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Das nachfolgende Dokument wurde am 14. Juni 2022 für die Diskussion in der Internationalen Kommunistischen Liga eingereicht.

In den 30 Jahren seit der konterrevolutionären Zerstörung der DDR war der deutsche Imperialismus in der Offensive. Er ruinierte die Arbeits- und Lebensbedingungen seiner Arbeiterklasse und weitete dadurch seinen wirtschaftlichen Würgegriff über ganz Europa aus. Jetzt ist die relative politische Stabilität der postsowjetischen Periode vorbei. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben zu dramatischen Verschiebungen in der Weltlage geführt. Jede Erniedrigung im Kapitalismus hat sich dramatisch verschärft, die Welt ist zunehmend instabil und die regierende SPD verspricht nur noch mehr Entbehrungen. Diese Veränderungen haben in der Linkspartei und der pseudo-marxistischen Linken eine Krise hervorgerufen. Nachdem sie jahrzehntelang im Gleichschritt mit der Bourgeoisie marschiert sind – der Höhepunkt war ihre völlige Unterwürfigkeit gegenüber der Regierung während der Pandemie –, versuchen sie nun krampfhaft das Unmögliche, nämlich gleichzeitig pazifistisch und auf der Seite der Ukraine zu sein. Während „Frieden“ und „Stabilität“ der liberalen Ordnung zerbrechen, blickt die Linke sehnsüchtig zurück und klammert sich an die reaktionäre und aussichtslose Perspektive, zu den angeblich glorreichen Tagen der Nachkriegszeit und postsowjetischen Ära zurückzukehren.

Das kann die Arbeiterklasse nur in die Katastrophe führen. Die Ursachen der gegenwärtigen Erschütterungen des deutschen Kapitalismus liegen alle in der vorangegangenen Zeit der Stabilität. Wie die übrige sozialdemokratische Linke hat die SpAD die letzten drei Jahrzehnte damit verbracht, vor dem Liberalismus zu kapitulieren, der vorherrschenden Ideologie des deutschen Imperialismus. Um voranzugehen, ist es für die Sektion entscheidend, dass sie die materielle Grundlage der Politik und Ideologie von Deutschlands herrschender Klasse versteht, wie die Arbeiterbewegung davor kapituliert hat und wie der gegenwärtige Status quo zusammenbricht. Nur wenn wir uns diese Lehren aneignen, können wir den Bankrott des Liberalismus wirklich aufdecken und begründen, warum sich der Weg vorwärts für die Arbeiterbewegung nicht aus der Erfahrung der Sozialdemokratie in den 1960er-, 70er- oder 90er-Jahren ergibt, sondern aus der Spaltung von 1919 zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Flügel der deutschen Sozialdemokratie nach dem ersten interimperialistischen Krieg.

1. BRD: Vom antisowjetischen Frontstaat zum Musterknaben fürs „Ende der Geschichte“

Der westdeutsche Staat wurde ausdrücklich zu dem Zweck gegründet, ein Bollwerk der Amerikaner gegen die Sowjetunion zu sein. Der konterrevolutionäre und revanchistische Charakter Westdeutschlands spiegelte sich darin wider, dass sowohl die Hauptstadt als auch die Verfassung ausdrücklich provisorisch waren. Bonn sollte bis zur Rückgewinnung von ganz Berlin die Hauptstadt sein und das Grundgesetz sollte erst nach einer Wiedervereinigung Deutschlands zur Verfassung werden. Das strategische Hauptziel des deutschen Imperialismus war die Zerstörung der DDR und die Wiedervereinigung Deutschlands auf kapitalistischer Grundlage. Darum ging es immer, egal ob die Regierung eine Politik der „Konfrontation“ oder der „Entspannung“ verfolgte. Der antisowjetische Kalte Krieg war zwischen 1945 und 1989 die bestimmende politische Frage und war der Hintergrund für alle wichtigen politischen Handlungen, sei es die Gründung der EWG, die Rehabilitierung von Nazi-Funktionären, die Verfolgung von Kommunisten oder die unerschütterliche Unterstützung der USA.

Die Zerstörung der DDR, kurz darauf gefolgt von Konterrevolutionen in der Sowjetunion und in ganz Osteuropa, bedeutete, dass der deutsche Imperialismus sein unmittelbares Ziel erreicht hatte, und damit änderten sich seine Rolle und seine Ambitionen dramatisch. Da Westdeutschland bereits auf dem Kontinent wirtschaftlich dominierte, war es klar, dass die Wiedervereinigung seine Rolle als führende Macht in Europa konsolidieren würde. Im Gegensatz zu den Prognosen der IKL führte die Wiedervereinigung nicht zu einer verschärften Konfrontation zwischen den Imperialisten. In Wirklichkeit wurde sie von den USA genehmigt und überwacht. Voraussetzung für die Wiedervereinigung war, dass Deutschland in der NATO bleibt und die europäische „Integration“ weitergeht, was zur Gründung der EU und Einführung des Euro führte. Tatsache ist, dass die US-Hegemonie in Europa unangefochten blieb; sie garantierte weiterhin Stabilität durch ihr Militär, während die europäischen Imperialisten die zentrale Rolle dabei spielten, Osteuropa ökonomisch und politisch in den Westen zu „integrieren“.

Das heißt nicht, dass der deutsche Imperialismus einfach eine Marionette der USA gewesen wäre ohne eigene Handlungsfähigkeit im Weltgeschehen – ein nationalistisches Argument, das von vielen Sozialdemokraten vorgebracht wird. Deutschland ist eine Großmacht, die bereits zweimal versucht hat die Weltherrschaft zu erringen. Zwar hat Deutschland derzeit nicht die wirtschaftliche und militärische Macht, die USA direkt herauszufordern, aber im transatlantischen Bündnis hat es Spielraum zum Manövrieren und es hat auch Optionen außerhalb davon. Doch zurzeit ist die deutsche herrschende Klasse überwiegend dafür, ihre Partnerschaft mit den USA fortzusetzen, und sie akzeptiert, dass das bedeutet, die zweite Geige zu spielen. Diese Orientierung muss man im breiteren Zusammenhang mit der postsowjetischen Ordnung sehen, die Genosse Jim Robertson 1999 treffend beschrieb:

„Wir und viele andere stellen fest, dass die ‚postsowjetische Welt‘ so ähnlich wie die Zeit vor 1914 geworden ist. Ökonomisch ja – abgesehen davon, dass es für die Weltmärkte keinen Goldstandard gibt. Politisch nein – weil es keine sich herausbildenden entgegengesetzten Bündnisse der einzelnen Großmächte gibt. Vorläufig sehen wir stattdessen weiterhin eine verdrossene Hierarchie, mit den USA ganz oben an der Spitze.

Diese Betrachtungen haben erheblichen Einfluss auf das Timing eines erneuten großen Konflikts zwischen den Imperialisten (das war auch vor 1914 so).“

– „Bemerkung zur ,postsowjetischen Welt‘“, SL/U.S. IDB Nr. 65

Ein Hauptgrund für die Stabilität des postsowjetischen Europas ist seine für Deutschland äußerst vorteilhafte Konstellation. Die USA bezahlten die Militärausgaben, also konnte der deutsche Kapitalismus seine Ressourcen auf Investitionen in die Industrie und im Ausland konzentrieren. Die EU ermöglichte leichten Zugang zu neuen Märkten und billigen Arbeitskräften. Durch den Euro wurde die D-Mark künstlich abgewertet, was die Exporte in die Höhe trieb. Nachdem der deutsche Imperialismus die DDR ausgeplündert und seiner Arbeiterklasse die Daumenschrauben angezogen hatte, hatte er freie Bahn, das übrige Europa wirtschaftlich zu erdrosseln. In diesem Zusammenhang bestand die gesamte politische, wirtschaftliche und militärische Strategie Deutschlands darin, Konfrontationen zu vermeiden und die Pax Americana voll auszunutzen, die es ihm ermöglicht, Waren und Kapital relativ einfach und in einem Ausmaß, das seine militärische Macht weit übersteigt, in die ganze Welt zu exportieren.

Als sich die strategischen Interessen des deutschen Imperialismus änderten, änderte sich auch die herrschende Ideologie. In Die deutsche Ideologie erklärte Marx: „Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefassten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.“ Nachdem die herrschende Klasse ihr strategisches Ziel, „den Kommunismus zu besiegen“, erreicht hatte, passte sie die Ideologie, mit der sie ihre wirtschaftliche Vormachtstellung rechtfertigte, an die Erfordernisse ihrer neuen Politik der „friedlichen“ ökonomischen Ausplünderung an. Statt ihre früheren Verbrechen totzuschweigen, behauptete die deutsche Bourgeoisie, sie habe „aus der Geschichte gelernt“ und dass gerade die Erfahrungen zweier Weltkriege, des Holocausts und zweier Diktaturen (Nationalsozialismus und Kommunismus) Deutschland heute zur modernsten und progressivsten Demokratie der Welt machten. Das verpflichte Deutschland dazu, die Welt zum Licht der liberalen Demokratie hinzuführen. Seine neu entdeckte Mission: die frohe Botschaft von Demokratie, Pazifismus, offenen Grenzen, Freihandel, Ökologie und christlicher Nächstenliebe zu predigen.

Bürgerliche Ideologen haben unzählige selbstgefällige Abhandlungen geschrieben, dass Deutschlands herrschende Klasse ihre preußischen Pickelhauben wegen einer tiefgreifenden moralischen Erneuerung, die in der Erfahrung und dem Studium der Geschichte verankert ist, gegen den Anzug des Technokraten eingetauscht habe. Aber diese Veränderung hat ihre Ursache im Geldbeutel, nicht in den Geschichtsbüchern und Bibeltexten. Militärische und diplomatische Verwicklungen sind schlecht fürs Geschäft, wenn die eigene Strategie auf den Export von Industriegütern konzentriert ist. Grundsätzlicher noch, die deutschen Kapitalisten haben „gelernt“, ihre Ziele eher durch wirtschaftliche als durch militärische Mittel zu verfolgen, weil sie bisher eine vorteilhafte wirtschaftliche und politische Position im postsowjetischen Europa hatten. Leider kann dieser Erfolg nicht von Dauer sein, und alle Moralpredigten der Welt können nicht den Widerspruch lösen, den Henry Kissinger so treffend darstellte: „Armes altes Deutschland. Zu groß für Europa, zu klein für die Welt.“ Wer diese „Lehre der Geschichte“ vergisst, dem steht ein böses Erwachen bevor.

2. Die Unterordnung der deutschen Arbeiterbewegung unter den Liberalismus

Die Bourgeoisie von Auschwitz schwört, sie habe sich moralisch erneuert, und kleinbürgerliche Ideologen machen sich diese groteske Propaganda völlig zu eigen, aber das ist schwerer zu schlucken für diejenigen, die Opfer der Ausbeutung durch den deutschen Imperialismus waren und weiterhin sind. Für die Kapitalisten ist es von entscheidender Bedeutung, dass die deutsche Sozialdemokratie und die Pseudo-Marxisten zu ihrer neuen moralischen Mission bekehrt wurden und als die Standhaftesten überglücklich die Basisarbeit für deren liberalen Kreuzzug geleistet haben. Durch Propaganda, Klassenzusammenarbeit und Bestechung haben die deutschen Kapitalisten die Arbeiterbewegung für ihre Ziele mobilisiert. Das war ein entscheidender Aspekt des wirtschaftlichen Erfolgs und der politischen Stabilität Deutschlands im Lauf der letzten Jahrzehnte.

Als sich die strategischen Interessen der deutschen herrschenden Klasse nach 1989 änderten, änderten sich auch die Rolle und die Politik der Linken. Während des Kalten Krieges spielte die SPD loyal ihre Rolle dabei, den Antikommunismus in der Arbeiterklasse Westdeutschlands anzuführen, und sie diente als Trojanisches Pferd der Konterrevolution in der DDR. Der Rest der Arbeiterbewegung folgte der SPD in deren konterrevolutionären Fußstapfen oder kapitulierte vor dem Stalinismus (den Maoisten gelingt beides). Die Ausnahme war natürlich die SpAD, die im entscheidenden Moment gegen die kapitalistische Konterrevolution kämpfte und für die Wiedervereinigung Deutschlands durch sozialistische Revolution im Westen und politische Revolution im Osten. Die Niederlage dieser Perspektive – wofür die Führungen der Arbeiter im Osten und im Westen die zentrale Verantwortung tragen – führte zur kapitalistischen Wiedervereinigung und zur Zerstörung der Sowjetunion.

Diese Niederlage hatte für die Arbeiterbewegung katastrophale Konsequenzen. Im Osten wurde die Arbeiterklasse demoralisiert und weitgehend zerstört, und im Westen wurde sie einem unaufhörlichen Sperrfeuer von Angriffen auf ihren Lebensstandard ausgesetzt. Eine sekundäre Folge der Konterrevolution war eine Verschiebung des Schwerpunkts in der Linken, weg von der russischen Frage. Während des Kalten Krieges widerspiegelten die Spaltungen innerhalb der Arbeiterbewegung in Deutschland (sowohl zwischen Ost und West als auch innerhalb des Westens) den Konflikt zwischen zwei feindlichen deutschen Staaten mit konkurrierenden Produktionsverhältnissen. Das ist offensichtlich nicht mehr der Grund für die Spaltungen in der Arbeiterbewegung. Heute eine positive Sicht der DDR zu haben – was für viele Linke gilt – ist keine scharfe Trennlinie mehr, da die DDR als lebendige Bedrohung für den deutschen Kapitalismus beseitigt wurde. Symptomatisch für diese Veränderung ist die Linkspartei. Sie ist eine Fusion zwischen unzufriedenen linken SPD-Mitgliedern und den Überresten der stalinistischen Bürokratie. Zwar standen viele ihrer Führer während des Kalten Krieges auf entgegengesetzten Seiten, heute sind sie aber vereint durch ein gemeinsames Programm von linksliberalem sozialdemokratischem Reformismus.

Die Zerstörung der Sowjetunion und der DDR bedeutete, dass die Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten in Deutschland endgültig rückgängig gemacht wurde. Die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) 1919 stand für die Spaltung zwischen dem Programm der Reform und dem Programm der Revolution. Unter der stalinistischen Komintern blieb es bei der Spaltung, obwohl die Komintern nicht mehr das Programm der Revolution verkörperte, sondern die Außenpolitik der bürokratischen Kaste der Sowjetunion. Dass Hitler 1933 ohne jeden Widerstand der KPD an die Macht kommen konnte, war das entscheidende Zeichen dafür, dass die Partei als revolutionärer Faktor tot war. Als die KPD nach dem Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg wieder gegründet wurde, war sie entlang der gleichen Linien gespalten wie Deutschland. In Ostdeutschland wurde sie zum Hauptbestandteil der Regierungspartei. In Westdeutschland und Westberlin spielte die KPD eine Doppelrolle; einerseits war sie eine Agentur der DDR-Bürokratie, andererseits ein kleiner Bestandteil der zum deutschen Imperialismus loyalen Arbeiterbürokratie. Die Verbindung der KPD in Westdeutschland (später in DKP umbenannt) zur Oktoberrevolution – am Leben gehalten nur durch die Fördermittel, die sie von der parasitären stalinistischen Bürokratie erhielt – bedeutete, dass sie nicht mit der Sozialdemokratie versöhnt werden konnte, egal wie sehr sie vor dem deutschen Nationalismus buckelte. In der postsowjetischen Periode ist nun dieses lästige Hindernis nicht mehr im Weg, und das gibt der gesamten deutschen Arbeiterbewegung – bis hin auch zu den Überresten der stalinistischen Bürokratie – die Möglichkeit, ein gemütliches Plätzchen entlang eines Rechts-Links-Kontinuums des liberalen Reformismus einzunehmen.

Die Führung der Arbeiterbewegung in Deutschland, sei es die SPD, die Linkspartei oder die Gewerkschaftsbürokratie, hat sich voll und ganz der liberalen Orientierung verschrieben, die von der deutschen Bourgeoisie in den letzten 30 Jahren verfolgt wurde. Das war ihr neuer Schwerpunkt. Grundlage für die gesamte Perspektive dieser Organisationen ist, dass die liberale bürgerliche Demokratie und die Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg die wesentlichen Garantien dafür seien, dass sich die Katastrophen des 20. Jahrhunderts nicht wiederholen. Genau diese tödliche Illusion diente als das wichtigste Propagandawerkzeug zur Unterordnung des Proletariats unter die Interessen der Bourgeoisie. Durch die erheblichen Änderungen in der Politik des deutschen Imperialismus nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine haben sich die Konturen des deutschen Liberalismus etwas verändert, aber von seinen Grundpfeilern ist er nicht abgerückt.

Innenpolitisch wird die Verfassung von den Organisationen der Arbeiterklasse als beste Garantie gegen ein „autoritäres System“ angesehen. Im Unterschied zu Ländern wie Frankreich oder USA, wo die Verfassung oft von der Linken stark kritisiert wird, gilt in Deutschland das Grundgesetz als heilig. Tatsächlich präsentieren sich SPD, Linkspartei und Pseudo-Marxisten im Allgemeinen als die wahren Verteidiger der Verfassung. Die falschen Lehren, die diese Organisationen propagieren, sind, dass der Kampf gegen Faschismus damit beginnt, die schrittweise Aushöhlung der Demokratie in Staat und Gesellschaft zu stoppen. Faschismus wird also nicht als eine paramilitärische Mobilisierung der Kleinbourgeoisie gegen Arbeiterklasse und Minderheiten verstanden, sondern als alles, was rechts vom Merkel-Liberalismus steht. Die programmatische Schlussfolgerung ist in der Regel die Aufforderung an den Staat, gegen den rechten Flügel und die Faschisten in Staat und Gesellschaft durchzugreifen.

Die Bourgeoisie und ihre Agenten waren sehr effektiv darin, antifaschistische Stimmungen in der Arbeiterklasse für die Unterstützung „progressiver“ bürgerlicher Kräfte zu mobilisieren, um die „Rechte“ bei Wahlen zu besiegen. Diese Politik des „Kampfes gegen rechts“ war die politische Basis für zahlreiche Volksfront-Regierungen und eine wesentliche Stütze für die Stabilität des deutschen Imperialismus. Im Unterschied zu Frankreich und Spanien in den 30ern oder zu Chile in den 70ern stellten die deutschen Volksfronten der jüngeren Zeit nicht die letzte Verteidigungslinie der Bourgeoisie gegen ein aufständisches Proletariat dar, sondern waren einfach liberale Koalitionsregierungen. Daher war es für die Linke (und die SpAD) billig, sich gegen die Bildung solcher Regierungen zu stellen. Diese Opposition war immer damit verbunden, vor dem Programm des „Kampfes gegen rechts“ zu kapitulieren, das diesen Regierungen zugrunde lag. So plädierten zum Beispiel 2017 die Jusos dafür, dass die SPD den Aufstieg der AfD besser aufhalten könne, wenn sie in der Opposition ihre Glaubwürdigkeit aufpoliere. Mit ihrer Kampagne „No GroKo“ akzeptierte die SpAD diese Prämisse und fügte einfach linke Phrasen hinzu. Solche Beispiele zeigen, dass Opposition gegen die Bildung einer Volksfront im gegenwärtigen deutschen Kontext – obgleich notwendig – nicht an sich revolutionär ist. Die entscheidende Aufgabe besteht darin, das Proletariat von der Politik der Volksfront und von seiner sozialdemokratischen Führung zu brechen. Dazu ist es notwendig, konkret zu zeigen, wie der Liberalismus selbst einer der Hauptgründe für das Anwachsen der Reaktion ist und wie er jeglichen Kampf der Arbeiterklasse für ihre eigenen unabhängigen Interessen lähmt.

In der Außenpolitik präsentieren die Führer der Arbeiterbewegung die Europäische Union als den Garanten für Frieden in Europa. Sie wird nicht als ein Werkzeug des deutschen Imperialismus zur Ausbeutung gesehen, sondern als Beweis dafür, dass sich Deutschland zu einer wohlwollenden Macht gewandelt hat. Und überhaupt gehören die verräterischen Arbeiterführer zu den fanatischsten Verteidigern der EU. Sie wettern am schrillsten gegen die rechten Regierungen anderer EU-Länder – besonders jene, die vom deutschen Imperialismus unterdrückt werden –, die sich vor dem Liberalismus nicht beugen, sondern manchmal die nationale Souveränität gegen die EU zu behaupten versuchen. In Deutschland ist die Verteidigung der EU eine zentrale Säule des „Kampfes gegen rechts“. Zum Beispiel erklärte sich die SPD 2018 bereit, sich an einer weiteren GroKo zu beteiligen, mit dem ausdrücklichen Ziel, in der EU für politische Stabilität gegen rechte populistische Kräfte zu sorgen. Die Kritik an der EU von links – generell von der Linkspartei und von Pseudo-Marxisten – geht immer von den liberalen utopischen Gründungsmythen der EU aus, denen die Bourgeoisie gerecht werden soll: offene Grenzen, kein Militarismus, ein soziales Europa usw. Daher ist diese „Kritik“ nichts weiter als eine dünne liberale Fassade für ihre sozialchauvinistische Unterstützung des Hauptinstruments des deutschen Imperialismus zur Vorherrschaft über andere Länder.

Die Kampagnen der Führung der Arbeiterbewegung und der Linken für „Pazifismus“, „Demokratie“, „nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ lagen völlig auf einer Linie mit der Orientierung des deutschen Imperialismus, der gegenwärtig nicht auf die militärische Vorherrschaft ausgerichtet ist, sondern auf die wirtschaftliche Herrschaft über das einheimische und europäische Proletariat. Als die Linke über ihre Schulter blickte und bemerkte, dass die deutschen Kapitalisten die gleichen noblen Werte wie sie verkündeten, war sie überzeugt, dass dies auf ihre eigenen Bemühungen zurückzuführen war. Hoch erfreut und überzeugt, in diesem Block sei sie der Reiter und die Bourgeoisie das Pferd, entschloss sie sich, ihre Mitarbeit an dem großen liberalen Projekt des deutschen Imperialismus zu verdoppeln. Jetzt, wo die deutsche Bourgeoisie doch nicht so sehr auf Abrüstung setzt, ist die Linke fassungslos und orientierungslos.

In den letzten Jahrzehnten hat die SPD auf nationaler Ebene eine zentrale Rolle dabei gespielt, den deutschen Imperialismus zu regieren, wobei sie mit aller Macht die Arbeiterklasse im eigenen Land und in anderen Ländern massiv angegriffen hat. Generell ist die Linkspartei nur eine etwas linkere Version der SPD. Ihre Hauptfunktion ist es, bei Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse als Ventil zum Druckablassen zu dienen. Zwei Unterschiede zur SPD sind trotzdem beachtenswert. Der erste ist die Herkunft der Linkspartei, die zum Teil aus der SED kommt. Das bedeutet, egal wie sehr die Linkspartei bereit ist, vor dem bürgerlichen Liberalismus auf dem Bauch zu kriechen, sie wird von der Bourgeoisie nie als eine wirklich respektable Partei angesehen. Der andere wichtige Unterschied ist die lauwarme Opposition der Linkspartei gegen die NATO. Zwar beruht ihre Position auf solidem deutschem Liberalismus, d.h. dass man gegen Militarismus sein muss – besonders gegen den bösen amerikanischen Militarismus –, aber nun ist es so, dass sie mit der Hauptstütze des deutschen Liberalismus in Konflikt gerät: mit der militärischen Vorherrschaft der USA in Europa. In guter liberaler Gesellschaft ist der pazifistische Antiamerikanismus völlig akzeptabel, aber an der Regierung ist er nicht akzeptabel und auch dann nicht, wenn es einen wirklichen Konflikt gibt – wie der Krieg in der Ukraine anschaulich zeigt. Doch diese Differenzen sind programmatisch nicht von qualitativer Natur, und die Politik des linken Flügels der SPD überschneidet sich weitgehend mit dem rechten Flügel der Linkspartei.

Die völlige Unterordnung der Arbeiterbewegung unter die liberale Bourgeoisie ist genauso ein Faktor, der zum ökonomischen Erfolg des deutschen Imperialismus beiträgt, wie sie ihrerseits durch diesen Erfolg bedingt wird. Einfach gesagt kann es sich die deutsche Bourgeoisie leisten, für komplexe Mechanismen der Klassenzusammenarbeit zu zahlen, die es ihr ermöglicht haben, die Arbeitsbedingungen ohne größeren Konflikt in der Gesellschaft herunterzufahren. Oft stimmen die Betriebsräte und Gewerkschaften Angriffen auf die Arbeiter zu. Obwohl in der Linken viel von militantem Gewerkschaftertum die Rede ist, betrachtet die Linke allgemein die institutionalisierte Klassenzusammenarbeit wie das System der Mitbestimmung und der Gesamthafenbetriebe (GHB) in den Häfen als Errungenschaften der Arbeiterklasse.

Die durch Klassenkollaboration ermöglichte relative soziale Stabilität war für die deutschen Kapitalisten sehr profitabel und wird von den meisten als lohnenswerte Investition angesehen. Anders als einige seiner imperialistischen Rivalen hat Deutschland immer noch eine große Industriearbeiterklasse aufrechterhalten, von der eine wichtige Schicht einen relativ hohen Lebensstandard behält. Diese obere Schicht bekommt einen Teil der Superprofite der deutschen Imperialisten, während sich die Ausbeutung der unteren Schichten der Arbeiterklasse verschärft hat durch die Anwendung eines Systems von Eingruppierungen und Werkverträgen. Diese zunehmende Zersplitterung und Differenzierung in der Arbeiterklasse wurde direkt ermöglicht und beaufsichtigt von der Gewerkschaftsbürokratie, die für kurzfristige branchen-spezifische Interessen bestimmter Schichten die Interessen der gesamten Arbeiterklasse opfert. Diese direkte Korruption dient als Gleitmittel für die totale ideologische Ausrichtung der Führung der Arbeiterbewegung auf die Ziele und Interessen des deutschen Imperialismus. Dieses System von Klassenzusammenarbeit und Bestechung wird jedoch – wie das gesamte liberale Gebäude, auf dem der deutsche Imperialismus aufbaut – von genau den Elementen unterminiert, die die Quelle seiner Stärke waren.

3. Der Zusammenbruch der postsowjetischen Stabilität und die Aufgaben von Kommunisten

„Der deutsche Kapitalismus offenbart sich in der gegenwärtigen Krise aus dem entgegengesetzten Grunde [als Russland] als das schwächste Glied: er ist der fortgeschrittenste Kapitalismus unter den Bedingungen der europäischen Ausweglosigkeit. Je größer die innere dynamische Kraft der Produktivkräfte Deutschlands ist, desto mehr wird sie durch das europäische Staatensystem erdrosselt, das dem Käfig-System einer zusammengeschrumpften Provinzmenagerie gleicht. Jede Konjunkturschwankung stellt den deutschen Kapitalismus vor jene Aufgaben, die er mittels des Krieges zu lösen versucht hatte.“

– Trotzki, Was nun? (1932)

Trotz all dem Gerede über europäische Integration und Einheit ist die Wahrheit, dass keiner der Widersprüche, die in Europa zu den zwei Weltkriegen geführt haben, gelöst worden ist – und unter dem Kapitalismus können sie auch nicht gelöst werden. Die Teilung Europas im Kalten Krieg sowie die Hegemonie des US-Imperialismus ermöglichten die vorübergehende Unterdrückung der Konflikte zwischen den kapitalistischen Staaten Europas, ohne sie aber zu beseitigen. Der ständige Kampf zwischen den Imperialisten um die Neuaufteilung der Welt führt unweigerlich zum Krieg. Außerdem gibt der zersplitterte Zustand Europas – geteilt in unzählige kapitalistische Staaten mit gegensätzlichen wirtschaftlichen, politischen und nationalen Interessen – Konflikten auf dem Kontinent einen besonders explosiven Charakter. So wie die relative Macht der Vereinigten Staaten in der Welt abnimmt, werden die Spannungen innerhalb Europas zunehmen. Wie zuvor wird sich Deutschland im Auge des Wirbelsturms befinden.

Die Pax Americana war der Grundstein, auf dem der deutsche Imperialismus nach dem Krieg und insbesondere nach dem Kalten Krieg seine Vorherrschaft in Europa aufgebaut hat. Wie bereits erläutert, ermöglichte das eine relative politische Stabilität in Europa und der Welt, gewährleistete zunehmend offene Märkte für Waren und Kapital und verringerte die Ausgaben für die Bundeswehr. In diesem Zusammenhang war das transatlantische Bündnis äußerst vorteilhaft für Deutschland. Aber diese positive Dynamik beginnt sich nun umzukehren und Deutschland wird durch die Erfordernisse dieses Bündnisses zunehmend eingezwängt und eingeschränkt.

Zunächst einmal erhöht sich für Deutschland der Preis dafür, dass die USA das Sagen haben. Die Belastung durch Amerikas Konflikte wird überproportional von Deutschland geschultert. Trumps Aufkündigung des Iran-Abkommens kostete europäische Firmen eine Menge Geld, während die Amerikaner davon praktisch nicht betroffen waren. Der Konflikt in der Ukraine, in seiner früheren Version und noch mehr jetzt, wird für Deutschland sehr viel teurer als für die USA. Auch die wachsenden Spannungen mit China werden für Deutschland mit höheren Kosten verbunden sein, das auf den chinesischen Markt stärker angewiesen ist als die USA.

Obendrein werden mit der Schwächung der US-Hegemonie die Vorteile, die Deutschland durch diese hatte, verringert werden. Protektionismus und Unterbrechungen von Lieferketten nehmen zu und werden wahrscheinlich noch viel weiter anwachsen. Für eine exportorientierte Wirtschaft sind das natürlich schlechte Nachrichten. Auch die politische Instabilität in der Welt wird in den kommenden Jahren weiterhin dramatisch ansteigen, was für Deutschland bedeutet, dass es mit einem minimalen Militärbudget nicht länger davonkommen wird. Da die Kosten für das transatlantische Bündnis steigen und der Nutzen sinkt, wird der deutsche Imperialismus erneut die bekannten Zwänge spüren, die daher kommen, dass er auf der Weltbühne nicht das Sagen hat. Als führende Macht Europas wird Deutschland auf Dauer eine derart unangenehme Lage nicht hinnehmen. Deutschland wird mehr und mehr über die Option nachgrübeln, erneut um seinen Platz an der Sonne zu spielen – wohl wissend, wie hoch der Preis des Scheiterns ist.

Eine in der sozialdemokratischen Linken vorherrschende Illusion ist, dass sich Deutschland ohne größere Konsequenzen aus dem transatlantischen Bündnis zurückziehen könnte. Dadurch könne es international eine friedlichere Rolle spielen und durch eine Blockfreiheit dem geopolitischen Kreuzfeuer aus dem Weg gehen. In diesem Sinne argumentiert der langjährige SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi in seinem Bestseller Nationale Interessen: „Das Ziel Europas muss am Ende eine allianzneutrale Position sein. Wer sich selbst gegenüber einem Stärkeren nicht mehr wirkungsvoll verteidigen kann, für den ist es immer sicherer, sich nicht einzumischen in Konflikte der Größeren und sich auch nicht durch eine Allianz zu binden.“ Die DKP-Version davon spiegelt sich in ihrem Aufruf wider: „Frieden mit Russland! Raus aus der NATO!“ Obwohl im Augenblick der Krieg in der Ukraine solchen Vorschlägen eine kalte Dusche versetzt hat, zeigen sie, dass schon jetzt eine gewisse Stimmung dafür existiert, die Verbindung zum US-Imperialismus abzubrechen. Nötig waren aber zwei Weltkriege und der Kalte Krieg, bevor die USA ihre Vorherrschaft über Europa errichten konnte; zu denken, sie würden ein von Deutschland dominiertes Europa einfach ihrer Kontrolle entgleiten lassen, ist reine Naivität, und zu denken, ganz „Europa“ würde den Deutschen auf diesem Weg folgen wollen, ist pure Weltmachtarroganz. Die militärische Vormachtstellung der USA in Europa war das Einzige, was den Kontinent davon abgehalten hat, sich noch einmal zu zerfleischen. Jede tiefgehende Änderung im Charakter des transatlantischen Bündnisses wird mit Sicherheit dramatische und gewaltsame Auswirkungen haben.

Der liberal-nationalistische Mythos, der Ansichten wie den oben genannten zugrunde liegt, besagt, dass ein von Deutschland geführtes Bündnis, anders als das US-geführte, eine Friedensmacht wäre. Man möchte meinen, dass nach zwei Versuchen, Europa militärisch zu erobern, die meisten dem gegenüber misstrauisch wären, doch tatsächlich benutzen deutsche Ideologen genau diese Tatsache als das Hauptargument, um künftige militärische Abenteuer auszuschließen! Schließlich habe Deutschland „aus der Geschichte gelernt“. Herfried Münkler versucht, diesem liberalen Gesülze in seinem Buch Macht in der Mitte einen realistischen Dreh zu geben:

„Abgesehen davon, dass diese Politik das erste Mal gescheitert ist und das zweite Mal in die Katastrophe geführt hat, verfügt Deutschland heute nicht mehr über einen Überschuss an militärischer Macht, und das wird nach Lage der Dinge auch nicht mehr der Fall sein. Es kommt hinzu, dass, wie oben erläutert, der Faktorwert militärischer Macht deutlich gesunken ist. Insofern kämpfen diejenigen, die in einem fort vor einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik warnen, gegen eine Konstellation der Vergangenheit. Das heutige Deutschland ist dagegen eine zutiefst postheroische Gesellschaft (Münkler 2006: 338 ff).“

Krieg hat die Fähigkeit zu zeigen, was verrottet ist, und der Krieg in der Ukraine hat kurzerhand drei Jahrzehnte solch pazifistischer Propaganda auf den Müllhaufen der Geschichte gefegt.

Und der Linken, die tatsächlich vor dem drohenden Militarismus gewarnt hat, ist es nicht besser ergangen. Ihrer Theorie zufolge würde „nie wieder Krieg und Faschismus“ dadurch erreicht, dass man sicherstellt, dass Deutschland liberale Werte und Pazifismus hochhält. Plötzlich prallt mit dem Krieg in der Ukraine die utopische pazifistische Position, dass Waffen schlecht sind und zu Konflikten führen, gegen die liberale Position, dass die auf die EU ausgerichtete Ukraine bis an die Zähne bewaffnet werden muss gegen das autoritäre Russland. Vor die Wahl gestellt, ihre heuchlerische antiimperialistische Haltung aufzugeben oder sich gegen die offen pro-imperialistischen Agenten in der Arbeiterbewegung zu verteidigen, die in der Offensive sind, hat sich die Linke bisher für die lang bewährte Strategie entschieden, den Kopf in den Sand zu stecken. Ihre Antwort ist, durch Wiederholung der pazifistischen Losungen von gestern die Kluft kosmetisch zu flicken, unfähig zu verstehen, warum ihre Aufrufe plötzlich mit bürgerlicher Respektabilität kollidieren. Ohne starke Gegenstimme war die allgemeine Stimmung im Land zum großen Teil für die Regierungsposition der Wiederaufrüstung und der vollen militärischen Unterstützung der Ukraine. Bisher sind die verräterischen Führer der Arbeiterklasse auf wenig Gegenwind gestoßen bei ihrer Mobilisierung für den deutschen Imperialismus im Ukraine-Krieg. Aber während sich der Konflikt dahinschleppt und sich die Kosten für die Arbeiterklasse auftürmen, wird diese Einheit zwangsläufig zerbrechen.

Bei aller Wichtigkeit ist der Krieg in der Ukraine nur einer von vielen Faktoren, die den deutschen Imperialismus in seine vertraute Ecke drängen. Der Druck steigt an mehreren Fronten allmählich an. Spannungen innerhalb der EU müssen zwangsläufig erneut ausbrechen, sobald die anfängliche politische Auswirkung des Ukraine-Kriegs nachlässt und die Wirtschaftskrise wieder mit voller Wucht zuschlägt. Probleme wie die militärischen Konflikte in der Sahel-Zone, dem Nahen Osten und Libyen sowie die drohende Hungersnot in der ganzen neokolonialen Welt werden, wenn auch von den Medien weitgehend ignoriert, in Europa zwangsläufig tiefgreifende politische Auswirkungen haben. Es wird auch unmöglich sein, den negativen ökonomischen und politischen Folgen des wachsenden Konflikts zwischen den USA und China aus dem Weg zu gehen.

An der Wirtschaftsfront sieht es düster aus. Bereits vor der Pandemie, dem Anstieg der Inflation und dem Krieg in der Ukraine war die europäische Wirtschaft in schlechtem Zustand. Bei der digitalen Technologie liegt Deutschland weit hinter seinen Konkurrenten zurück. Auch die Schwerindustrie, das Herzstück seines bisherigen Erfolgs, beginnt hinterherzuhinken. Zum Beispiel versuchen deutsche Autokonzerne krampfhaft, bei der Produktion von Elektrofahrzeugen zu den Amerikanern und Chinesen aufzuschließen. Letztere haben ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland gut genutzt, um eine Reihe seiner Industrietechniken und -technologie zu kopieren. Diese erhöhte Konkurrenz findet in dem Kontext statt, dass Deutschland mehr seiner Ressourcen für das Militär bereitstellt und das bestmögliche Szenario ein niedriges Wachstum ist. Der chinesische Markt, der für die deutsche Industrie bisher die wichtigste Aussicht auf Wachstum bot, wird wettbewerbsintensiver, restriktiver und wächst nicht mehr so schnell wie zuvor. Über all dem schwebt die Bedrohung durch die Politik großer Zentralbanken während des letzten Jahrzehnts, als „Lösung für die Wirtschaftskrise“ riesige Mengen Geld in die Finanzmärkte zu pumpen. Dies taten sie während der Pandemie in noch größerem Ausmaß, um die Stilllegung der Wirtschaft wettzumachen. Früher oder später (wahrscheinlich früher) werden die so entstandenen Finanzblasen platzen. Schon wütet die Inflation, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Krise zu einem voll ausgewachsenen wirtschaftlichen Zusammenbruch entwickelt. Um mit dieser ökonomischen Situation fertig zu werden, bleibt den deutschen Kapitalisten als einzige Option, ihrer Arbeiterklasse und dem übrigen Europa die Daumenschrauben noch fester anzuziehen.

Im eigenen Land werden dadurch die normalen Mechanismen der Klassenkollaboration verschärft unter Druck geraten. Es werden weniger Brosamen verfügbar sein, um die schrumpfenden oberen Schichten der Arbeiterklasse zu bestechen, was potenziell zu einer großen Konfrontation mit dem machtvollen und gut organisierten deutschen Proletariat führt. Außerdem haben die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften dadurch, dass sie jahrzehntelang die Komplizen waren bei der Zersplitterung und verschärften Ausbeutung großer Teile der Arbeiterklasse, die Quelle ihres politischen Einflusses untergraben. Das führte bereits zu allmählich sinkenden Wahlergebnissen für SPD und Linkspartei. Und lässt ebenfalls große Teile der Arbeiterklasse unorganisiert und stark ausgebeutet. Im Zusammenhang mit einer erneuten kapitalistischen Offensive könnte sich das als eine unberechenbare und explosive Situation erweisen. Ein weiterer Faktor der politischen Instabilität ist der Ruin des Kleinbürgertums und die Pauperisierung ganzer Landstriche. Dieser Prozess läuft schon seit langem und wurde jetzt durch Pandemie und Inflation beschleunigt. Das wird Öl ins Feuer des rechten Populismus gießen. Die AfD ist am besten in der Lage, davon zu profitieren, da sie bisher die einzige wirkliche Opposition gegen den liberalen Status quo war.

Auf internationaler Ebene wird Deutschland das übrige Europa auspressen müssen als Ausgleich für seine eigenen Schwierigkeiten. Wie die Euro-Krise bereits zeigte, wird das zweifellos bei den unterdrückten Ländern Europas Widerstand hervorrufen und auch bei den anderen imperialistischen Mächten, hauptsächlich Frankreich. Aber Deutschland kann damit nur so weit gehen, bis die EU zu zerbrechen beginnt. Wenn wirtschaftliche Erpressung nicht funktioniert, wird Deutschland vor der Wahl stehen, entweder wirtschaftliche und politische Rückschläge hinzunehmen oder militärische Mittel einzusetzen, um seine Interessen durchzusetzen.

Vor der drohenden Flutwelle von wirtschaftlichem Chaos, Klassenkonflikt, Krieg und Hungersnot rennt die reformistische Linke zum Strand in der Hoffnung, sie könne die Welle überzeugen, sich friedlich zurückzuziehen. Sie hofft, mit ein bisschen ökonomischem Kampf sowie pazifistischen und antirassistischen Demonstrationen die deutsche Bourgeoisie davon überzeugen zu können, dass sie sich an ihr Bekenntnis zu Liberalismus und Klassenzusammenarbeit erinnert. Bei jedem Schlag gegen den liberalen Status quo reagierte die Linke damit, sich immer krampfhafter an die Rockschöße der vermeintlich progressiven Bourgeoisie zu klammern und dabei Veränderungen vorzuschlagen, die den Kapitalismus ein wenig besser machen könnten. Die SpAD war mitschuldig an der Propagierung solcher reformistischer Illusionen und reagierte auf die wachsende politische Unruhe und Reaktion, indem sie für eine militantere, EU-feindliche Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbürokratie eintrat.

Im direkten Gegensatz zu diesem Kurs ist es die Aufgabe von Revolutionären, den immer offensichtlicheren Bankrott des Liberalismus zu nutzen, um den Untergang des kapitalistischen Systems herbeizuführen. Im Gegensatz zu dem, was die Linke propagiert, ist die wesentliche Lehre aus den 30ern nicht, dass sich alle gegen den Faschismus vereinigen müssen. Sondern die Lehre ist, dass der deutsche Imperialismus Krieg und Faschismus brauchte, um den Druck zu durchbrechen, den einerseits sein machtvolles Proletariat ausübte und der andererseits von seinem Platz in der zweiten Reihe der imperialistischen Hierarchie herrührte. Da sich der Druck auf Deutschland erneut verschärft, wird sich die Alternative, die sich in der Vergangenheit stellte, immer deutlicher abzeichnen. Wieder wird das Proletariat vor der Frage stehen: Wird es die Macht ergreifen und dem deutschen Imperialismus ein Ende bereiten oder wird erneut die Barbarei die Antwort sein?

Die objektive Situation wird die Arbeiterklasse in Richtung Revolution drängen. Aber diese Bewegung allein wird nicht reichen. Die Geschichte zeigt, dass sich die Arbeiterklasse, um ihre Rolle als Totengräber des Kapitalismus erfüllen zu können, vom ideologischen Einfluss des Liberalismus befreien und politisch mit der Sozialdemokratie brechen muss. Genau wie es 1914 nötig gewesen wäre, muss die Arbeiterklasse ihre pro-imperialistische Führung rausschmeißen und eine neue revolutionäre Partei schmieden. Die Arbeiteravantgarde muss bewusst in Richtung dieses Kampfes geführt werden, organisiert auf dem Boden eines revolutionären Programms. Die Pflicht der SpAD ist es, mit ihren vergangenen Praktiken zu brechen und das wesentliche Gerüst dieses Programms auszuarbeiten. Sie muss die Erschütterungen in der Gesellschaft und in der Linken ausnutzen, um einen revolutionären Pol zu organisieren in Opposition zur Sozialdemokratie. Je eher ein solcher Pol errichtet werden kann und je tiefer seine politischen Grundlagen reichen, umso stärker wird die Einwirkung sein auf das Ergebnis der anstehenden Kämpfe in Deutschland und international.