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Es ist noch gar nicht so lange her, dass der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) von den USA und ihren Verbündeten wegen der Masseninternierung von Uiguren und anderen Muslimen in Xinjiang Völkermord vorgeworfen wurde. Das Regime von Xi Jinping schlug zurück und verteidigte sein hartes Durchgreifen – bei dem Menschen wegen der Länge ihrer Bärte oder wegen zu inbrünstiger Gebete mit den Behörden in Konflikt geraten konnten – als notwendig für Chinas Einheit und die Verteidigung gegen separatistische „Extremisten“.

Seitdem haben die Imperialisten ihr Scheinwerferlicht weniger auf Xinjiang gerichtet. Stattdessen konzentrieren sie ihre antichinesischen Bemühungen auf die militärische Aufrüstung und den von Trumps Weißem Haus angezettelten Handelskrieg. Die chinesischen Stalinisten ihrerseits haben den Sieg über das „Spaltertum“ verkündet. Die Internierungslager, die sie als „Umerziehungs“- und „Ausbildungs“- Zentren ausgegeben haben, werden geschlossen. In Xinjiang ist scheinbar Ruhe eingekehrt, und die Regierung ermutigt sogar Touristen, die Provinz zu besuchen. Das China der Arbeiter und Bauern, das aus der Revolution von 1949 hervorgegangen ist, sei in Sicherheit, erklärt die KPCh, und der Weg zum „gemeinsamen Wohlstand“ sei frei.

Dieser „chinesische Traum“ ist eine völlige Illusion. Die Maßnahmen des Regimes in Xinjiang, die auf früheren Methoden in Tibet aufbauen, sind Teil eines ganzen Programms von Zwangssinisierung. Dies ist eine tödliche Gefahr nicht nur für Chinas Minderheiten, sondern für die Volksrepublik (VR China) überhaupt. Von den Internierungslagern bis zu den Schulen, wo der Unterricht in den Sprachen der Minderheiten abgeschafft wird, hat die KPCh-Führung ein Pulverfass aus Verbitterung und Hass unter Völkern geschaffen, die ihre Unterdrückung niemals akzeptieren werden. Das ist ein wertvolles Geschenk an die Imperialisten, die das Anliegen der Befreiung der Uiguren und Tibeter als Mittel einsetzen, um die VR China zu schwächen und zu unterwerfen.

Die marxistische Linke hat sich auf die eine oder andere Seite der von der KPCh gezogenen Linie geschlagen. Die britische Socialist Workers Party (SWP), das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI, in Deutschland Sol) und die Internationale Sozialistische Alternative (ISA, in Deutschland SAV) haben die Unterdrückung in Xinjiang verurteilt, greifen aber zur konterrevolutionären „Demokratie“ als Antwort. Andere, wie die US-amerikanische Workers World Party, die Party for Socialism and Liberation und die in Britannien ansässigen „Friends of Socialist China“, haben die Stalinisten in Beijing für den Sieg über die „terroristische“ Bedrohung bejubelt. Keine der beiden Seiten bietet eine Möglichkeit, Chinas Arbeiter, Bauern und nationale Minderheiten gegen Imperialismus und Konterrevolution zu verteidigen.

Die KPCh verkauft ihre chauvinistische Kampagne als notwendig für die innere Stabilität und die nationale Einheit gegen imperialistische Bedrohungen. Genau das Gegenteil wird erreicht. Indem die KPCh bei den Arbeitern und Bauern eine Mauer der Feindschaft zwischen den Han und den Minderheiten errichtet, spaltet sie die Bevölkerung, die gerade im Kampf gegen Imperialismus und Konterrevolution vereint sein muss. Die Aufgabe von Kommunisten ist es, eine antiimperialistische Einheit zwischen Han-Arbeitern und Chinas nationalen Minderheiten zu schmieden und auf gemeinsamer Grundlage einen Kampf zu führen zum Sturz der KPCh-Parasiten und zur Eroberung der Macht im eigenen Namen.

Zu dem Programm dafür, dessen Entwicklung mit diesem Artikel begonnen werden soll, gehört auch die Forderung nach einem unabhängigen sozialistischen Xinjiang. Damit schlagen wir keinen neuen Weg ein. Vielmehr kehren wir auf den Weg zurück, auf dem die Kommunistische Internationale zur Zeit von W. I. Lenin, und auch die frühe KPCh, vorangegangen ist und den die Vierte Internationale von Leo Trotzki fortgesetzt hat. Dies ist der notwendige Ausgangspunkt für Marxisten.

Von Lenins Internationalismus zu Stalins Chauvinismus

Dass die Bolschewiki im zaristischen „Völkergefängnis“ für die Selbstbestimmung eintraten, war entscheidend für den Erfolg der Oktoberrevolution von 1917. Das müssen selbst die härtesten Antikommunisten unter den Historikern zugeben. Was sie jedoch selten anerkennen, ist die Weiterführung dieses Kampfes in der Verfassung, mit der die UdSSR gegründet wurde. In dem 1923 verfassten und im Januar 1924 verabschiedeten Dokument wurde das Selbstbestimmungsrecht der Teilrepubliken verankert, und zwar als Teil des Kampfes für die Weltrevolution. In der Verfassung wurde erklärt,

„dass jeder Republik das Recht des freien Austritts aus der Union gesichert ist, dass der Zutritt zu der Union allen sozialistischen Sowjetrepubliken offensteht, sowohl den bestehenden als auch denen, die in Zukunft entstehen werden, dass der neue Unionsstaat eine würdige Krönung der bereits im Oktober 1917 geschaffenen Grundlagen friedlichen Zusammenlebens und brüderlicher Zusammenarbeit der Völker sein wird, dass er ein sicheres Bollwerk gegen den Weltkapitalismus und ein neuer entscheidender Schritt auf dem Wege der Vereinigung der Werktätigen aller Länder zur sozialistischen Weltrepublik der Sowjets sein wird.“

Ende 1922 hatte Lenin einen erbitterten Kampf gegen die niederträchtige Misshandlung der georgischen Bolschewiki durch J. W. Stalin und dessen Gefolgsleute in der Parteiführung geführt. Gerade wegen dieses Kampfes bestand Lenin darauf, dass in der UdSSR das Recht auf Abtrennung garantiert wird. Gleichzeitig schrieb die neue Verfassung ein hohes Maß an Zentralisierung vor, insbesondere um den Erfordernissen der sowjetischen Wirtschaft gerecht zu werden. Damit verkörperte sie einen Widerspruch zwischen der Notwendigkeit des Zentralismus und den Forderungen nach nationaler Entwicklung für die nicht-russischen Völker.

Durch Sowjetdemokratie und revolutionären Internationalismus hatten Lenins Bolschewiki die Mittel, um die aus diesem Konflikt entstehenden Streitfragen auf fortschrittliche Weise lösen zu können. Doch die Parteibürokratie unter Stalin sollte diese beiden Prinzipien bald begraben, nachdem sie seit Ende 1923 die politische Macht an sich gerissen hatte. Was dies für nationale Minderheiten bedeutete, beschrieb Trotzki in Verratene Revolution (1936), seiner Analyse der Degeneration des Arbeiterstaates. Er stellte fest: „Das Streben nach kultureller Autonomie und der Zwang zum wirtschaftlichen Zentralismus geraten daher von Zeit zu Zeit miteinander in Konflikt“, dieser Gegensatz sei aber „keineswegs unüberbrückbar“. Trotzki fuhr fort:

„Gibt es zu seiner Lösung auch keine fertige Formel und kann es eine solche auch gar nicht geben, so gibt es doch den geschmeidigen Willen der interessierten Massen selbst: nur ihre tätige Teilnahme an der Bestimmung ihres eigenen Geschicks vermag in jeder neuen Etappe den notwendigen Trennungsstrich zwischen den rechtmäßigen Anforderungen des wirtschaftlichen Zentralismus und den Lebensansprüchen der nationalen Kulturen zu ziehen. Das Unglück ist aber, dass in der UdSSR der Wille der Bevölkerung in all ihren nationalen Bestandteilen heute ganz und gar dem Willen der Bürokratie untergeordnet ist, die sowohl an die Wirtschaft wie an die Kultur vom Standpunkt der Bequemlichkeit für die Leitung und der spezifischen Interessen der herrschenden Schicht herantritt.“

Trotzki räumte ein: „Allerdings leistet die Sowjetbürokratie auf dem Gebiet der Nationalitätenpolitik wie auf dem der Wirtschaft weiterhin eine gewisse progressive Arbeit, auch wenn die dadurch entstehenden Unkosten unverhältnismäßig hoch sind.“ Dies war sicherlich der Fall in rückständigeren Gebieten wie Zentralasien, wo die Ausweitung der sowjetischen Herrschaft zu einer Blüte der nationalen Entwicklung bei Kasachen, Usbeken und anderen führte. In Uyghur Nation: Reform and Revolution on the Russia-China Frontier (Harvard University Press, 2016) dokumentiert David Brophy, wie die in diesem Gebiet lebenden Uiguren zum ersten Mal ein nationales Bewusstsein entwickelten, wobei viele von ihnen zu Kommunisten wurden. Diese Entwicklung stärkte die Verbindungen zwischen Uiguren, Kasachen und Kirgisen in der UdSSR und ihren Brüdern in Xinjiang.

Das Kernproblem blieb jedoch ungelöst. Die einzige Grundlage für die endgültige Überwindung der nationalen Spaltung und die freiwillige Verschmelzung der Völker ist die Beseitigung des Mangels. Dies erfordert den Umsturz der kapitalistischen Herrschaft auf internationaler Ebene und die Entwicklung einer globalen sozialistischen Wirtschaft. Doch von der ehemaligen UdSSR bis zum heutigen China streben die herrschenden Bürokratien einen Ausgleich mit den Imperialisten an und nicht deren Sturz, der ihre eigene privilegierte Stellung gefährden würde. Infolgedessen verwalten diese Regime den Mangel in ihrer Gesellschaft so, dass sie die jeweils dominierende Nationalität begünstigen und gleichzeitig das Beste für sich und ihre Familien herausholen.

Unter Stalin und seinen Nachfolgern verlor das in der sowjetischen Verfassung garantierte Selbstbestimmungsrecht jede Bedeutung. Neben anderen sozialen Missständen schürte der großrussische Chauvinismus der Bürokratie besonders in den baltischen Republiken der UdSSR und in Osteuropa nationale Ressentiments, die von den Imperialisten während des Kalten Krieges aufgegriffen wurden. Viele Hardliner unter den russischen Stalinisten schlossen sich ihrerseits in den späten 1980er-Jahren mit ausgesprochenen Faschisten zur „rot-braunen Koalition“ zusammen.

Um die Nationalisten auf allen Seiten zu besiegen, war eine revolutionäre Avantgarde erforderlich, die sich an die Spitze der unterdrückten nationalen Minderheiten stellt, um sie mit der Masse der sowjetischen Arbeiter in einem Kampf um die politische Macht und im gemeinsamen Kampf gegen den Imperialismus zu vereinigen. Wir, die IKL, haben uns mit dieser Frage auf unserer Achten Internationalen Konferenz im Jahr 2023 auseinandergesetzt. Wir griffen Trotzkis Forderung nach einer unabhängigen Sowjetukraine wieder auf, die er am Vorabend des Zweiten Weltkriegs aufgestellt hatte, um Unterstützer zu gewinnen für eine politische Revolution in der UdSSR und eine sozialistische Revolution in den kapitalistischen Staaten, wo Ukrainer eine nationale Minderheit sind. Das wurde von seinen Grundzügen her in einem der Konferenzdokumente der IKL auf das heutige China angewandt:

„Das programmatische Herangehen Trotzkis wird dringend benötigt für eine Intervention, die Tibeter und Uiguren mit ihrem nationalen Groll von den Reaktionären wegzubringen und zur mächtigen Strömung der proletarischen Opposition gegen die stalinistische Herrschaft hinzuführen, wobei das Eintreten für das Recht auf Selbstbestimmung ein Hebel zur politischen Revolution ist, welche die Errungenschaften der Revolution von 1949 verteidigen und ausweiten muss.“

– „Zur Verteidigung der permanenten Revolution – Für kommunistische Führung des antiimperialistischen Kampfes!“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 34, Dezember 2023 (1916)

Mit diesem Dokument korrigierten wir die seit vielen Jahren währende Entstellung der permanenten Revolution durch unsere Tendenz. In ähnlicher Weise ist die Anwendung auf China eine Korrektur unserer Artikel „Der ethnische Konflikt in Xinjiang und die Widersprüche des deformierten Arbeiterstaats China“ (Spartakist Nr. 180, November 2009) und „ ‚Freies Tibet‘: Schlachtruf für Konterrevolution in China“ (Spartakist Nr. 134, Winter 1998/99), die beide den Kampf für Selbstbestimmung als einen entscheidenden Teil des Programms für eine politische Revolution in China ablehnten.

Uigurische Nation: Fakten gegen Fiktives

China, dessen Bevölkerung zu mehr als 90 Prozent aus Han besteht, unterscheidet sich von der ehemaligen UdSSR, wo die Russen kaum die Hälfte der Bevölkerung stellten. Außerdem war China vor seiner Revolution kein schwaches imperialistisches Land, sondern ein Land, das von den Briten, Amerikanern, Japanern und anderen Mächten zerstückelt und unterjocht wurde. Die Aufgabe von nationaler Vereinigung und Befreiung vom Imperialismus, eine treibende Kraft in jeder von Chinas Revolutionen, wurde erst mit der Zerschlagung der kapitalistischen Herrschaft im Jahr 1949 erreicht. Dennoch gilt für China die gleiche Lehre wie für die Sowjetunion: Wenn Marxisten nicht die Befreiung der nationalen Minderheiten auf ihr Banner schreiben, dann werden es die Imperialisten und Reaktionäre tun.

Die Entwicklung eines marxistischen Programms für Xinjiang beginnt mit einem materialistischen Verständnis der uigurischen Frage. Im Juli 2019 veröffentlichte das Informationsbüro des Beijinger Staatsrats ein Papier mit dem Titel „Historische Angelegenheiten Xinjiang betreffend“, um sein hartes Durchgreifen zu verteidigen. Darin wird behauptet, „die verschiedenen ethnischen Gruppen in Xinjiang gehören seit langem zur chinesischen Nation“ und die uigurische Identität „entstand durch einen langen Prozess von Migration und Integration; sie gehört zur chinesischen Nation“. Dies ist reiner Betrug.

Seit es das Volk der Uiguren gibt, steht es weniger als die Hälfte dieser Zeit unter chinesischer Herrschaft. Kulturell verwurzelt in dem historisch als Turkestan bekannten Gebiet, gerieten die Uiguren unter die Kontrolle der Han-, Tang-, Yuan- (Mongolen-) und schließlich der Qing- (Mandschu-)Dynastie – mit großen Zeitabständen dazwischen –, als diese Reiche ihre größte geografische Ausdehnung erreichten. Selbst dann übte das kaiserliche China allenfalls eine schwache Kontrolle aus. Nachdem die Tang-Herrscher selbst diese im achten Jahrhundert verloren hatten, „sollte es fast genau eintausend Jahre lang keine direkte Herrschaft eines Staates in China über Xinjiang geben“ (James Millward, Eurasian Crossroads: A History of Xinjiang, Columbia University Press, 2007). Der Name – Xinjiang, d. h. Neue Grenze –, den die Qing der Region gaben, zeigt gerade, wie unchinesisch sie ist.

Seit die Revolution von 1911 die heruntergekommene Qing-Herrschaft stürzte, haben bürgerliche Nationalisten darauf bestanden, dass für Chinas Vereinigung und seine Fähigkeit, sich gegen die Imperialisten zu wehren, die Zugehörigkeit nationaler Minderheiten zu einem einzigen Staat unter Führung der „fortschrittlicheren“ Han notwendig ist. Mit einigen geringfügigen Abweichungen ist diese Vorstellung auch in der stalinistischen Ideologie verankert. Dieser Sichtweise liegt der Mythos zugrunde, dass fünf Völker – Han, Mandschu, Mongolen, Tibeter und Hui (wie alle Muslime ursprünglich genannt wurden) – eine gemeinsame Geschichte von Tausenden von Jahren haben, die auf ihre Verschmelzung zu einer einzigen Nation hindeute.

Sun Yat-sen, Gründer der bürgerlich-nationalistischen Guomindang, wollte keine andere Grenzziehung akzeptieren als die von den Qing festgelegte. Es war in Ordnung, den nationalen Minderheiten Autonomie zu gewähren. Doch als die Mongolen die Gelegenheit ergriffen, die sich ihnen durch den Sturz der Mandschu bot, um 1912 ihre Unabhängigkeit zu erklären (ebenso wie die Tibeter), rief Sun zu den Waffen, um die Rebellion niederzuschlagen, und verschärfte bald das Programm des chinesischen Nationalismus zu einem Programm der Zwangsassimilation.

Wie die KPCh han-chauvinistisch wurde

Durch die Oktoberrevolution lernten chinesische Revolutionäre, dass die Freiheit der unterdrückten Minderheiten nicht im Gegensatz zu Chinas eigener Befreiung steht. Im Gegenteil, diese Kämpfe mussten als Teile einer Weltrevolution gegen den Imperialismus miteinander verbunden werden. Diese Perspektive beflügelte die frühe KPCh unter der Führung von Chen Duxiu. Das 1922 auf dem zweiten Parteitag verabschiedete Manifest forderte „die Erreichung einer echten demokratischen Republik durch die Befreiung der Mongolei, Tibets und Sinkiangs [Xinjiangs]“ und deren freie Föderation mit China (zitiert in A Documentary History of Chinese Communism, Harvard University Press, 1966). Diese und andere demokratische Forderungen, hieß es weiter, „liegen alle im Interesse der Arbeiter, Bauern und des Kleinbürgertums und sind Voraussetzung für ihre Befreiung von ihrer gegenwärtigen Unterdrückung“.

Die KPCh wurde auf die Probe gestellt, als sowjetische Truppen 1921 in die Mongolei einmarschierten, um eine Armee der konterrevolutionären Weißen zu verfolgen, die dorthin geflohen war. Die Rote Armee verbündete sich mit der nationalistischen Mongolischen Volkspartei und schlug die Weißen in die Flucht, was zur nationalen Unabhängigkeit der Mongolei führte. Die KPCh unterstützte die sowjetische Intervention und die Loslösung der Mongolei von der chinesischen Herrschaft, gegen den entschiedenen Widerstand von Sun Yat-sen. Die Guomindang beschuldigte die KPCh später des Hochverrats, weil sie die mongolische Unabhängigkeit unterstützte.

Bis Mitte der 1930er-Jahre hielt die KPCh an der Forderung nach Selbstbestimmung fest. Im Jahr 1927 war die Zweite Chinesische Revolution durch die Truppen von Chiang Kai-shek blutig niedergeschlagen worden, eine Tragödie, die durch die Auflösung der Kommunisten in die bürgerlich-nationalistische Guomindang vorbereitet worden war. Nach dieser historischen Niederlage verwandelte sich die KPCh in eine hauptsächlich aus Bauern bestehende Guerillaarmee, die über einen Landstrich namens Jiangxi-Sowjet die Kontrolle gewann. Doch mit dem Beginn der Volksfrontpolitik der stalinistischen Komintern im Jahr 1935 änderten sich die Dinge erneut radikal. Die Kommunistischen Parteien wurden nun angewiesen, politische Bündnisse mit „fortschrittlichen“ bürgerlichen Parteien zu suchen, die sich angeblich zur Sowjetunion freundschaftlich verhielten. In China bemühte sich die KPCh pflichtgemäß um ein Bündnis mit Chiang für den Widerstand gegen die japanische Besatzung.

Für Kommunisten war es tatsächlich notwendig, eine Einheitsfront gegen die Besatzung zu bilden und der Guomindang die Führung des nationalen Befreiungskampfes zu entreißen. Doch die Politik der KPCh unter Mao Zedong war die Negation einer solchen antiimperialistischen Einheitsfront. Um die „nationale Bourgeoisie“ einzubeziehen, machte die Partei bei Enteignungen eine Ausnahme für „patriotische“ Großgrundbesitzer, ein Verrat an ihrer bäuerlichen Basis. Ebenso gab sie ihr früheres Eintreten für Selbstbestimmung auf, das zu einer Last für sie geworden war.

Trotz bisweilen gegenteiliger Äußerungen sprachen sich die chinesischen Kommunisten nun gemeinsam mit den Nationalisten der Guomindang gegen jede Abspaltung von China aus. Mao machte dies in der Schrift „Über die Koalitionsregierung“ (April 1945) deutlich, die eine Liste programmatischer Forderungen enthält, unter anderem: „die Stellung der nationalen Minderheiten im Land verbessern; allen nationalen Minderheiten das Recht auf nationale Autonomie gewähren“. In den Worten eines Experten: Für Mao wie für Sun und Chiang „galt das Prinzip der Selbstbestimmung nur für die evolutionär fitte und historisch dynamische Han-Mehrheit“ (James Leibold, Reconfiguring Chinese Nationalism: How the Qing Frontier and Its Indigenes Became Chinese, Palgrave Macmillan, 2007).

Revolution und Unterdrückung in Xinjiang

Chiang war jedoch viel mehr daran interessiert, die Kommunisten zu bekämpfen, als gegen die japanischen Besatzer vorzugehen, und nach Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg ging der Bürgerkrieg weiter. Das Ergebnis war der völlige Zusammenbruch der Guomindang, die nach Taiwan flüchtete. Aber die KPCh hielt an ihrer chauvinistischen Position fest, als sie 1949 die Macht übernahm und die Herrschaft einer stalinistischen Bürokratie einleitete, die sich dem „Sozialismus“ im eigenen Land, und nur im eigenen Land, verschrieben hatte.

Die folgende Anekdote aus Central Asia von Adeeb Khalid (Princeton University Press, 2021) sagt alles. Es geht um ein Treffen zwischen Mao und Anastas Mikojan, den Stalin geschickt hatte, im Hauptquartier der Volksbefreiungsarmee (VBA) kurz vor ihrem endgültigen Sieg. Khalid zitiert aus Mikojans eigenem Memorandum und schreibt:

„Mikojan schlug vor, die KPCh solle ‚in der nationalen Frage nicht über die Stränge schlagen, indem sie nationalen Minderheiten die Unabhängigkeit gewährt und dadurch das chinesische Staatsgebiet verkleinert‘. Er gab damit Stalins Präferenz weiter, dass die Lösung der ‚nationalen Frage‘ umfassenderen politischen Zielen untergeordnet werden sollte. Mao brauchte das nicht gesagt zu werden. ‚Mao Zedong war froh, diesen Ratschlag zu hören‘, notierte Mikojan, ‚aber man konnte an seinem Gesicht ablesen, dass er nicht die Absicht hatte, irgendjemandem die Unabhängigkeit zu geben‘.“

Innerhalb eines Jahres nach dem Einmarsch in Beijing hatte die VBA die Kontrolle über Xinjiang und Tibet übernommen. Das schuf die Grundlage für große revolutionäre Veränderungen, allerdings innerhalb der strengen Grenzen des stalinistischen Nationalismus. Die sozialen Errungenschaften für Uiguren, Kasachen, Tibeter und andere waren riesig, von massenhafter Alphabetisierung und Gesundheitsversorgung bis zur Agrarrevolution. Die KPCh förderte das Verlagswesen und die Ausbildung in den Sprachen der Minderheiten, viele dieser Sprachen wurden zum ersten Mal niedergeschrieben. Doch all diese Fortschritte wurden von Parteisekretären überwacht, die von der Zentralregierung handverlesen wurden und jede unabhängige Äußerung des Willens der Massen unterdrückten.

Das neue Regime förderte auch die massenhafte Einwanderung von Han nach Xinjiang, um das Übergewicht der nationalen Minderheiten zu verringern. Dieser Bevölkerungstransfer erfolgte hauptsächlich über das Xinjiang Produktions- und Aufbau-Korps, eine paramilitärische Organisation, die direkt der Zentralregierung unterstellt ist. Das ursprünglich aus demobilisierten VBA-Truppen bestehende Korps, das ein Fünftel des BIP von Xinjiang erwirtschaftet, ist nach wie vor überwiegend aus Han zusammengesetzt.

In der 1954 verabschiedeten Verfassung der Volksrepublik wurde der untergeordnete Status der nationalen Minderheiten festgeschrieben. Hier wurde festgelegt, dass die Innere Mongolei, Tibet und Xinjiang autonome Regionen waren und keine föderativen Republiken, wie es in der UdSSR vorgegeben war. Die Verfassung verbot zwar die Diskriminierung von Minderheiten und erklärte, dass sie ihre Sprachen frei verwenden und ihre Bräuche bewahren durften, aber sie stellte auch ganz klar: „Die national autonomen Gebiete sind unabtrennbare Bestandteile der Volksrepublik China.“

Als Deckmantel für ihren Han-Chauvinismus listete die Regierung 56 nationale und ethnische Gruppen (Minzu) auf, aus denen sich Chinas Bevölkerung zusammensetzt. Es mag ökumenisch erscheinen, dass die Stalinisten jede Minderheit, die sie finden (oder erfinden) konnten, mit den Han auf eine Stufe stellten. In Wirklichkeit war dies eine Rechtfertigung für die Ablehnung der Selbstbestimmung. Das Etikett „Minzu“ wurde allen aufgedrückt, von den Bergvölkern, die seit Jahrtausenden unter chinesischer Herrschaft standen, bis hin zu den Völkern in Xinjiang, der Inneren Mongolei und Tibet, die ihre eigenen Kulturen und gesellschaftspolitischen Systeme entwickelt hatten, also die Grundlage für ihre Selbstbestimmung. Doch als Minzu wurde ihnen nur das „Recht“ zugestanden, sich dem langen Marsch der Assimilierung an die eine, Han-dominierte, chinesische Nation anzuschließen.

Die KPCh appelliert an die tiefsitzende Sensibilität der Massen, dass jede Form von Separatismus die nationale Einigung, eine historische Errungenschaft der Revolution von 1949, zunichtemachen würde und dem imperialistischen Feind Tür und Tor öffnet. Aber gerade das Programm der Stalinisten spaltet die Massen, schwächt ihre Fähigkeit, gegen den Imperialismus zu kämpfen, und droht ständig das Land zu zerreißen. Genau das hat sich in Xinjiang abgespielt.

Das Pulverfass vollstopfen

Seit 1949 hat sich die Autonomie für die nationalen Minderheiten als ein Schwindel erwiesen und die bürokratische Faust als die Realität. Das war besonders während der Kulturrevolution der Fall, als maoistische Kader ihre Versuche, die Bevölkerung der Minderheiten zu sinisieren, als Mittel zur Zerstörung „feudalistischer“ Hindernisse darstellten. Diese Kampagne warf die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung ungemein zurück.

Nachdem die Kulturrevolution abgeflaut und Mao gestorben war, lockerte Deng Xiaoping die Maßnahmen gegen Minderheiten, um ihnen Marktreformen schmackhaft zu machen. Doch dies war nur eine Phase in der bonapartistischen Herrschaft Beijings. Die zugrundeliegenden Spannungen blieben bestehen und drohten bei der nächsten Wendung der Ereignisse aufzubrechen.

Das geschah beim Zusammenbruch der UdSSR. Die Führer der KPCh entschieden, dass sie das Schicksal ihrer sowjetischen Kollegen vermeiden könnten, wenn sie die Massen politisch knallhart im Griff behielten und durch Anhebung des Lebensstandards beschwichtigten, während sich China der Globalisierung öffnete. In den folgenden drei Jahrzehnten erlebte China tatsächlich ein explosives Wachstum. Doch diese Entwicklung verschärfte auch die sozialen Probleme. In Xinjiang konnten die wirtschaftlichen Fortschritte weder die ethnische Trennung der indigenen Bevölkerung von den ortsansässigen Han noch die tief verwurzelte Armut im südlichen, mehrheitlich muslimischen, Teil der Provinz beseitigen. Während Chinas Küstengebiete boomten, wurden Wanderarbeitern aus ärmeren Gebieten die Aufenthaltsberechtigung (Hukou) und die damit verbundenen Sozialleistungen verweigert.

Die Terroranschläge vom 11. September 2001 markierten einen wichtigen Wendepunkt. Nachdem Beijing in den 1980er-Jahren den Imperialisten durch seine Unterstützung der afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetarmee gedient hatte, schloss es sich nun dem „globalen Krieg gegen den Terror“ an und überzog Xinjiang mit einem Netz aus Unterdrückung. Hartes Durchgreifen und Gegenschlag wechselten sich ab. Während sich eine kleine Anzahl von Uiguren bewaffneten islamistischen Formationen im Nahen Osten anschloss, flohen Tausende aus Todesangst nach Europa, Türkiye und den USA. Rebiya Kadeer war eine von ihnen, eine wohlhabende uigurische Geschäftsfrau, die später den von der CIA unterstützten Uigurischen Weltkongress leitete.

In dieser Zeit kam es in Xinjiang zu zahlreichen Angriffen auf Vorposten der Polizei und andere Kontrollorgane der Zentralregierung. Die chinesischen Behörden beschuldigten hauptsächlich die Islamische Bewegung Ostturkestan, eine Gruppe, die im Geheimen agiert und der Verbindungen entweder zu al-Qaida oder zu den Taliban nachgesagt werden. Sean Roberts liefert in seinem Buch The War on the Uyghurs (Manchester University Press, 2020) reichlich Beweise dafür, dass die Angriffe unkoordiniert waren. Wie dem auch sei, einige Angriffe richteten sich – wie in solchen Situationen üblich – wahllos gegen Werktätige der Unterdrückernation. Eine besonders schwere Gräueltat war der Angriff von uigurischen Messerstechern auf einem Bahnhof in der südlichen Stadt Kunming im März 2014, bei dem etwa 30 Menschen getötet wurden.

Der Weg zur Befreiung der Uiguren führt nicht über Attacken auf die Institutionen des Arbeiterstaates. Auch nicht über wahllosen Terror gegen die Han-Bevölkerung. Die Aufgabe besteht darin, die gerechte Sache der Uiguren mit den Kämpfen der arbeitenden Massen Chinas gegen die stalinistische Bürokratie zu vereinen. Angriffe wie der Vorfall in Kunming führen dazu, dass sich die Unterdrückten gegenseitig an die Kehle gehen, und stärken dadurch die Position des KPCh-Regimes.

Tatsächlich wurde die Zerschlagung des islamischen „inneren Feindes“ zum Hauptargument von Xi Jinping, mit dem er Masseninternierungen in Xinjiang rechtfertigte. Xi brachte den Ball ins Rollen, nachdem er Präsident geworden war, als er 2014 nach Xinjiang reiste und ein hartes Durchgreifen ankündigte, bei dem es „absolut keine Gnade“ für „Terroristen“ geben würde. Die Stabilität in Xinjiang war für das Regime von größter Bedeutung. Obwohl die Provinz relativ dünn besiedelt ist, macht sie ein Sechstel von Chinas Landmasse aus und ist von zentraler Bedeutung für Ölförderung, Petrochemie und Landwirtschaft. Vor allem aber sollte Xinjiang eine wichtige logistische Drehscheibe für die Neue Seidenstraße werden, das Programm One Belt, One Road, Xis Markenzeichen.

Die Reaktion auf die „Anti-Terror-Kampagne“ war alles andere als unterwürfig. Weitere Anschläge führten zu weiteren Gegenmaßnahmen, bis Ende 2014 gab es zahlreiche weitere Todesopfer. Im Jahr 2017 startete die KPCh ihren endgültigen Versuch zur Unterdrückung muslimischer Minderheiten. Zentral dabei war die Einweisung von mehr als einer Million Uiguren, Kasachen und anderen in die Internierungslager. Das ging einher mit Freiheitsstrafen für unzählige „Extremisten“ und sogar für Menschen wie Rahile Dawut, KPCh-Mitglied und als Anthropologin anerkannt für ihre Forschungen über die Kulturgeschichte Xinjiangs. Dawut verbüßt derzeit eine lebenslange Haftstrafe wegen „Spaltertums“.

Für nationale Befreiung und Sozialismus!

Jeder kennt den Aufschrei westlicher Propagandamühlen über „Völkermord“ in Xinjiang. Bis heute prangert die Pro-KPCh-Linke jedes derartige Gerede als Lügen an, die für die imperialistische Kampagne gegen China ein gefundenes Fressen sind. Hier geht es nicht um Semantik. Natürlich lügen die kapitalistischen Mächte nach Strich und Faden, um bei ihrem Vorhaben voranzukommen. Aber Masseninternierungen waren Politik der chinesischen Regierung. Was die Apologeten der KPCh leugnen, ist der eigentliche Zweck dieser Bemühungen: die Auslöschung der nationalen Identität der Uiguren.

Und es trifft nicht nur die Uiguren. Wie in Xinjiang hat das KPCh-Regime auch in Tibet Mandarin zur Unterrichtssprache an Grundschulen gemacht, und auch die mongolische Sprache steht unter Beschuss. Tausende von Kindern wurden zwangsweise in entfernt liegende Internate gesteckt, wo sie die Sprache ihrer Eltern nicht hören. Selbst gegen die muslimischen Hui richten sich die Angriffe, wobei Moscheen geschlossen oder ihre Kuppeln und Minarette gezwungenermaßen durch einen mehr „chinesischen“ Stil ersetzt werden.

Gleichzeitig gibt es in ganz China Plakatwände, Banner und Museumsausstellungen, auf denen die ewig währende Harmonie zwischen den Völkern gefeiert wird, sowie Touristenfallen, wo man Menschen in farbenfroher einheimischer Tracht beim Tanzen und Singen zusehen kann. Die Freunde des sozialistischen Chinas berufen sich auf solche Ausstellungen, um zu behaupten, das Land sei auf dem Weg zu einer wohlhabenden und harmonischen Gesellschaft, genau wie Xi Jinping sagt. In Wirklichkeit ist das alles nur ein fadenscheiniger Deckmantel für das, was wirklich passiert: Zwangsassimilierung im Eiltempo.

Selbst die harmlosere Politik des Regimes vertieft die Spaltungen in China. Bei der Gaokao-Prüfung beispielsweise, die darüber mitentscheidet, wer an welche Universität kommt, werden an Minderheiten Extrapunkte vergeben. Manche führen dies als Beweis dafür an, dass Uiguren und Tibeter nicht unterdrückt werden. Tatsächlich dient diese Politik demselben Zweck wie die Internierungslager, da die KPCh in den Universitäten ein Mittel zur Assimilierung an die Han-Nation sieht. Dennoch hat diese Politik bei Han-Jugendlichen enormen Unmut hervorgerufen. Angesichts des wirtschaftlichen Abschwungs in China, der zu einer großen Zahl von arbeitslosen Hochschulabsolventen geführt hat, ist ein Abschluss an einer Spitzenuniversität die beste Chance auf einen guten Arbeitsplatz. So werden Uiguren und Tibeter zu Sündenböcken für die Knappheit an Ressourcen, während Regierungsbürokraten und Profiteure die Hauptschuldigen sind.

Die Stalinisten glauben, dass sie sich mit ihrem harten Durchgreifen in Xinjiang sozialen Frieden haben erkaufen können. Aber sie haben mit Katzengold gehandelt. Wie Trotzki über Stalins Apparat bemerkte, „verteidigt er mit seinen Methoden die proletarische Diktatur; aber diese Methoden sind derart, dass sie einen morgigen Sieg des Feindes erleichtern“ (Die 4. Internationale und die UdSSR, „Die Klassennatur des Sowjetstaates“, 1. Oktober 1933). Er erklärte:

„Die sozialen Antagonismen werden nicht politisch überwunden, sondern administrativ unterdrückt. Sie häufen sich unter dem Druck in demselben Maße, in dem die politischen Hilfsquellen für ihre normale Lösung schwinden. Die erste größere soziale Erschütterung, von außen oder innen her, kann die atomisierte Sowjetgesellschaft in Bürgerkriegszustand versetzen.“

Es gibt viele potenzielle Ursachen für solche Erschütterungen. Die hartnäckige Krise auf dem chinesischen Wohnungsmarkt, die zunehmend instabile Weltlage und der Handelskrieg der USA bedrohen das Wirtschaftswachstum, auf das die KPCh zählt, um die Bevölkerung bei der Stange zu halten. Hinzu kommt noch der steigende militärische Druck durch die Imperialisten unter Führung der USA.

Die Antwort der Stalinisten ist kein revolutionärer Aufruf zu den Waffen, sondern eine verschärfte Erzwingung von „Stabilität“ im Inland und ein Werben um Handelspartner im Ausland. Das kann nur weiterer Nährboden für eine Krise sein, auch wegen nationaler Anliegen, die derzeit durch die drakonischen Maßnahmen der KPCh unterdrückt werden. Die revolutionäre Antwort besteht darin, das Proletariat mit einem Programm zu mobilisieren, das die Verteidigung nationaler Minderheiten mit solchen Forderungen verbindet, die den Bedürfnissen der Arbeiter und Bauern Chinas entsprechen, von Arbeitsplätzen für die Jugend bis hin zu menschenwürdigen, bezahlbaren Wohnungen und guten Sozialleistungen.

Das ist kein Wunschtraum. Die eigenen Erfahrungen der Arbeiter zeigen, dass die Unterdrückung von Minderheiten auch sie selbst trifft. Wie die Pandemie gezeigt hat, ist die Überwachung der Bürger auf Schritt und Tritt, die in Tibet und Xinjiang ihren Anfang nahm, nun zum Schreckgespenst der gesamten Bevölkerung geworden. Wie sehr sich diese Situation gegen die Bürokratie wenden kann, zeigte sich im November 2022, als es überall in China zu Protesten gegen die Lockdowns kam. Sie begannen in Xinjiangs Hauptstadt Ürümqi, nachdem bei einem Brand in einem Wohnhaus zehn Menschen aufgrund der strengen Lockdownmaßnahmen gegen Covid-19 ums Leben gekommen waren. Bei den Demonstranten in Ürümqi handelte es sich hauptsächlich um Han, weil die Uiguren durch die Repression zu eingeschüchtert waren, um auf die Straße zu gehen. Wären die Proteste jedoch weitergegangen, hätten sich dabei leicht beide Bevölkerungsgruppen gegen die Bürokratie vereinigen können.

Angesichts der Kampagne der KPCh, die nationale Identität der Uiguren auszulöschen, reicht es nicht aus, nur ihr Recht auf Selbstbestimmung – d. h. das Recht auf einen eigenen Staat – zu unterstützen. Als Teil eines Übergangsprogramms, das die Werktätigen aller Ethnien in einem Kampf für die politische Revolution vereinen kann, fordern wir ein unabhängiges sozialistisches Xinjiang. Hier sind Elemente eines solchen Programms:

  • Freiheit für Rahile Dawut und alle anderen, die wegen „Spaltertums“ unter Anklage stehen!
  • Reißt die Überwachungskameras ab!
  • Stellt das Recht auf Bildung in der jeweiligen Landessprache wieder her!
  • Keine Strafverfolgung wegen Religionsausübung!
  • Volles Aufenthaltsrecht für Wanderarbeiter! Weg mit dem diskriminierenden Hukou!
  • Für integrierte Arbeiter- und Nachbarschaftsräte sowie Milizen unter ihrer Kontrolle!
  • Für Arbeiterkontrolle über die Produktion, von den Fabriken und Ölfeldern bis zu den landwirtschaftlichen Betrieben für Tomaten und Baumwolle!
  • Verteidigt das verstaatlichte Eigentum! Enteignet die Bourgeoisie, in Hongkong und auf dem Festland! Verteidigt China gegen Imperialismus und Konterrevolution!
  • Unabhängigkeit für ein sozialistisches Xinjiang! Für ein China, in dem Arbeiter- und Bauernräte das Sagen haben und nicht KPCh-Parasiten! Für kommunistische Einheit gegen den Imperialismus!

China verteidigen, KPCh-Herrschaft ablehnen!

Ein revolutionäres Programm für Xinjiang muss auf der Verteidigung der Errungenschaften der Revolution von 1949 aufbauen und auf dem Widerstand gegen alle Unabhängigkeitskräfte, die den Arbeiterstaat zerschlagen wollen. Der Großteil der internationalen marxistischen Linken versagt bei diesem Test auf ganzer Linie und kapituliert vor der Ideologie des liberalen Imperialismus, dass China eine kapitalistische und imperialistische Macht ist. (Für eine ausführliche Behandlung dieser Frage siehe „Nicht imperialistisch, nicht kapitalistisch – Der Klassencharakter Chinas“, Spartacist, deutschsprachige Ausgabe Nr. 35, Dezember 2024).

Manche Linke, wie die Alliance for Workers’ Liberty (Britanniens „Foreign Office Socialists“), treten für einen „demokratischen“ Imperialismus als Antwort auf die Unterdrückung der Uiguren und Tibeter ein. Der Sieg dieses Programms würde nichts gegen deren Unterdrückung erreichen, sondern eine soziale Katastrophe auslösen mit dem Ergebnis, jahrzehntelangen materiellen Fortschritt zunichtezumachen, blutige interethnische Kriege zu entfesseln und China für die Plünderung durch ausländische Mächte zu zerstückeln.

Etwas differenzierter sind die SWP und die International Marxist Tendency, jetzt die Revolutionäre Kommunistische Internationale (RKI). Auf dem Höhepunkt der Unterdrückungsmaßnahmen in Xinjiang schrieben beide Organisationen Artikel, in denen sie vor den Machenschaften der USA warnten, antichinesische Sanktionen ablehnten und die Han-Arbeiter dazu aufriefen, nationale Minderheiten zu verteidigen und sich mit ihnen gegen die KPCh zu vereinigen („China, the Uyghurs and the Left“, International Socialism, veröffentlicht am 23. Oktober 2021; „Uyghurs in Xinjiang: National Oppression and Imperialist Hypocrisy“, In Defence of Marxism, 20. Oktober 2020).

Das sind notwendige Aufgaben. Aber die SWP, RKI, ISA und andere prangern China als imperialistisch an, lehnen seine Verteidigung gegen die wirklichen Imperialisten ab und stellen sich auf die Seite von „Demokratie“-Bewegungen, die den Arbeiterstaat stürzen wollen. Damit verraten sie die einzige Grundlage dafür, die Werktätigen der Han und der Minderheiten über ihr gemeinsames Interesse zu vereinigen, nämlich die Notwendigkeit, die Errungenschaften der Revolution von 1949 gegen Imperialismus und Konterrevolution zu verteidigen und auszuweiten.

Der andere Pol auf der Linken sind die politischen Nachfahren der „Freunde der Sowjetunion“, die Trotzki in Verratene Revolution an den Pranger stellte. Ihre Antwort auf die imperialistischen Machenschaften gegen China besteht darin, ein Minus zu setzen, wo die Sozialdemokraten ein Plus setzen, und umgekehrt. Die Workers World Party ist besonders schamlos, wenn sie die „Berufsausbildungszentren“ der KPCh preist und zu dem Schluss kommt, dass „die politische und religiöse Gewalt in Xinjiang jetzt fast beseitigt ist und Xinjiang auf dem besten Weg ist, das übrige Land wirtschaftlich einzuholen“ (Workers World, 16. Januar 2024).

Von der Liga für die Vierte Internationale (LVI, in Deutschland IG) kommen die gleichen falschen Töne, aber ein bisschen sotto voce. In ihrer einzigen inhaltlichen Stellungnahme zu den Uiguren posaunt sie, „offizielle Maßnahmen wurden ergriffen als Reaktion auf eine Reihe von mörderischen Angriffen ... durch islamistische Kräfte, die in Verbindung stehen mit der Islamischen Bewegung Ostturkestan“, welche „sogar von der EU, der UNO und den USA als terroristische Organisation bezeichnet wird“ („U.S. Anti-China War Provocations over Taiwan“, The Internationalist, September 2022). Gnädigerweise gibt die LVI zu, dass in Xinjiang der Han-Chauvinismus „zum Ausdruck gekommen ist“, wettert aber, dass „die Lüge vom ‚Völkermord an den Uiguren‘ “ nur ein imperialistischer Schlachtruf ist und ein „Vorwand, um den Separatismus in Xinjiang zu schüren und der Region wirtschaftlichen Schaden zuzufügen“.

Es wäre ein Leichtes, die LVI dafür anzuprangern, dass sie ihren Kopf in den Sand von Xinjiang steckt, aber das hieße, ihr wahres Verbrechen zu übersehen. Von den Lockdowns gegen Covid bis zur militärischen Aufrüstung gegen China propagiert die LVI, sich bei der Verteidigung des Arbeiterstaates und beim Widerstand gegen den Imperialismus auf die Stalinisten zu verlassen, anstatt das Proletariat unabhängig für diese Aufgaben zu mobilisieren. Das erklärt die Vorliebe der LVI für Chinas Lockdowns und auch, warum sie sich weder für die Selbstbestimmung der Uiguren und Tibeter noch für irgendetwas anderes einsetzt, das die „nationale Einheit“ unter der KPCh bedrohen würde.

Solche „Freunde Chinas“ bestärken das vom stalinistischen Regime eingeflößte Bewusstsein, Xinjiangs Unabhängigkeit könne nur den Imperialisten dienen, die darauf aus sind, China zu zerreißen. Man kann davon ausgehen, dass diese Überzeugung von der Masse der Arbeiter in China geteilt wird, die zwar die Bürokratie verabscheuen, aber denken, dass sie das Einzige ist, was der Konterrevolution und dem Chaos im Wege steht. Trotzki lieferte die Lösung für dieses Problem, indem er für eine unabhängige Sowjetukraine eintrat:

„Aber würde das nicht eine militärische Schwächung der UdSSR bedeuten? werden die ‚Freunde‘ des Kreml entsetzt ausrufen. Wir erwidern: die Ursache der Schwächung der UdSSR liegt in den stets wachsenden Zentrifugaltendenzen, die die bonapartistische Diktatur erzeugte. Im Falle eines Krieges kann der Hass der Massen gegenüber der herrschenden Clique zum Zusammenbruch aller sozialen Errungenschaften des Oktober führen. Die Quelle der defätistischen Stimmungen liegt im Kreml. Eine unabhängige Sowjetukraine andererseits würde, allein schon auf Grund ihrer eigenen Interessen, ein mächtiges Bollwerk für die UdSSR im Südwesten bedeuten. Je eher die heutige bonapartistische Kaste geschwächt, gestürzt, vernichtet und hinweggefegt wird, desto stärker wird die Verteidigung der Sowjetrepublik werden und desto sicherer ihre sozialistische Zukunft sein.“

– „Das ukrainische Problem“ (22. April 1939)

Ein marxistischer Ansatz für Tibet

Dieses programmatische Herangehen ist für Tibet genauso lebensnotwendig wie für Xinjiang, auch wenn sich beide in ihrer Geschichte und ihrer Gesellschaftsstruktur stark unterscheiden. Wie die Muslime in Xinjiang erlebten auch die Tibeter als Teil der Volksrepublik historische Fortschritte. Und das, obwohl die KPCh nach dem Einmarsch der VBA in Tibet neun Jahre lang an der im Wesentlichen feudalistischen Lamakratie festhielt. Nach Einführung äußerst bescheidener Reformen kam es dann 1959 zu einem reaktionären Aufstand. Der weitgehend von der amerikanischen CIA organisierte Aufstand wurde niedergeschlagen, woraufhin der Dalai Lama und seine Clique nach Indien flohen. Das KPCh-Regime schaffte daraufhin die Verwaltung des Dalai Lama ab, ebenso die lokale Sklaverei und die Steuerzahlungen an die Klöster, die den Tibetern aufgezwungen waren.

Dennoch, wie bereits erwähnt, litten sowohl die Tibeter als auch die Muslime in Xinjiang unter der von der KPCh durchgesetzten Vorherrschaft der Han. Wie bei Xinjiang lehnt die KPCh jede Abtrennung Tibets von der VR China kategorisch ab und verstärkt dabei das Vorurteil, dass nationale Minderheiten einfach zu rückständig sind, um außerhalb des Reichs der VR China gesellschaftlich voranzukommen.

Hier kommt der Anti-Internationalismus der KPCh kristallklar zum Ausdruck. Niemand, der bei klarem Verstand ist, würde auf den Gedanken kommen, dass ein von wirtschaftlich entwickelten Volkswirtschaften isoliertes Tibet irgendeine fortschrittliche Zukunft haben könnte. Aber die Verweigerung der nationalen Rechte der Tibeter dient nur dazu, die Beziehungen zu den Han-Massen Chinas zu vergiften und den Imperialisten die Eroberung der „Herzen und Köpfe“ zu ermöglichen bei deren Kampagnen gegen die VR China. Die Antwort ist der Kampf für ein unabhängiges sozialistisches Tibet in einem antiimperialistischen Bündnis mit dem chinesischen Arbeiterstaat. Diese Forderung muss Teil eines revolutionären Programms für das heutige China sein.

Es gibt weitere Aspekte der nationalen Frage in China, die aufgegriffen werden müssen. Einer davon betrifft die Mongolen. Obwohl sie nur ein Sechstel der Bevölkerung der Inneren Mongolei ausmachen, haben sie in den letzten Jahren entschlossene Proteste durchgeführt, um das Recht auf Ausbildung in ihrer Sprache zu fordern. Neben der Verteidigung dieser Rechte stellt sich auch die Frage der Teilung der Mongolei in zwei Staaten. Trotzkisten sollten die Wiedervereinigung der Mongolei durch eine politische Revolution in China und eine soziale Revolution in der Äußeren Mongolei als Perspektive anbieten. Diese Frage braucht sicher mehr Diskussionen. Das Wesentliche ist, alle solche Probleme im programmatischen Rahmen des Marxismus zu behandeln.

Das internationalistische Banner

China ist an einem kritischen Punkt angelangt. Beim Versuch, ihre Kastenherrschaft und ihre Privilegien aufrechtzuerhalten, während die Welt von Krise zu Krise taumelt, bemüht sich die KPCh, die Disziplin der nationalen Einheit durchzusetzen und gleichzeitig das globale Finanzkapital zur „Win-win“-Kooperation aufzurufen und auf wankelmütige bürgerliche Verbündete im Globalen Süden zu bauen. Mit dieser Strategie droht dem Arbeiterstaat der Tod.

Das Eintreten für den Kampf um Selbstbestimmung gegen den Han-Chauvinismus der KPCh ist nur einer der Schritte zur Herausbildung eines trotzkistischen Kaders, der eine revolutionäre Alternative zu Machtmissbrauch und Misswirtschaft der Stalinisten bieten kann. Was wir anzubieten haben, ist die Kontinuität mit der frühen Komintern, mit den ersten chinesischen Kommunisten und mit den bolschewistischen Kadern, die das Turkestan-Büro in Taschkent gründeten, um die Oktoberrevolution auf den Osten auszuweiten.

Die Existenz einer leninistischen Avantgarde, die das Proletariat Chinas für die tibetischen, uigurischen und mongolischen Massen mobilisiert, hätte enorme Auswirkungen auf Nepal und den Rest des indischen Subkontinents; auf die ehemaligen sowjetischen Staaten Zentralasiens; auf die Mongolei und weiter bis ins russische Sibirien. Um die antiimperialistischen Kämpfer gegen das defätistische KPCh-Programm von Nationalismus und globaler Klassenzusammenarbeit zu polarisieren, stellen wir diesem eine trotzkistische Perspektive entgegen: Für einen Verbund aus Arbeiterstaaten auf der Seidenstraße zu einem sozialistischen Eurasien! Die IKL lädt alle Revolutionäre der Arbeiterklasse ein, sich uns auf diesem Marsch anzuschließen.