärische Aggression könnte leicht nach hinten losgehen und die venezolanische Bevölkerung hinter dem Regime vereinen und gleichzeitig in ganz Lateinamerika massive Opposition gegen die USA schüren.
Zweifellos hoffen gewisse Leute im Außenministerium, dass die bloße Androhung amerikanischer Feuerkraft ausreichen wird, um das Maduro-Regime zu Fall zu bringen. In den vergangenen Jahrzehnten hat das von Hugo Chávez errichtete und nun von Maduro geführte Regime die revolutionäre Energie der venezolanischen Massen gezügelt und entmutigt. Dies und die brutalen Folgen der US-Wirtschaftssanktionen haben den Rückhalt des Regimes in der Bevölkerung stetig verringert, sodass es zunehmend brüchig und repressiv wurde. Dennoch wäre eine kampflose Kapitulation des Maduro-Regimes für die Arbeiterklasse das schlimmste Szenario. Es würde den venezolanischen Gusanos einen gewaltigen Sieg bescheren, der den US-Imperialismus kaum etwas kosten und die Massen in ganz Lateinamerika zutiefst demoralisieren würde.
Wir können nicht wissen, was die USA tun werden. Leider liegt in diesem Fall die gesamte Initiative bei Trump, und es gibt kaum unmittelbare Beschränkungen für sein Handeln. Aber sobald der Geist aus der Flasche ist und ein militärischer Konflikt begonnen hat, könnten die Folgen unvorhersehbar sein und das Ergebnis könnte durchaus nicht zu Trumps Gunsten ausfallen. Was auch immer geschieht, Revolutionäre müssen standhaft für die Verteidigung Venezuelas und jedes anderen Landes eintreten, das die USA ins Visier nehmen.
Die Ukraine am Wendepunkt
Beim Krieg in der Ukraine steht die Sache völlig anders. Hier liegt die Initiative eindeutig bei Russland, und Putin hat keine Skrupel, seine Karten voll auszuspielen. Trump hat diplomatisch wild um sich geschlagen, aber die Zeit ist abgelaufen. Es gelang ihm nicht, mit Bluffs darüber hinwegzutäuschen, dass Russland gewinnt. Die jüngsten Verhandlungen haben nur bestätigt, dass der Konflikt mit Waffengewalt und nicht durch Diplomatie entschieden werden wird.
Das Tempo russischer Geländegewinne hat in den letzten zwei Jahren zugenommen, und wir stehen nun an einem wichtigen Wendepunkt in diesem Konflikt. Der Fall der Stadt Pokrowsk bedeutet nicht nur den Verlust eines wichtigen Logistikzentrums, sondern könnte auch den Zusammenbruch der gesamten Frontstellung der Ukraine im Donbass – dem Epizentrum des Krieges – einleiten. Der Fall des Donbass würde Russland den Weg für einen Vorstoß bis zum Dnjepr freimachen, der die Hauptwirtschaftsader der Ukraine darstellt. Zwar könnten der Wintereinbruch und der Widerstand der Ukraine dies noch um ein paar weitere Monate verzögern. Aber es ist klar, was die Stunde geschlagen hat, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die ukrainischen Linien unter der unerbittlichen russischen Offensive zusammenbrechen.
Die aktuellen Entwicklungen sind für die Ukraine mit katastrophalen und unersetzlichen Verlusten an Menschenleben und Ausrüstung verbunden. Zudem bereiten sie den Boden für eine schwere politische Krise in Kiew, wodurch die Kriegsanstrengungen weiter untergraben werden. Die Folgen einer Niederlage der Ukraine werden nicht nur im Land selbst zu spüren sein, sondern auch ein politisches Erdbeben in ganz Europa auslösen. Die Regierungen Deutschlands, Frankreichs und Britanniens haben enorme Mengen an militärischem, wirtschaftlichem und politischem Kapital in die Ukraine gesteckt, und ihr Zusammenbruch wird das politische Establishment bis ins Mark erschüttern. Der Schock wird auch in den USA zu spüren sein, aber Trump wird davon profitieren, dass er etwas mehr Abstand zu der ganzen Angelegenheit hat als seine europäischen Amtskollegen.
Erst nach dem militärischen Zusammenbruch der Ukraine wird die Diplomatie eine maßgeblichere Rolle spielen. Die Frage wird sein, ob sich die USA und Russland auf eine Abmachung einigen können, die zumindest die Bruchlinie zwischen dem pro-amerikanischen Block und Russland einfrieren würde, oder ob der Konflikt weitergeht. Im ersteren Fall könnte es dazu kommen, dass Europa eine reaktionäre Ordnung aufgezwungen wird, die auf einem russisch-amerikanischen Pakt basiert. Dieses Ergebnis wäre ideal für Russland, da es derzeit weder den Ehrgeiz noch das wirtschaftliche Gewicht hat, um die Vorherrschaft in Europa anzustreben. Das größte Hindernis für eine Einigung besteht darin, dass die USA nicht bereit sind, ihren Stolz zu überwinden, die Niederlage zu akzeptieren und ihren Einfluss in Osteuropa herunterzufahren. Zudem stoßen sie auf heftigen Widerstand seitens der Ukraine und der EU gegen jede substanzielle Einigung mit Russland.
Sollten die militärischen Feindseligkeiten andauern, würde dies Europa in eine äußerst instabile Lage bringen und könnte schließlich zu einer militärischen Konfrontation zwischen Russland und der NATO führen, deren Ausgang katastrophal sein könnte. Leider scheint die Möglichkeit, dass die Arbeiterklasse den Konflikt löst, derzeit aufgrund der feigen Kapitulation der Arbeiterbewegung in der Ukraine und Russland vor dem Nationalismus (die internationale sozialistische Bewegung war dabei in keiner Weise hilfreich) sehr gering. Das könnte sich unter den Schlägen einer schweren Krise schnell ändern, aber die nahe Zukunft sieht düster aus. Mehr denn je müssen Kommunisten darauf hinarbeiten, einen revolutionären Pol in der Region aufzubauen, der das Proletariat durch ein gemeinsames antiimperialistisches Programm vereint (siehe „Ukraine-Krieg: Sag mir, wo du stehst“, Spartakist Nr. 228, Frühjahr 2025).
Israel bereitet das nächste Blutbad vor
Seit dem 7. Oktober hat Israel seinen völkermörderischen Terrorfeldzug gegen die Palästinenser ununterbrochen ausgeweitet. Aufgrund der Spaltungen und des politischen Zögerns der Achse des Widerstands war es Israel möglich, die einzelnen Mitglieder der Achse separat und zu einem ihm genehmen Zeitpunkt anzugreifen. Dadurch konnte Israel seine Kriegsanstrengungen zwei Jahre lang aufrechterhalten, obwohl es sich schon übernommen hatte. Nun hat das von den USA vermittelte Waffenstillstandsabkommen Israel eine Atempause verschafft, in der es sich zweifellos auf die nächste Welle von Massakern vorbereitet.
Das Ergebnis für die Achse des Widerstands lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die Hamas hat einen schweren Schlag erlitten, sich aber behauptet, die Hisbollah agierte als Papiertiger und leckt nun ihre Wunden, der Sturz Assads endete in einer strategischen Niederlage, und die Huthis haben ihr Ansehen gesteigert. Der Iran, führender Partner der Allianz, konnte sich während des 12-tägigen Krieges mit Israel und den USA behaupten. Allerdings hat sich seine Position in der Region abgeschwächt und die internen Spannungen wachsen an.
Trotz der vom Widerstand zur Schau getragenen tapferen Miene werden sich viele Aktivisten zweifellos fragen: „War es das alles wert?“ Angesichts der Ergebnisse der letzten zwei Jahre besteht der Druck, defätistische Schlussfolgerungen zu ziehen und Zugeständnisse an die USA, Israel und die VAE zu machen. Einer solchen Haltung muss man um jeden Preis entgegentreten. Israel und die USA werden ihr Gemetzel in der Region fortsetzen, bis ihnen Einhalt geboten wird. Es gibt keine andere Wahl als Widerstand! Der aktuelle Konflikt hat genau das bestätigt, ebenso wie die Tatsache, dass Beschwichtigung und Unentschlossenheit nur zu noch größerem Gemetzel durch Israel führen. Die palästinensische Sache ist nicht nur gerecht, sondern auch eine Frage der Selbsterhaltung für die gesamte arabische Bevölkerung in Westasien.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Konflikt noch immer andauert und weiterhin Palästinenser getötet werden. Er hat lediglich an Intensität verloren und wird erneut eskalieren. Wir müssen dafür sorgen, dass dann die richtigen politischen und militärischen Lehren gezogen werden (siehe „Zerreißt den Deal!“, Spartacist-Extrablatt, 8. Oktober). Das passiert nicht von selbst; Kommunisten müssen helfen, diese Lehren zu ziehen und sie den Avantgarde-Elementen des antizionistischen Kampfes in der arabischen Welt und anderswo zu vermitteln.
Südasien im Umbruch
Südasien wird von zunehmender Instabilität erschüttert. In Sri Lanka, Bangladesch und Nepal kam es in den letzten Jahren zu Volksaufständen. Die Spannungen in Kaschmir schwelen. Erst vor ein paar Monaten führten Pakistan und Indien gegeneinander Krieg, und vor kurzem kam es zu Feindseligkeiten zwischen Afghanistan und Pakistan. Nach den Bombenanschlägen in Neu-Delhi und Islamabad nehmen die Spannungen erneut zu. Auf den verschiedenen Regierungen in der Region lasten schwer die vermehrten geopolitischen Spannungen und der imperialistische wirtschaftliche Druck. Es ist schwierig vorauszusagen, was als nächstes passieren wird. Es wird ganz sicher weitere Erschütterungen geben. Diese werden angesichts der demografischen und wirtschaftlichen Bedeutung des indischen Subkontinents mit Sicherheit erhebliche Auswirkungen auf die Weltlage haben.
Die steigenden Spannungen in Südasien sind ihrerseits weitgehend das Ergebnis eines zunehmend angespannten internationalen Kontexts. Indien, Vormacht und stabilstes Land der Region, gerät selbst zunehmend unter Druck. Die rapide Verschlechterung der Beziehungen zwischen Trump und Premierminister Modi überraschte und schockierte die politische Klasse Indiens. Viele spekulieren, dass Indien eine Annäherung an China anstreben und sich von den USA abwenden wird. Solche Vorstellungen sind nicht sehr glaubwürdig. Die indische Kapitalistenklasse ist nach wie vor eng mit dem Westen verflochten. Um diese Bindungen zu lösen, bedarf es einer viel tieferen Krise, nicht zuletzt weil die Beziehungen zwischen China und Indien historisch äußerst feindselig sind.
Angesichts der Spannungen, die die Region bedrohen, muss sich die Linke über ihre haarspalterischen historischen Debatten, in denen sie gerne schwelgt, erheben und sich darauf konzentrieren, einen gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus und die korrupten Kapitalisten zu organisieren, die ihre Länder verkaufen und ihre Völker gegeneinander aufhetzen (siehe „South Asian Powder Keg“ [Pulverfass Südasien], Spartacist, englischsprachige Ausgabe Nr. 70, Mai 2025).
Der entscheidende Faktor: die Weltwirtschaft
Für die Entwicklung der Weltpolitik ist die Weltwirtschaft der wichtigste Einzelfaktor. Sie bildet die Grundlage für alles andere, und ihre Entwicklung wird den Verlauf der Ereignisse maßgeblich bestimmen. Zwar ist es unmöglich, genau vorherzusagen, wann die nächste große Wirtschaftskrise eintreten wird, doch zweifellos steht eine solche bevor, die verheerende Folgen haben wird.
Die globale Wirtschaft hat sich nie vollständig von der Krise von 2008 erholt. Das Gesamtwachstum der Realwirtschaft war verhalten, und in den meisten Ländern stagnierte der Lebensstandard oder ging sogar zurück. Die wichtigsten das globale Wachstum stützenden Faktoren waren enorme Investitionen in Infrastruktur und Wohnungsbau in China, gigantische geld- und fiskalpolitische Konjunkturprogramme westlicher Regierungen sowie ein vor allem in den USA konzentrierter Spekulationsrausch bei Börsenkursen. Von diesen drei Faktoren existiert heute nur noch der dritte.
Die KPCh hat die Investitionsrate in die Infrastruktur gedrosselt und die Immobilienblase zum Platzen gebracht, was den Markt in eine Depression trieb. Als Reaktion darauf investiert das Regime massiv in „neue Produktivkräfte“ und drückt damit die Preise vieler Industriegüter, darunter Elektroautos und Solarmodule. Diese massiven Investitionen lösten in China eine Deflationsspirale aus und beschleunigten die Tendenz zur Deindustrialisierung in anderen Teilen der Welt. Weltweit sind eine Verlangsamung der Produktion und ein Überangebot an Industriegütern zu beobachten.
Auf der geldpolitischen Seite wiederum wurden in den meisten großen Volkswirtschaften als Reaktion auf den Inflationsanstieg nach der Covid-Pandemie die Zinssätze angehoben. Dies bedeutete einen Bruch mit den seit 2008 bestehenden extrem lockeren Kreditbedingungen. Als Folge davon verteuert sich die Kreditaufnahme zunehmend, weshalb viele Regierungen sich gedrängt fühlen, ihre Defizite zu begrenzen. Die meisten imperialistischen Länder haben derzeit eine historisch hohe Schuldenlast, die in Zukunft zu großer politischer und wirtschaftlicher Instabilität führen könnte. Diese Probleme werden durch die Bestrebungen, die Militärausgaben drastisch zu erhöhen, noch weiter verschärft.
Die Aktienblase wiederum, die vor allem den US-Markt betrifft, hat sich nach der Korrektur zu Beginn der Trump-Präsidentschaft weiter aufgebläht. Dies erlaubte es Aktienbesitzern, weiterhin auf hohem Niveau zu konsumieren. Derweil haben alle anderen immer mehr Mühe, überhaupt über die Runden zu kommen. Der massive Höhenflug von Tech-Aktien aufgrund der vermeintlichen KI-Revolution ist nach wie vor der wichtigste und zunehmend auch der einzige Treiber für Kursgewinne an den Aktienmärkten. So erreichte die Aktienbewertung des Chipentwicklers Nvidia kürzlich fünf Billionen Dollar, was bedeutet, dass das Unternehmen so viel wert ist wie die gesamte Jahresproduktion der deutschen Wirtschaft. Das ist natürlich Irrsinn. Bislang konnte die Blase weiter wachsen, indem der steigende Wert von KI-Unternehmen genutzt wurde, um mehr KI-Produkte zu kaufen, was zu einer Aufwärtsspirale bei den Bewertungen führte. Dies wird zwangsläufig in einem katastrophalen Zusammenbruch enden. Wann genau dies geschehen wird, lässt sich nicht vorhersagen. Allerdings lässt sich beobachten, dass die Zahl der Faktoren, die die Aktienblase aufrechterhalten, abnimmt. Diese ist auf den fortgesetzten Kursanstieg einer jetzt immer kleiner werdenden Zahl von Aktien angewiesen.
Wenn die Musik zu spielen aufhört, werden wir einen flüchtigen Blick auf den wahren Zustand der Weltwirtschaft und das tatsächliche wirtschaftliche Machtverhältnis zwischen den Großmächten werfen können. Zunächst einmal wird ein großer Schock wahrscheinlich nicht zu einer Steigerung der Militanz der Arbeiterklasse führen. Angst vor der Zukunft und um das eigene Überleben wird wahrscheinlich die vorherrschende Stimmung sein. Das wird es den Regierungen trotz deren wachsender Unbeliebtheit weiterhin ermöglichen, die arbeitende Bevölkerung auszupressen. Das zu erwartende wirtschaftliche Elend ist einer der Hauptgründe, warum wir darauf bestehen, dass die Arbeiterklasse eine defensive Haltung einnehmen muss (siehe „What Union Militants Should Do“ [Was Gewerkschaftsaktivisten tun sollten], Workers Vanguard Nr. 1186, August 2025).
Allerdings gibt es gewisse Grenzen, bis zu denen sich die Arbeiterklasse herumschubsen lässt, und schließlich wird sie erkennen, dass ein kollektiver Kampf notwendig ist, um zu überleben. Insbesondere wenn sich die Wirtschaft wieder erholt, könnte es zu einem massiven Anstieg von Kämpfen der Arbeiterklasse kommen.
Revolutionäre in einer reaktionären Periode
Als Kommunisten sind wir uns der Bedeutung des subjektiven Faktors bewusst, d. h. der Fähigkeit von Personen und Parteien, durch ihr Handeln die Geschichte zu gestalten. In bestimmten Momenten, wie bei der Oktoberrevolution von 1917, kann das bewusste Handeln einer revolutionären Avantgarde entscheidend sein. Aber die Rolle von Einzelnen ist nur insoweit entscheidend, wie sie sich in die Entwicklung des objektiven historischen Prozesses einfügt. Übertragen auf das Segeln: Man muss wissen, wie man ein Segel setzt, damit ein Boot gut im Wind liegt, aber ohne Wind kann man nicht segeln.
Was sollen Revolutionäre also tun, wenn der Wind des Klassenkampfs nicht in unsere Richtung weht? Das schränkt unseren direkten Einfluss auf die Massen zweifellos stark ein. Wir können die Massen nicht durch unsere eigenen subjektiven Bemühungen zum Kämpfen bringen. Das heißt aber nicht, dass wir irrelevant sind. Ganz im Gegenteil. Unter schwierigen objektiven Bedingungen ist es umso wichtiger, überlegt und bewusst zu entscheiden, wie wir unsere Kräfte einsetzen. Wir müssen zukünftige politische Entwicklungen vorhersehen und uns so positionieren, dass wir sie erfolgreich nutzen können (siehe „Die Krise der marxistischen Linken und die Aufgaben der IKL“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 36, Juli 2025).
Zweifellos wird unsere Analyse von den meisten als zu pessimistisch, ja sogar als defätistisch angesehen werden. Wir können über solche Kritiker nur die Achseln zucken. Ihr blinder Optimismus angesichts wachsender Reaktion ist eine grobe Karikatur des Marxismus. Wir orientieren uns lieber an den Erfahrungen der bolschewistischen Partei, wie sie von Trotzki beschrieben wurden:
„In diesen gewaltigen Ereignissen lernten die ‚Trotzkisten‘ den Rhythmus der Geschichte, d. h. die Dialektik des Klassenkampfes. Sie lernten auch, und, wie es scheint, bis zu einem gewissen Grade mit Erfolg, wie sie ihre subjektiven Pläne und Programme diesem objektiven Rhythmus unterzuordnen haben. Sie lernten, nicht an der Tatsache zu verzweifeln, dass die Gesetze der Geschichte weder von ihrem persönlichen Geschmack abhängen, noch ihren Moralkriterien untergeordnet sind. Sie lernten, ihre persönlichen Wünsche den Gesetzen der Geschichte unterzuordnen. Sie lernten, sich auch von den mächtigsten Feinden nicht schrecken zu lassen, wenn deren Macht im Widerspruch zu den Gesetzen der historischen Entwicklung steht. Sie verstehen es, gegen den Strom zu schwimmen in der tiefen Gewissheit, dass die neue historische Flut sie an das andere Ufer tragen wird. Nicht alle werden dieses Ufer erreichen, viele werden ertrinken. Aber an dieser Bewegung mit offenen Augen und angespanntem Willen teilnehmen – nur das kann einem denkenden Wesen die höchste moralische Befriedigung gewähren.“ (Ihre Moral und unsere, 1938)

