https://iclfi.org/pubs/spk/225/internationalistischegruppe
Der nachfolgende Artikel erschien zuerst im Spartacist, englischsprachige Ausgabe Nr. 67, August 2022. Als die Polemik gegen die IG zum Krieg in der Ukraine im Spartacist veröffentlicht wurde, befand sich die IG in einem Widerspruch. Sie trat in dem Konflikt für revolutionären Defätismus ein, aber ihre tatsächliche Praxis lief dieser formal korrekten Position zuwider. Genau das enthüllt unser Artikel. Inzwischen hat die IG ihren Widerspruch aufgelöst. Leider ging sie aber nicht zu einer wahrhaft revolutionären Position über, sondern zur offen reaktionären Position, Russland im Krieg zu unterstützen.
In einem Artikel vom 22. Oktober behauptet die IG, Russland führe einen nationalen Verteidigungskrieg gegen die Imperialisten. Ihnen zufolge geht es in dem Konflikt jetzt nicht mehr darum, wer die Ukraine beherrscht – die Russen oder die imperialistischen Mächte von NATO/EU –, sondern darum, dass die Imperialisten versuchen, „Russland zu besiegen ... und zu zerstückeln, um es zu zerstören“ (internationalist.org). Die IG zieht bei dieser Position alle Register, sie geht soweit, die Aufgaben von Kommunisten in Bezug auf Russlands „militärische Spezialoperation“ (MSO) mit Trotzkis Opposition gegen die imperialistische Vergewaltigung Chinas durch Japan und die Invasion Äthiopiens durch Italien gleichzusetzen. Wie rechtfertigt die IG diese absurde Position? Sie argumentiert, die Unterstützung der NATO für die Ukraine habe ein solches Ausmaß angenommen, bei dem „Quantität in Qualität umschlägt“ und „die ukrainische Armee in Wirklichkeit eine Erweiterung der NATO geworden ist“.
Der erste Kontakt mit der Realität zerschmettert diese Argumente. Tatsächlich ist es recht offensichtlich, dass sich seit dem Ausbruch des Krieges nichts Grundlegendes geändert hat. Schon seit 2014 ist die Ukraine ein Stellvertreter für die Imperialisten. Direkt bei Ausbruch des Konflikts überschwemmten imperialistische Waffen die Ukraine und militärische Operationen wurden durchweg mit der NATO koordiniert. Die IG führt endlose Details an über dieses oder jenes Waffensystem, über Reden, über militärische Kooperationen, um zu „beweisen“, dass die ukrainische Offensive im September einen qualitativen Wechsel darstelle. Aber werden wir doch konkret. Was würde im gegenwärtigen Kontext ein Sieg Russlands bedeuten? Ebenso wie schon im Februar würde es die nationale Unterdrückung der Ukrainer durch Russland mit sich bringen. Und ein Sieg der Ukraine? Das würde die „Freiheit“ der Imperialisten bedeuten, die Ukraine auszuplündern und russische Minderheiten innerhalb der ukrainischen Grenzen zu unterdrücken. Um es nochmal zu sagen: genau das gleiche Ergebnis wie zu Beginn des Krieges.
Eine „Zerstörung“ und „Zerstückelung“ Russlands stellt sich ganz einfach im gegenwärtigen Kontext nicht, egal wie erfolgreich ukrainische Streitkräfte auf dem Schlachtfeld sind. Es würde zu einer realen Frage erst werden durch eine riesige Eskalation seitens der Imperialisten, wodurch es zu direkter militärischer Konfrontation mit den russischen Streitkräften käme. Wenn das passiert, wird es nicht notwendig sein, obskure diplomatische Erklärungen oder Verteidigungsabkommen zu durchforsten, um zu verstehen, dass sich der Charakter des Konflikts geändert hat. Das wird dann sehr klar sein und dann wird sich die Verteidigung Russlands stellen.
Das zentrale Problem bei der Position der IG ist jedoch nicht ihre fehlerhafte Analyse, sondern es sind die reaktionären programmatischen Schlussfolgerungen daraus. Der IG zufolge müssen ukrainische Arbeiter für den Sieg Russlands kämpfen und Russlands Vordringen auf ukrainisches Gebiet unterstützen, d. h. für ihre eigene nationale Unterdrückung kämpfen. Und die russische Arbeiterklasse? Sie soll für die Unterstützung des Krieges mobilisieren und die russische herrschende Klasse dafür angreifen, dass sie keinen totalen Krieg in der Ukraine führt. Anstatt die fortgeschrittensten russischen Arbeiter zu organisieren – diejenigen, die sich gegen die räuberischen Ziele ihrer herrschenden Klasse in der Ukraine stellen –, verstärkt die Position der IG die extrem russisch-chauvinistischen Stimmen, die Putin dafür kritisieren, nicht genug Ressourcen in den Krieg gesteckt zu haben.
Eine trotzkistische Haltung in einem gegebenen Krieg einzunehmen bedeutet nicht einfach, sich gegen jegliche Seite zu stellen, die von den Imperialisten unterstützt wird. Ausgangspunkt bei der Frage muss der Kampf für internationale sozialistische Revolutionen sein. Die Position der IG ist ein Hindernis dafür, die russische und die ukrainische Arbeiterklasse für ein revolutionäres Ergebnis des Konflikts zu mobilisieren. Diese Position ist ebenso entgegengesetzt dazu, sozialistische Revolutionen im Rest der Welt voranzubringen. In vom Imperialismus unterdrückten Ländern verstärkt sie die Illusion, dass alles, was gegen die Interessen der USA getan wird, notwendigerweise progressiv sei, sogar reaktionäre Militärinterventionen wie die MSO Russlands. In den imperialistischen Ländern unterminiert diese Position grundlegend das Argument dafür, sich gegen die Ziele und Aktionen von NATO und EU im Krieg zu stellen. Zum Beispiel wird das Argument der IG, warum Arbeiter sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine stellen sollen, nicht mit den wahren Verbrechen der Imperialisten begründet, sondern mit der krass falschen Behauptung, die nationale Souveränität Russlands werde angegriffen. Sei es in der Ukraine, in Russland oder anderswo in der Welt, die Position der IG treibt keinen Keil zwischen das objektive Interesse der Arbeiterklasse und das sozialchauvinistische Programm ihrer Führung. Stattdessen ist das Ergebnis in jedem Fall, die Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Bourgeoisie zu verfestigen.
Wir können nur darüber spekulieren, was die IG veranlasste, ihre Position zu ändern. Eins ist sicher: Dieser Linienwechsel wurde nicht hervorgerufen durch eine „qualitative“ Änderung der Situation in der Ukraine. Es liegt uns fern, zu vermuten, dass die bescheidene Polemik, die wir im Sommer schrieben, die IG beeinflusst haben mag, eine konsequentere Position einzunehmen. Doch bemerken wir, dass der Linienänderungs-Artikel der IG gerade viele der Fragen anspricht, über die wir die IG in unserer jüngsten Ausgabe des Spartacist kritisiert haben, jedoch wird nie auf unsere Argumente geantwortet. Aber das ist sicher ein Zufall.
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Im gegenwärtigen Krieg zwischen Russland und der Ukraine tritt die Internationale Kommunistische Liga für revolutionären Defätismus ein und ruft dazu auf, „diesen Krieg zwischen zwei Kapitalistenklassen in einen Bürgerkrieg zu verwandeln, in dem die Arbeiter beide Kapitalistenklassen stürzen“ (siehe Spartakist Nr. 224, Frühjahr 2022). Eine der wenigen anderen Organisationen, die dieselbe Linie zu haben scheinen, ist die Internationalistische Gruppe (IG). In ihrer Erklärung vom 28. Februar verkündet sie, dass sie „zum revolutionären Defätismus auf beiden Seiten in diesem reaktionären nationalistischen Krieg auf[ruft]“. Weiter heißt es dort:
Die meisten Leser haben vielleicht einen Grund dafür, zu denken, dass die IKL und die IG dieselbe Position vertreten und dass beide durch ihr Festhalten am revolutionären Defätismus in der Tradition des Bolschewismus stehen. Doch auch wenn die IG vielleicht behauptet, für „revolutionären Defätismus“ einzutreten, ist es in Wirklichkeit so, dass sie den Leninismus seines revolutionären Inhalts beraubt und in der Praxis den Kampf für einen revolutionären Ausgang des Krieges ablehnt. Um dies eindeutig zu erkennen, muss man zunächst verstehen, was das leninistische Programm gegen den Imperialismus ist und worin revolutionärer Defätismus in der heutigen Situation wirklich besteht.
Revolutionärer Defätismus war das Programm, für das Lenin und die Bolschewiki während des Ersten Weltkriegs kämpften im Gegensatz zu den Führern der Zweiten Internationale, die das Proletariat verraten und im Krieg ihre „eigene“ Bourgeoisie unterstützt haben. Die Bolschewiki erklärten, dass 1.) echte Revolutionäre im Krieg für die Niederlage der „eigenen“ Regierung eintreten und darauf hinarbeiten müssen, diesen reaktionären Krieg zwischen Nationen in einen revolutionären Bürgerkrieg gegen die Kapitalisten zu verwandeln; 2.) die Zweite Internationale tot ist, zerstört durch den Chauvinismus, und eine neue, revolutionäre Internationale auf der Grundlage des revolutionären Marxismus aufgebaut werden muss; und 3.) Revolutionäre, um dies zu erreichen, für die Spaltung von den offenen Unterstützern der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung – den Sozialchauvinisten – und auch gegen die Opportunisten und Zentristen kämpfen müssen, die eine „marxistische“ Ausdrucksweise benutzten, um die Einheit mit den Sozialchauvinisten zu erhalten und das Proletariat mit reformistischen, pazifistischen und anderen nicht-revolutionären Lösungen zu täuschen.
Dieses Programm war von zentraler Bedeutung für alle Aktivitäten Lenins bis zur Oktoberrevolution, durch die diese Perspektive in die Tat umgesetzt wurde. In einem seiner allerersten Artikel nach Kriegsbeginn fasste Lenin die Perspektive der Bolschewiki zusammen:
Das Programm der IKL im gegenwärtigen Krieg entspringt direkt dieser Perspektive. Der Krieg in der Ukraine ist kein imperialistischer Krieg, sondern ein regionaler Konflikt zwischen zwei nicht-imperialistischen Kapitalistenklassen, bei dem es darum geht, welche Gangsterbande in Zukunft die Ukraine ausplündert. Auf der einen Seite kämpft die ukrainische Regierung dafür, das Land zum Sklaven der Imperialisten von EU und NATO zu machen. Auf der anderen Seite kämpft die russische Bourgeoisie dafür, sich die Ukraine wieder untertan zu machen. In einem solchen Krieg ist es kriminell, wenn das Proletariat für den Sieg der einen Gangsterbande über die andere eintritt, und revolutionäre Kommunisten müssen – genau wie Lenin – dafür kämpfen, diesen Krieg zwischen Kapitalisten in einen revolutionären Bürgerkrieg gegen alle Unterdrücker zu verwandeln. Deshalb ruft die IKL die ukrainischen und russischen Arbeiter und Soldaten dazu auf, sich zu verbrüdern und ihre Gewehre gegen ihre Herrscher zu richten.
Zwar sind die imperialistischen Mächte von NATO und EU – die USA, Britannien, Deutschland und Frankreich – vor Ort nicht gegen Russland militärisch aktiv, doch durch diesen Krieg stellt sich die dringende Notwendigkeit, diese Räuber zu stürzen, die mit ihrer Plünderung Osteuropas und ihrem Kriegskurs gegen Russland diesen Konflikt provoziert haben und die Welt mit nuklearer Vernichtung bedrohen. Aber die Führung der Arbeiterbewegung in den imperialistischen Zentren hat die räuberischen Ziele der Imperialisten uneingeschränkt übernommen und entwaffnet die Arbeiterklasse durch ihre Mobilisierung für NATO und EU. Aus diesem Grund ist es unmöglich, den Imperialismus zu bekämpfen, ohne einen unerbittlichen Kampf gegen diejenigen in der Arbeiterbewegung zu führen, die versuchen, die Interessen des Proletariats mit den Interessen ihrer „eigenen“ imperialistischen Ausbeuter zu versöhnen.
Daher ist die Aufgabe, für die Lenin 1914 eintrat, auch heute noch genauso dringlich: Revolutionäre müssen dafür kämpfen, das Proletariat von seinen verräterischen Irreführern zu spalten, um eine revolutionäre internationalistische Partei zu schmieden. Genau dies zeichnet im gegenwärtigen Krieg einen Revolutionär aus. Und genau dies unterscheidet echte Revolutionäre von Zentristen, die bereit sind, alles am Marxismus zu akzeptieren, nur nicht seinen revolutionären Inhalt, seine revolutionären Methoden und die Erziehung der Arbeiterklasse.
Die IG gehört zu dieser zentristischen Strömung, die behauptet, für revolutionären Defätismus zu sein, die aber in der Praxis alle seine revolutionären Schlussfolgerungen ablehnt. Lenin sagte oft, dass in der Politik diejenigen, die Worten und Absichten mehr Glauben schenken als Taten und Handlungen, hoffnungslose Dummköpfe sind. Die IG behauptet, für die Revolution zu kämpfen, daher muss man, um den nicht-revolutionären Charakter ihres Programms vollständig zu begreifen, darauf achten, was sie tut.
Radikal-liberaler Journalismus kontra revolutionärer Marxismus
Ein kurzer Blick auf die Propaganda der IG zum Krieg zeigt deutlich, dass die ganze Perspektive und der gesamte Inhalt ihrer Intervention darin bestehen, durch eine marxistisch angehauchte Variante von liberalem Journalismus diejenigen zu verwirren, die Revolutionäre sein wollen. Seit der oben zitierten Erklärung vom 28. Februar hat die IG einige Artikel zur Ukraine veröffentlicht, darunter einen „Bericht aus Deutschland“, der die rassistische Ungleichbehandlung von dunkelhäutigen und weißen Flüchtlingen aus der Ukraine dokumentiert („Imperialist Racism and the Russia-Ukraine War“ [Imperialistischer Rassismus und der russisch-ukrainische Krieg], 19. März) und zwei lange, pompöse Artikel, die dokumentieren, wie sehr die ukrainische Armee und Regierung von Faschisten durchsetzt sind („The Truth About Ukraine’s Fascist Infestation“ [Die Wahrheit über die faschistische Verseuchung der Ukraine], 4. April, und „Question Answered: Who Was Behind the 2014 Maidan Massacre?“ [Antwort auf die Frage: Wer steckte hinter dem Maidan-Massaker von 2014?], 10. April). So stellt sich die IG „revolutionäre“ Arbeit im aktuellen Krieg vor: radikal-liberaler investigativer Journalismus über Themen, die in der liberalen bürgerlichen Presse schon tausendmal besser dokumentiert wurden.
Revolutionäre haben die Pflicht, den Arbeitern und Jugendlichen den wahren Charakter dieses Krieges zu verdeutlichen, um den Kampf für die sozialistische Revolution dadurch weiter voranzutreiben, dass sie jeden reformistischen, pazifistischen und pro-imperialistischen Betrug entlarven. Die Arbeiter sollten die Ukraine in diesem Krieg nicht unterstützen, aber nicht deshalb, weil es in ihren Truppen faschistische Elemente gibt oder (wie schockierend!) die imperialistischen Verbündeten von Selenskyj rassistisch gegenüber dunkelhäutigen Flüchtlingen sind, sondern weil die ukrainische Regierung dafür kämpft, die Ukraine zum Sklaven der Imperialisten zu machen. Mit einer Auseinandersetzung über diese entscheidende Frage würde man die kleinbürgerlichen, EU-freundlichen Liberalen in den USA und Deutschland, denen die IG sich anbiedert, unweigerlich abstoßen; also geht man ihr einfach aus dem Weg, indem man ausführliche Artikel über das Asow-Bataillon, den Faschismus und die rassistische Migrationspolitik schreibt.
Alle Spielarten von Linksliberalen haben kein Problem damit, lang und breit über die Diskriminierung von Flüchtlingen oder über den Faschismus in der Ukraine zu reden, während sie gleichzeitig die Kriegsziele der Imperialisten in der Region unterstützen. Liberale regen sich über diese Fragen auf, weil diese einen Schandfleck für den ansonsten „edlen“ Kriegskurs der „demokratischen“ imperialistischen Räuber darstellen. Die Motivation dieser Liberalen ist also nicht ein Hass auf ihre „eigenen“ imperialistischen Schlächter, sondern ihr Wunsch, deren Kriegsforderungen überzeugender und weniger heuchlerisch erscheinen zu lassen. Die IG trägt nur dazu bei, diesem reaktionären Liberalismus einen „marxistischen“ Anstrich zu geben.
Es ist ziemlich aufschlussreich, dass die IG in all ihren Artikeln zur Ukraine kein einziges Mal gegen den Pazifismus polemisiert, der die Hauptillusion ist, die derzeit von der reformistischen Linken und den Gewerkschaftsführern verbreitet wird, vor allem in den imperialistischen Ländern, in denen sowohl die IKL als auch die IG die Mehrheit ihrer Mitglieder haben. Forderungen nach „Frieden“, nach „Abrüstung“, nach einer „diplomatischen Lösung“ und ganz allgemein die Illusion, die Imperialisten könnten eine friedliche und gerechte Lösung des Krieges herbeiführen, sind das wesentliche Instrument dafür, fortgeschrittene Arbeiter und Jugendliche weiterhin zu entwaffnen und an ihre Ausbeuter zu ketten. Die Weigerung, auch nur ein Wort dagegen zu sagen, ist eine Zurückweisung des Marxismus.
Im Gegensatz dazu sind die Propaganda und die Interventionen der IKL zum Krieg in der Ukraine dem ganzen Inhalt nach ausdrücklich darauf ausgerichtet, jene „Sozialisten“ zu entlarven, die pazifistische und „anti-imperialistische“ Parolen benutzen, um ihre völlige Unterwürfigkeit gegenüber der Bourgeoisie zu verschleiern. Genau das macht revolutionäre Arbeit aus, und genau das lehnt die IG ab.
Die IG kämpft nicht für revolutionären Defätismus
Der Aufruf der IG zum „revolutionären Defätismus“ steht im Widerspruch zu den anderen Losungen, die sie erhebt. Zum Beispiel fordert die IG „Verteidigt die Selbstverwaltung im Südosten der Ukraine!“ und „Zerschlagt die Faschisten“. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Krieges schürt man mit diesen Forderungen nur Illusionen darüber, dass eine gerechte Lösung für die ukrainischen und russischen Massen ohne sozialistische Revolution möglich wäre.
Die Forderung nach Selbstregierung in der Ostukraine war vor dem Krieg richtig. Aber seither ist dieser Kampf völlig den Kriegszielen Russlands untergeordnet, ganze Regionen der Ukraine und möglicherweise das ganze Land zu annektieren. Die einzige Möglichkeit, die Selbstregierung im Moment zu verwirklichen, wäre ein Sieg Russlands. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der Aufruf an die Arbeiter „Verteidigt die Selbstverwaltung im Südosten der Ukraine!“ nur eine Form stillschweigender Unterstützung dieses Kriegsausgangs und daher mit der Position des revolutionären Defätismus unvereinbar.
Ein Sieg der russischen Armee würde die nationale Unterdrückung der Ukrainer durch Russland bedeuten, eine Tatsache, die die IG verschwinden lässt. Eine Niederlage Russlands hingegen würde die russischsprachige Minderheit der Ukraine zu einer noch nie da gewesenen nationalen Unterdrückung verurteilen. Der Knackpunkt ist, dass keine der beiden Seiten in diesem Krieg einen gerechten nationalen Befreiungskampf führt.
Die Pflicht von Revolutionären ist es, zu erklären, dass in der gegenwärtigen Situation die fortschrittliche Lösung der nationalen Frage in der Ukraine ohne den Sturz der russischen und ukrainischen Kapitalisten unmöglich ist. Nur die Macht der Arbeiter kann eine wirklich demokratische Lösung für die Ukrainer und die russischsprachigen Massen herbeiführen. Mit der Losung „Verteidigt die Selbstverwaltung im Südosten der Ukraine!“ betrügt die IG die Arbeiterklasse.
Mit der Forderung der IG „Zerschlagt die Faschisten“, die eine ihrer Hauptlosungen im gegenwärtigen Krieg ist, verhält es sich ähnlich. Die Hauptaufgabe für die russischen und ukrainischen Arbeiter ist nicht der Kampf gegen Faschismus. Es kann keinen unabhängigen Kampf gegen den Faschismus in der Ukraine geben ohne einen revolutionären Kampf, diesen Krieg in einen Bürgerkrieg gegen alle Ausbeuter zu verwandeln. Die dringende und unmittelbare Aufgabe für russische und ukrainische Kommunisten ist es, für die Verbrüderung von Soldaten und Arbeitern zu kämpfen und einen gemeinsamen revolutionären Kampf gegen den Krieg ihrer „eigenen“ kapitalistischen Herrscher zu führen. Anstatt dafür zu kämpfen, die russischen und ukrainischen Arbeiter von ihren verräterischen nationalistischen Führern wegzubrechen, die sie als Kanonenfutter an ihre Ausbeuter ausliefern, betrügt die IG die ukrainischen und russischen Arbeiter, indem sie ihnen erzählt, ihre Hauptaufgabe bestehe darin, Selenskyjs Armee von Faschisten zu säubern.
Außerdem lässt man Russlands Kriegsziel „Entnazifizierung“ glaubwürdig erscheinen, wenn man den Kampf gegen den Faschismus in der Ukraine als die Hauptaufgabe in diesem Krieg darstellt. Was soll denn „Zerschlagt die Faschisten“ in diesem Krieg auch anderes bedeuten als stillschweigende Unterstützung für Russland? In den Artikeln der IG spiegelt sich diese pro-russische Tendenz ständig wider. In „The Truth About Ukraine’s Fascist Infestation“ schreibt die IG zum Beispiel: „Zwar hat Putin die ,Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine‘ zu seinem Kriegsziel erklärt, doch damit dies eine dauerhafte Wirkung hat, müssen es die arbeitenden Menschen auf einer internationalistischen Grundlage selber erreichen“ [Hervorhebung im Original]. Lächerlich! Die russischen Oligarchen führen in der Ukraine nicht irgendeinen antifaschistischen Krieg. Es ist gegen die Interessen des Proletariats, Russlands Krieg zu unterstützen, nicht weil er keine „dauerhafte Wirkung“ bei der Ausrottung des Faschismus haben wird, sondern weil sein Ziel die Versklavung der Ukraine durch die russische Kapitalistenklasse ist! Die Behauptung der IG, sie sei für revolutionären Defätismus, ist reine Augenwischerei, denn die IG stellt den Krieg der russischen Kapitalisten als halbwegs fortschrittlich dar.
Im Grunde glauben wir nicht, dass die IG aus irgendeiner Begeisterung für Putins Russland die „Entnazifizierungs“-Ziele der russischen Bourgeoisie indirekt unterstützt oder Forderungen wie „Selbstverwaltung im Südosten der Ukraine!“ aufstellt. Es ist einfach das logische Ergebnis der Weigerung, sich auf das Proletariat als unabhängigen revolutionären Faktor zu stützen, was nur dazu führt, auf die eine oder andere bürgerliche Kraft zu setzen. Einige in den imperialistischen Ländern und viele in der neokolonialen Welt lassen sich aus Hass auf die Imperialisten dazu verleiten, Russland zu unterstützen. Dies ist im Wesentlichen auf Demoralisierung zurückzuführen, auf die Unfähigkeit, sich ein revolutionäres Ergebnis auch nur vorzustellen, und auf die Illusion, das kapitalistische Russland sei so etwas wie eine Alternative zu den Imperialisten. Das bringt die IG zum Ausdruck.
Aber könnte die IG nicht auf ihre anderen „revolutionären“ Losungen verweisen, um unsere Argumente zu widerlegen? Neben den oben zitierten Forderungen hat die IG auch die Losungen „Gegen den vom Imperialismus angezettelten Russland-Ukraine-Krieg“ sowie „Für einen revolutionären Kampf gegen die kapitalistischen Machthaber in Moskau und Kiew!“ und ruft oft zum revolutionären Klassenkampf gegen die Imperialisten auf. Schöne Worte! Aber im Gegensatz zu unserer Losung – die ukrainischen und russischen Soldaten aufzurufen, sich zu verbrüdern und ihre Waffen umzudrehen – ist der „revolutionäre“ Aufruf der IG völlig abstrakt und darauf ausgerichtet, mit Reformismus und Sozialpazifismus vereinbar zu sein.
Zahllose Opportunisten haben kein Problem damit, „gegen den vom Imperialismus angezettelten Krieg“ zu sein und nichtssagende Erklärungen über die Notwendigkeit vom „revolutionären Klassenkampf“ in Kiew, Moskau und anderswo abzugeben, während sie gleichzeitig für den Sieg der Ukraine und die Niederlage Russlands kämpfen, was sie zu Lakaien ihrer „eigenen“ imperialistischen Herrscher macht. Wozu aber niemand von den Reformisten und Opportunisten – und auch die IG nicht – aufrufen wird, ist die historische Losung des Bolschewismus: der Aufruf zum Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie. Dies ist die einzige Losung, die konkret einen klaren Weg zur Revolution aufzeigt und frontal eine revolutionäre Position gegen die pro-imperialistische nationale Einheit zur Unterstützung der Ukraine bezieht.
Die Aufgabe von Revolutionären besteht nicht in vagen und leeren Aufrufen zum „revolutionären Kampf“, sondern darin, für einen solchen Kampf ein klares revolutionäres Programm zu liefern. Die Unione Sindacale di Base (Basisgewerkschaft – USB) in Italien und die mit der Kommunistischen Partei Griechenlands verbundenen PAME-Gewerkschaften haben Aktionen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die NATO und die Imperialisten durchgeführt. Natürlich müssen Revolutionäre solche Aktionen unterstützen und verteidigen und sich aktiv daran beteiligen. Doch es ist auch entscheidend, darauf hinzuweisen, dass diese Aktionen unter sozialpazifistischen Losungen und von reformistischen Führern durchgeführt wurden. Diese Führer sind ebenso ein Hindernis für die revolutionäre Mobilisierung des Proletariats wie die offen pro-imperialistischen Stiefellecker. In Italien zum Beispiel sind die USB-Führer ständig damit beschäftigt, Antikriegsaktionen der Arbeiter bürgerlichen „Anti-Kriegs“-Politikern und der katholischen Kirche unterzuordnen.
Aber kein Wort darüber von der IG, die in ihrem Artikel „NATO Socialists in Italy“ ([NATO-Sozialisten in Italien]Internationalist, April 2022) diese Aktionen unkritisch bejubelt. Das zeigt, was es mit dem Aufruf der IG zum „revolutionären Kampf“ wirklich auf sich hat. Damit ist kein Klassenkampf auf der Grundlage des revolutionären Defätismus gemeint, sondern gewerkschaftliche Aktionen unter pazifistischer Führung. Warum sonst wohl hat die IG keine einzige Polemik gegen den Pazifismus? Gerade den Kampf für eine revolutionäre Führung lehnt die IG ab, und der erfordert es, die Arbeiterklasse von allen sozialchauvinistischen Führern, einschließlich der Anti-NATO-Pazifisten, zu brechen.
Zentrismus führt zu Sozialchauvinismus
Wie wir schon ausgeführt haben, ist der Kampf gegen den Imperialismus ohne einen Kampf gegen die pro-imperialistischen Agenten in der Arbeiterbewegung nicht möglich. Das ist absolut entscheidend in den imperialistischen Zentren, deren Herrscher das internationale Bollwerk der Reaktion sind. Auch dieses Verständnis ergibt sich direkt aus Lenins Kampf im Ersten Weltkrieg. Die wichtigste Lehre des Leninismus ist, dass die Voraussetzung für das Schmieden einer revolutionären Partei – das wesentliche Werkzeug zur Verwirklichung einer Arbeiterrevolution – darin besteht, dass sich die proletarische Avantgarde vom Sozialchauvinismus und Zentrismus abspaltet und sich unter einem wirklich revolutionären Banner vereinigt. In Sozialismus und Krieg (1915), einem der wichtigsten programmatischen Dokumente der Bolschewiki, erklärten Lenin und Grigori Sinowjew:
Seit Jahrzehnten schon haben die Verräter, die in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern die Arbeiterklasse führen – in den Gewerkschaften und Arbeiterparteien –, der Arbeiterbewegung eine Niederlage nach der anderen eingebracht und sie verwalten den Niedergang der Gewerkschaften und die Verarmung der Arbeiterklasse. Während der Pandemie stürzten sich die Arbeiterleutnants des Kapitals in eine Orgie der nationalen Einheit mit der Bourgeoisie, unterstützten die verheerenden Lockdowns, befürworteten sogar noch strengere Maßnahmen und spielten die entscheidende Rolle bei der Entwaffnung des Proletariats, während die Bosse die Arbeiter unter Beschuss nahmen. (Mit ihrer Unterstützung für diese reaktionären Maßnahmen hat die IG die Arbeiterklasse verraten.)
Und jetzt, da eine massive Inflation den Lebensstandard der Arbeiter in rasantem Tempo zerstört, rühren die Gewerkschaftsführer nicht nur keinen Finger dagegen, sondern sind sogar damit beschäftigt, den imperialistischen Schlächtern dabei zu helfen, ihren Kriegskurs gegen Russland in der Arbeiterbewegung zu verkaufen. Die Arbeiterklasse von diesen Verrätern zu spalten und die Vierte Internationale wiederzuschmieden – d. h. eine neue, revolutionäre Führung der internationalen Arbeiterklasse –, ist nach wie vor die dringendste und wichtigste Aufgabe für Revolutionäre und das Hauptziel der IKL. Auf die Herbeiführung eines solchen Bruchs hinzuarbeiten ist tatsächlich der einzige Weg, jetzt gegen den Imperialismus wirklich zu kämpfen. Dass die IG in der Praxis den Leninismus aufgegeben hat, zeigt sich am deutlichsten darin, dass sie den Kampf für eine revolutionäre Führung des Proletariats ablehnt.
In ihrer Erklärung vom 28. Februar wendet sich die IG mehrfach polemisch gegen die reformistische Linke und die Pseudotrotzkisten. Inhaltlich lässt sich ihre Polemik in dem Satz zusammenfassen, dass sich „... der Großteil der westlichen Linken auf die Seite der NATO-Imperialisten gestellt und die Russen einseitig angeprangert“ hat. Die IG stößt sich hauptsächlich daran, dass in Deutschland Die Linke, in Frankreich die Kommunistische Partei, in den USA die Socialist Alternative (SAlt) & Co. zu „einseitig“ sind.
Damit wird der wesentliche Verrat der Reformisten vertuscht: ihre Ablehnung des revolutionären Defätismus und ihre Unterstützung der Ukraine gegen Russland, was eine Unterstützung ihrer „eigenen“ imperialistischen Gebieter darstellt! Die Position des revolutionären Defätismus ist nichts wert, wenn man nicht genau von dieser Grundlage aus die Reformisten entlarvt! Aber dazu muss man für „revolutionären Defätismus“ konkret und in Taten kämpfen, im Gegensatz zu einer bedeutungslosen Erklärung auf dem Papier, von der man nicht wirklich überzeugt ist und die man nur benutzt, um sich bloß nicht offen auf die Seite Russlands zu schlagen. Indem die IG die Linke für alles kritisiert außer für deren Ablehnung des revolutionären Defätismus, kapituliert sie vor dem Sozialchauvinismus.
Wir wollen unseren Lesern ein Beispiel für eine solche „Polemik“ geben. Die IG greift SAlt dafür an, dass sie „zu ,voller Solidarität mit dem ukrainischen Volk‘ aufrief und forderte, dass ,die russischen Truppen sofort aus der Ukraine abgezogen werden sollten‘.“ Die IG antwortet: „Kein Aufruf, die NATO-Waffen nach Kiew zu stoppen, jedoch.“ Was für eine groteske Kapitulation vor dem Sozialchauvinismus! „Russische Truppen raus!“ ist die Losung, die von der gesamten sozialchauvinistischen Linken im Einklang mit den NATO/EU-Imperialisten erhoben wird. Die IG ist mit dieser Losung nicht einverstanden, aber nicht deshalb, weil sie eine pro-imperialistische Forderung ist, sondern weil sie zur Forderung der IG nach „Selbstverwaltung“ im Widerspruch steht, d. h. die IG ist für „russische Truppen rein“.
Im Gegensatz zur IG lehnen Revolutionäre die Forderung „Russische Truppen raus!“ deshalb ab, weil sie bedeutet, für den Sieg der Ukraine einzutreten, was mit einer Position des revolutionären Defätismus unvereinbar ist. Ein Abzug der russischen Armee ist nur durch eine militärische Niederlage Russlands möglich. Die Folge davon wäre, dass die Ukraine unter der Vorherrschaft der Imperialisten erhalten bleibt. Mit dieser Losung verteidigt SAlt nicht die ukrainischen Massen, sondern verteidigt stattdessen das „Recht“ zur ausschließlichen Ausplünderung der Ukraine durch „ihre“ Imperialisten als kleineres Übel gegenüber der Ausplünderung durch die russischen Kapitalisten. So ist die Kritik der IG an SAlt ein reines Alibi und eine Kapitulation vor dem Sozialchauvinismus. Selbst wenn SAlt einen Aufruf gegen NATO-Waffenlieferungen an Kiew hinzufügen würde – was billig für Pazifisten ist –, würde dies überhaupt nichts an der Tatsache ändern, dass ihre Position durch und durch sozialchauvinistisch ist.
Die Bolschewiki forderten im Ersten Weltkrieg nicht „Deutsche Truppen raus aus Russland“, was die Losung des Zaren war (und später der bürgerlichen Provisorischen Regierung von Kerenski). Sie kämpften dafür, deutsche Soldaten für eine revolutionäre Verbrüderung mit den russischen Arbeitern und Bauern zu mobilisieren, sowohl gegen die russischen als auch gegen die deutschen Kapitalisten. Entscheidend war jedoch, dass die Bolschewiki die Sozialdemokraten genau dafür anprangerten, dieses revolutionäre Programm abzulehnen. Und genau das zu tun weigert sich die IG!
Deutschland: Opportunismus in Aktion
Wie der Zentrismus der IG direkt zum Sozialchauvinismus führt, zeigt sich noch deutlicher in Deutschland. Seit Kriegsbeginn befindet sich die deutsche Linke in einer tiefen Krise, und als Reaktion darauf haben unsere Genossen von der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) unter den Linken eine Kampagne gestartet mit der Losung „Schmeißt EU/NATO-Unterstützer aus der Linken!“ in Verbindung mit unserer Losung „Ukrainische, russische Arbeiter: Dreht die Gewehre um!“ (siehe Spartakist Nr. 224). Auf der öffentlichen Diskussionsveranstaltung am 12. Mai in Berlin prangerte die IG in ihrem Diskussionsbeitrag diese Perspektive als reformistisch an, weil sie angeblich Illusionen in eine „reformierte“ Sozialdemokratie schürt. Um den revolutionären Charakter der Losungen unserer deutschen Genossen zu verstehen und um zu begreifen, wie die Kritik der IG eine Verteidigung des Sozialchauvinismus ist, müssen wir zunächst die gegenwärtige Situation in Deutschland etwas genauer erklären.
Der Krieg in der Ukraine hat den deutschen Imperialismus gezwungen, schlagartig eine scharfe Änderung seiner strategischen Ausrichtung durchzuführen. Seit der Konterrevolution, welche die UdSSR zerstörte, hat Deutschland ein sorgfältig ausgewogenes Verhältnis zwischen seinen Verpflichtungen gegenüber dem US-dominierten transatlantischen Bündnis EU/NATO und der Entwicklung von umfangreichen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland hergestellt. Aber Russlands Einmarsch in die Ukraine hat diese Situation unhaltbar gemacht, und die deutsche Bourgeoisie ist nun gezwungen, mit Russland zu brechen, sich uneingeschränkt dem US/NATO-Kriegskurs zu verpflichten und schwere Waffen in die Ukraine zu schicken.
Ein Aspekt dieser großen Veränderung ist die von SPD-Kanzler Olaf Scholz angekündigte massive Aufrüstung des deutschen Militärs. Mit Hilfe von EU und Euro hat Deutschland seine wirtschaftliche Vorherrschaft über Europa durch die „friedliche“ Ausplünderung Ost- und Südeuropas massiv gestärkt. Da die Stabilität auf dem Kontinent durch die Amerikaner und die NATO garantiert wurde, brauchte Deutschland keine größeren Militärausgaben. Jahrzehntelang war der Pazifismus der reformistischen Linken in Deutschland, mit ihrem Engagement für „Abrüstung“ und ihrer Ablehnung von Auslandseinsätzen der deutschen Armee, völlig auf einer Linie mit der Politik der deutschen Imperialisten. Aber diese glücklichen Flitterwochen sind nun zu einem plötzlichen Ende gekommen, wobei die Bourgeoisie über ihre SPD-Anwälte die Scheidung eingereicht hat, die diese Änderung umsetzen, den deutschen Imperialismus wiederbewaffnen und die Arbeiterbewegung darauf ausrichten.
Angesichts dieses scharfen Kurswechsels befindet sich die deutsche Linke in einer Krise, wie man sie in anderen imperialistischen Ländern nicht kennt, wobei fast alle Organisationen in interne Kämpfe verwickelt sind. An der Basis der SPD gibt es eine Menge Unzufriedenheit. Scholz wurde bei seiner Rede am 1. Mai in Düsseldorf von der Menge der versammelten Gewerkschafter ausgepfiffen und beschimpft. In der reformistischen Partei Die Linke will ein erheblicher Teil der Führung ihre historische Forderung nach „Auflösung der NATO“ fallen lassen und beim imperialistischen Kriegskurs voll mitmachen. Doch eine beträchtliche Opposition wehrt sich gegen diesen Kurs und will an dem Pazifismus der Vergangenheit festhalten, dabei aber um jeden Preis eine Spaltung vermeiden. Weiter links stehende Organisationen (Deutsche Kommunistische Partei, Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, Kommunistische Organisation usw.) haben keine Ahnung, was man tun soll, und sind zutiefst gespalten: in einen Pro-NATO/EU/Ukraine-Flügel auf der einen Seite, einen pro-russischen Flügel auf der anderen und ein Zentrum, das verzweifelt versucht, die Einheit aufrechtzuerhalten. In gewisser Weise ist die Krise der deutschen Linken ein Spiegelbild der Krise der herrschenden Klasse in Deutschland.
Gerade gegen die Kriecherei der gesamten pazifistisch-reformistischen Linken vor den sozialdemokratischen Handlangern der Imperialisten stellten unsere deutschen Genossen die Losung auf: „Schmeißt EU/NATO-Unterstützer aus der Linken!“ Wir sagen, dass diejenigen, die die imperialistischen Instrumente der Ausbeutung offen unterstützen, aus der Arbeiterbewegung rausgeschmissen werden sollen. Doch unser Aufruf richtet sich hauptsächlich gegen jene Reformisten und Pazifisten, die im Namen der „Einheit“ unweigerlich verraten und vor den offenen Apologeten des Imperialismus kapitulieren werden und deren pazifistisches Programm sowohl die Ursache für die Krise in der Linken als auch das Haupthindernis für die Herausbildung eines revolutionären marxistischen Pols gegen den deutschen Imperialismus ist.
Versuchen wir also, die Linkspartei zu „reformieren“ anstatt eine revolutionäre Partei aufzubauen, wie es die IG behauptet? Wie wir von Lenin gelernt haben, kann eine revolutionäre Partei nur geschmiedet werden, indem man die Arbeiterbasis der Sozialdemokratie von ihrer verräterischen, reformistischen Führung bricht. Unser Ziel ist es, die Polarisierung in der Linkspartei – und in allen anderen linken Organisationen – zu vertiefen, sie weiter voranzutreiben und Klarheit zu schaffen, indem wir zeigen, dass der Imperialismus nur auf der Grundlage eines revolutionären Programms konsequent bekämpft werden kann, um so die Linkspartei entlang dieser Linie zu spalten.
Um das zu erreichen, fordern wir in der Tat den linken Flügel der Linkspartei dazu auf, diejenigen rauszuschmeißen, die sich offen zur NATO, zur EU und zum deutschen Imperialismus bekennen. Das wahrscheinlichste Ergebnis wird sein, dass seine Unterstützer sich weigern, dies zu tun, und dass sie sich bemühen, an der Einheit mit den Pro-Imperialisten von Gregor Gysi & Co. festzuhalten, und sich auf diese Weise als Agenten des Imperialismus entlarven. Wenn sie jedoch den rechten Flügel wirklich rausschmeißen, wäre das auch eine gute Sache. Gysi, Bodo Ramelow und alle anderen imperialistischen Stiefellecker aus der Arbeiterbewegung rauszuschmeißen ist ein Akt elementarer politischer Hygiene, den nur rückgratlose Opportunisten ablehnen.
Eine solche Spaltung würde Die Linke nicht zu einer revolutionären Partei machen. Es wäre nicht unsere Spaltung. Wir würden sie aber befürworten, weil dadurch Sahra Wagenknecht und ihre pazifistischen Gefolgsleute an die Spitze der Partei kämen. Ohne die Möglichkeit, sich hinter dem rechten Flügel zu verstecken, wäre es viel leichter, ihr bankrottes Programm für „Abrüstung“, „Frieden“ und Verteidigung des „Völkerrechts“ als eine völlig pro-imperialistische Sackgasse zu entlarven. Die erfolgreiche Anwendung unserer Taktik würde die Möglichkeit zu einer Spaltung in der Linkspartei entlang der Linie Reform kontra Revolution eröffnen, was sie als reformistisches Hindernis zerstören und die Grundlage für das Schmieden einer revolutionären Arbeiterpartei in Deutschland schaffen würde.
Unter dem Deckmantel links klingender Anschuldigungen, wir würden versuchen die Sozialdemokratie zu reformieren, verurteilt die IG schlichtweg die Anwendung des Leninismus auf die lebendige Realität. Es ist nicht die Pflicht von Revolutionären, wie es die IG gerne hätte, am Rand zu stehen und abstrakt den „revolutionären Klassenkampf“ zu predigen, sondern an den Bruchstellen zu intervenieren, die die Arbeiterklasse und die Linke erschüttern, und zwar in einer Weise, die den Kampf für die Revolution objektiv voranbringen wird.
Auf der Berliner Diskussionsveranstaltung sagte ein Sprecher der IG, der auf dem gleichen falschen Argument über das „Reformieren“ der Sozialdemokratie herumritt, dass dies besonders kriminell sei, da der dritte Weltkrieg vor der Tür stehe. Doch in Wirklichkeit verurteilt die IG den Kampf, beide Flügel der Sozialdemokratie vor der Arbeiterklasse zu entlarven: die pro-imperialistischen Stiefellecker und die pazifistischen Versöhnler. Indem die IG unsere Forderung nach dem Rauswurf der Ersteren anprangert, unterstützt sie die Letzteren. Die wahre Logik derartiger sektiererischer „Reinheit“ besteht darin, den Kampf gegen die Sozialdemokratie, insbesondere gegen ihren linken Flügel, einzustellen. Dies ist das wirkliche Verbrechen, ob der dritte Weltkrieg nun kommt oder nicht.
Als der Weltkrieg unmittelbar bevorstand, kämpfte Leo Trotzki unermüdlich für die Herausbildung einer revolutionären Internationale durch den Kampf gegen den Stalinismus, den größten Betrug zu dieser Zeit. Trotzki erklärte:
In Deutschland ist das Haupthindernis für die Vereinigung der revolutionären Avantgarde zurzeit das Gift des liberalen Reformismus und Pazifismus, das von den Sozialdemokraten in die Arbeiterbewegung hineingetragen wird. Jene „Sozialisten“ wie die IG, die auf dem Papier behaupten, für eine revolutionäre Führung zu sein, die aber den Kampf zur Säuberung der Arbeiterbewegung von den Agenten des Imperialismus verurteilen, tragen objektiv dazu bei, den Frieden und die Einheit mit den pro-imperialistischen Verrätern, die gegenwärtig die Arbeiterklasse führen, aufrechtzuerhalten. Während sie sich hinter lauten Phrasen über „Klassenkampf“ verstecken, verstärken sie in Wirklichkeit die Unterordnung des Proletariats unter seine Ausbeuter, indem sie den Zugriff der sozialchauvinistischen Führer auf die Arbeiterbewegung unangetastet lassen.
„Revolutionärer Defätismus“ auf dem Papier, Sozialchauvinismus in der Praxis: Das charakterisiert die Position der IG zum Krieg in der Ukraine.
Der Kampf für eine Arbeiterrevolution steht auf der Tagesordnung
Das Hauptargument vieler Pseudo-Marxisten gegen die Position der IKL zum Ukraine-Krieg ist, dass unser Aufruf, diesen reaktionären Krieg in einen revolutionären Bürgerkrieg umzuwandeln, deshalb falsch sei, weil es im Augenblick keine revolutionäre Situation in der Ukraine oder in Russland gibt. Andere haben den Aufruf als unmöglich und utopisch verurteilt, was tatsächlich eine ehrlichere Art ist, das Gleiche zu sagen.
Eine solche Perspektive utopisch zu nennen ist reine Demoralisierung, und man braucht sich nur die Fakten anzusehen, um das klar zu erkennen. Die russischen und ukrainischen Arbeiter werden von ihren eigenen Herrschern jeden Tag mehr geschunden und ausgepresst, um den Krieg am Laufen zu halten. In Russland kommen die Söhne von Arbeitermüttern in Leichensäcken zurück, gestorben für die Ziele der Oligarchen. In der Ukraine wollen Selenskyj und seine imperialistischen Herren kein Ende des Konflikts, denn der Krieg schwächt Russland, und wenn die Ukraine von Blut überschwemmt wird, dann sei es so – alles nur, um den Räubervereinen EU und NATO beizutreten und billige Arbeitskraft für deutsche, amerikanische und britische Unternehmen zu liefern. Auf beiden Seiten wird den Arbeitern in Uniform befohlen, sich gegenseitig zu töten, auch wenn sie eine gemeinsame Geschichte aus der Zeit der Sowjetunion und oft sogar gemeinsame Verwandte haben. Inzwischen wird die arbeitende Bevölkerung zur Armee eingezogen und im Umgang mit Waffen geschult. In den imperialistischen Ländern leiden die Arbeiter durch die steigende Inflation und die explodierenden Energiekosten und sollen den massiven Angriff auf den Lebensstandard im Namen des Kampfes für die „Freiheit“ gegen ein „autoritäres System“ schlucken. Man muss sich schon absichtlich blind stellen, um die Möglichkeit auszuschließen, dass daraus eine revolutionäre Situation entsteht.
Die Geschichte zeigt, dass die reaktionären Kräfte des Nationalismus und des Chauvinismus, die bei Kriegsausbruch vorübergehend den Verstand der Arbeiter vernebeln, bei wachsendem Druck nicht überdauern. Wir können nicht wissen, ob daraus eine Revolution wird. Aber wir wissen, wer verhindert, dass sich die blanke Wut der Ausgebeuteten gegen ihre Ausbeuter Bahn bricht: die sozialchauvinistischen und reformistischen Führer der Arbeiterklasse, die diese betrügen. Wir wissen, dass alle für eine Revolution objektiv notwendigen Elemente vorhanden sind, aber keine revolutionäre Partei, die zur Führung der Revolution fähig ist. Und eines ist sicher: dass revolutionäre Parteien von denen aufgebaut werden, die für die Revolution kämpfen, und nicht von denen, die eine Revolution für unmöglich halten.
Während des gesamten Ersten Weltkriegs wurde Lenin fortwährend von den Sozialchauvinisten mit genau denselben Argumenten angegriffen. „Die Hoffnungen auf die Revolution hätten sich als Illusion erwiesen, und Illusionen zu verteidigen sei nicht Sache eines Marxisten“, sagt der Pseudo-Sozialist, der nur rechtfertigen will, dass er auf die Seite der Bourgeoisie übergegangen ist. Lenin antwortete darauf:
Genau für die Ablehnung eben dieser Pflicht tragen die IG sowie alle anderen Zentristen und Sozialchauvinisten die Schuld.