https://iclfi.org/spartacist/de/36/gewerkschaften
Der nachfolgende Artikel wurde als Beitrag der IKL für das Treffen Internationaler Kräfte in Paris, Mai 2025, eingereicht.
Auf der ganzen Welt sind die Gewerkschaften nur noch ein Schatten dessen, was sie einmal waren. Überall werden sie von Verrätern geführt, die unzählige Zugeständnisse und Niederlagen zu verantworten haben. Doch trotz der dringenden Notwendigkeit einer kämpferischen Führung, die die Arbeiterklasse wirklich verteidigen kann, ist der Einfluss revolutionärer Parteien auf die Arbeiterklasse schwach und/oder schwächt sich zunehmend weiter ab.
Dieses Scheitern erklärt sich nicht durch einen einfachen Mangel an Kräften, sondern durch Weigerung oder Unfähigkeit, eine konsequente Opposition zur Gewerkschaftsbürokratie aufzubauen. Die Thesen über die Taktik des III. Weltkongresses der Komintern waren jedoch eindeutig:
„Die Kommunistische Internationale hat schon im ersten Jahre ihrer Existenz die sektiererischen Tendenzen abgelehnt, indem sie die ihr angeschlossenen Parteien – mochten sie noch so klein sein – aufforderte, sich an den Gewerkschaften zu beteiligen, um deren reaktionäre Bürokratie von innen heraus zu überwinden und die Gewerkschaften zu revolutionären Massenorganisationen des Proletariats, zu Organen seines Kampfes zu machen.“ (unsere Hervorhebung)
Wenn die so genannten revolutionären Organisationen gescheitert sind, liegt das im Wesentlichen daran, dass sie in ihrer Arbeit in der Industrie die falschen Strategien verfolgen. In dieser Hinsicht war die IKL keine Ausnahme. Aber wir für unseren Teil haben in den letzten Jahren Lehren aus unserem Scheitern gezogen.
Die folgenden Thesen beruhen auf unseren Erfahrungen mit der Intervention bei den Streikwellen, die in letzter Zeit mehrere Länder erschüttert haben, insbesondere bei Boeing in den USA. Aber ebenso wichtig sind unsere Erfahrungen in kleineren Konflikten und alltäglichen Kämpfen im Kontext zunehmender internationaler Reaktion.
Wir brauchen eine revolutionäre Strategie
Der Ausgangspunkt für revolutionäre Arbeit in der Industrie ist, dass die Arbeiterklasse ein marxistisches Programm braucht, um ihre Kämpfe anzuleiten. Ein revolutionäres Programm ist unerlässlich, unabhängig davon, ob es sich um eine reaktionäre Periode, eine Periode wirtschaftlicher Streiks oder eine Periode großer politischer Kämpfe handelt. Jedoch lehnt die Mehrheit der marxistischen Organisationen den Kampf für eine revolutionäre Führung der Gewerkschaften ausdrücklich ab.
Wenn es um Krieg geht, weiß jeder, dass eine Armee von einem Generalstab geführt werden muss, der den Feind besiegen will. Ein Oberkommando, das den Konflikt eher mäßigen als gewinnen will, wird nicht nur den Sieg erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen, sondern auch Taktiken anwenden, die die Verluste maximieren und die Gewinne minimieren.
Das Gleiche gilt für den Klassenkampf. Führungen der Arbeiterklasse, die eine Koexistenz mit dem Kapitalismus anstreben, werden in jeder Phase des Kampfes beschwichtigen. Sie maximieren Niederlagen und tun nichts, um die strategischen Interessen der Arbeiter voranzubringen. Eine revolutionäre Führung hingegen, weit davon entfernt, auf unmittelbare Gewinne zu verzichten, wendet Taktiken an, die Teilsiege maximieren und gleichzeitig die historischen Interessen der Arbeiterklasse voranbringen können.
Die Gefahr des Opportunismus
Das häufigste Problem in der Industriearbeit ist die Strategie einer Versöhnung mit der Gewerkschaftsbürokratie. In ihrer rechtesten Form nimmt diese Politik die Form einer offenen Unterstützung nicht-revolutionärer Gewerkschaftsführungen an. Diese Unterstützung wird in der Regel mit dem falschen Argument gerechtfertigt, dass eine „linke“ Führung die Arbeiter zum Kampf ermutigt.
Als Zwischenschicht, die in ihren Bestrebungen den Kapitalisten nahesteht, aber für ihren Einfluss von den Arbeitern abhängig ist, spielt die Gewerkschaftsbürokratie keine unabhängige Rolle im Klassenkampf. Die von ihr eingenommene politische Haltung spiegelt den Druck der Bourgeoisie oder der Arbeiterbasis wider. Aber im Wesentlichen versucht die Bürokratie, den Kapitalismus zu beschwichtigen. Wenn sie nach links schwenkt, dann nicht, um die Militanz der Arbeiterklasse zu fördern, sondern um sie so weit wie möglich in für die Bourgeoisie akzeptablen Bahnen zu halten.
Das bedeutet nicht, dass es nie prinzipienfest ist, eine Einheitsfront mit einem Flügel der Gewerkschaftsbürokratie zu bilden. Aber jeder temporäre Block muss auf der Grundlage einer echten Klassenlinie gebildet werden (z. B. bei einem Streik oder gegen die nationale Einheit) und darf der Bürokratie niemals eine fortschrittliche Rolle zuschreiben. Ziel eines solchen Blocks ist nicht, Feindseligkeiten einzustellen, sondern in der Aktion zu zeigen, warum ein revolutionäres Programm notwendig ist.
Linke Kritik
In vielen Fällen erfolgt die Versöhnung mit der Gewerkschaftsbürokratie in indirekter Form. Es wird scharfe Kritik an der Arbeiterführung geübt, aber diese Kritik bleibt auf der taktischen Ebene stehen und zielt nicht darauf ab, diese Verräter durch eine revolutionäre Gewerkschaftsführung zu ersetzen.
Eine solche Herangehensweise beschränkt die Rolle der Revolutionäre darauf, Druck auf die derzeitige Führung auszuüben. Druck von links kann die Bürokratie zwingen, eine militantere Haltung einzunehmen und eine entsprechende Taktik anzuwenden, oder sogar die Arbeiter dazu bringen, vorübergehend über ihre Führung hinwegzugehen. Doch solange keine grundlegend andere Strategie angeboten wird, um die sich die Elemente einer neuen Führung scharen können, ist die Bewegung dazu verdammt, in den Händen der Bürokratie zu bleiben. Aber wenn es darauf ankommt, werden die Bürokraten in der Lage sein, den Kampf zu sabotieren, ganz gleich, wie viel Druck vorher auf sie ausgeübt wurde.
Die Taktik der Gewerkschaftsführung zu kritisieren, ohne den Aufbau einer neuen Führung auf Grundlage einer revolutionären Strategie anzustreben, bedeutet, die Symptome der Krankheit zu bekämpfen, ohne die Ursache anzutasten.
Gewerkschaftsfeindliches Ultralinkstum
Eine sektiererische Politik gegenüber den Gewerkschaften ist ebenso schädlich wie eine opportunistische. Auch wenn dies meist in radikale Worte gehüllt wird, ist die praktische Folge die gleiche: Es fehlt eine Alternative zur Bürokratie.
Einige Organisationen setzen die prokapitalistische Politik der Gewerkschaftsführungen mit den Gewerkschaften selbst gleich. Damit leugnen sie, was jeder klassenbewusste Arbeiter intuitiv versteht: Selbst die reaktionärste Gewerkschaft ist ein Bollwerk gegen die Bosse und ein Sprungbrett für kollektive Aktionen. Die Folge der reaktionären ultralinken Position ist, die Arbeiter im Stich zu lassen, wenn ihre Organisation vom Staat oder den Bossen angegriffen wird, was dazu führt, dass solche „Marxisten“ in den Augen der Arbeiter jede Glaubwürdigkeit verlieren.
Radikaler Abstentionismus
Ein weniger reaktionärer, aber ebenso steriler Ausdruck sektiererischer Politik ist es, die Gewerkschaftsbürokratie mit revolutionären Worten anzuprangern, ohne irgendeine Antwort auf die konkreten Probleme der Arbeiter zu geben. Dieser Ansatz ist bestenfalls völlig steril.
Großartige Proklamationen über die Notwendigkeit der Revolution mögen einen dazu bringen, sich als großen Revolutionär zu sehen. Aber sie tragen nicht dazu bei, das Klassenbewusstsein zu fördern. Die einzige Möglichkeit, den Einfluss revolutionärer Ideen wirklich zu erhöhen, besteht darin, zu zeigen, wie zentral wichtig sie für den Fortschritt des Arbeiterkampfes sind.
Abenteurertum
Für eine Organisation, die keinen wirklichen Einfluss in einer Branche hat, ist es leicht, radikale Forderungen zu stellen, ohne den politischen Kontext oder die Hindernisse für ihre Umsetzung zu berücksichtigen. Das Ergebnis ist steril und im Allgemeinen irrelevant. Weitaus gefährlicher ist es, wenn Leute, die wirklichen Einfluss ausüben, die Arbeiter bei ungünstigen Bedingungen in die Offensive drängen.
Die praktische Konsequenz einer Kritik an der Bürokratie, die sich ausschließlich auf deren Mangel an Radikalität stützt, ist die ständige Forderung nach radikaleren Aktionen. Aber ohne ein umfassenderes revolutionäres Verständnis der politischen Situation ist das Ergebnis eine Karikatur, bei der kleine Gruppen isolierter Arbeiter in die Offensive gehen oder im Streik bleiben, obwohl sie keine Chance auf einen Sieg haben. Diese Politik demoralisiert die Avantgarde und kann zu katastrophalen Folgen führen, die weitaus schlimmer sind als eine einfache Beschwichtigungspolitik.
Eine revolutionäre Führung muss den Klassenkampf führen, sowohl in der Offensive als auch in der Defensive, und darf nicht unter allen Umständen zur Offensive aufrufen!
Ökonomismus
Der Druck der Arbeit in der Industrie neigt dazu, den politischen Horizont auf die unmittelbarsten Probleme zu verengen. Die Aufgabe von Revolutionären besteht nicht nur darin, den Arbeitern eine breitere Sicht auf ihre Unterdrückung zu vermitteln, sondern ihnen auch zu zeigen, dass ein allgemeines Verständnis der Klassenbeziehungen, des politischen Kontextes und der internationalen Bedingungen für einen erfolgreichen Kampf unerlässlich ist, egal wie bescheiden er auch sein mag.
Eine ökonomistische Konzeption der Gewerkschaftsarbeit kommt dagegen dem politischen Bewusstsein rückständiger Schichten der Arbeiterklasse entgegen. Wenn rassische Spannungen auftreten, besteht die Antwort der Ökonomisten beispielsweise darin, abstrakt für die Einheit gegen die Bosse einzutreten. Was nicht gesagt wird, ist, dass die Arbeiter ein fest begründetes Interesse daran haben, Rassenunterdrückung aktiv zu bekämpfen. Auf diese Weise versucht der Ökonomismus, die „Einheit“ nicht auf der Grundlage eines höheren Klassenbewusstseins zu bewahren, sondern auf der Grundlage des kleinsten gemeinsamen Nenners. So werden die Antagonismen, die die Arbeiter spalten, aufrechterhalten.
Minimal- und Maximalprogramm
Revolutionäre Arbeit in der Industrie ist notwendigerweise konkret. Sie muss die dringendsten Probleme angehen, mit denen die Arbeiter in ihrem täglichen Leben konfrontiert sind. Das macht diese Arbeit nicht reformistisch; die Überwindung der Hindernisse, die die Arbeiterklasse gefügig und gespalten halten, erfordert ein marxistisches Verständnis der kapitalistischen Gesellschaft.
Indem das marxistische Programm gegen die prokapitalistische Bürokratie – das Haupthindernis für Klassenbewusstsein – in die Praxis umgesetzt wird, wird die Gewerkschaftsarbeit zu revolutionärer Arbeit. Die Synthese zwischen Minimal- und Maximalprogramm wird genau dann erreicht, wenn die unmittelbaren Kämpfe des Proletariats von einer umfassenden revolutionären Konzeption geleitet werden. Die in diesem Dokument aufgelisteten Fehler haben alle den gemeinsamen Nenner, dass sie diese entscheidende Verbindung kappen.
Wie die IKL diese Grundsätze in die Praxis umsetzt, erfahrt ihr hier:
- iclfi.org/topics/de/gewerkschaften
- iclfi.org/topics/de/hafenarbeiter
- Kontakt zum Komitee in Hamburg: linktr.ee/hafkom